"Die Polizei ist enorm belastet"
18. März 2015DW: Frau Mihalic, in Frankfurt geht das linke Aktionsbündnis Blockupy zur offiziellen Eröffnung des neuen EZB-Gebäudes auf die Straße. Mülltonnen, Barrikaden und auch Polizeiautos wurden in Brand gesetzt. Es gibt Berichte über Angriffe auf Polizeibeamte. Sie sind selbst Polizistin. Müssten derartige Attacken stärker bestraft werden?
Irene Mihalic: Nein. Ich glaube nicht, dass sich gewaltbereite Demonstranten davon abhalten lassen, wenn das stärker sanktioniert wird. Die Ursachen sind woanders zu suchen. Aber das verdeutlicht natürlich, mit welchen Herausforderungen es die Polizei zu tun hat, wenn es zu solchen gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt. Da bedarf es enorm gut durchdachten Einsatzkonzepten, die in hohem Maße deeskalierend wirken. Das kann aber nicht immer gelingen. Wenn wir über mutwillige Zerstörungen reden, nutzt auch die beste Deeskalationsstrategie nichts. Wenn man sich die Blockupy-Proteste ansieht, kann man an die friedlichen Demonstranten nur appellieren, sich von denen, die Gewalt ausüben, ganz klar zu distanzieren.
Blockupy, Pegida-Demonstrationen oder Fußballspiele - die Polizei klagt über massive Belastung. Anfang Februar musste in Leipzig eine Demonstration von Islam-Gegnern abgesagt werden. Begründung der Stadt war: Man habe zu wenig Polizei. Steht uns so etwas in Zukunft häufiger bevor?
Die Polizei ist durch viele Aufgaben enorm belastet. Wenn dann noch solche Ereignisse dazu kommen, die sich in ihrer Fülle häufen und die Polizei gewährleisten muss, Versammlungen zu ermöglichen und alles ordnungsgemäß durchzuführen, bekommen wir natürlich ein Problem.
Nun scheint Besserung in Sicht: Die schwarz-rote Koalition will die Ausgaben für die innere Sicherheit aufstocken. Für den Zeitraum von 2016 bis 2019 sollen Bundespolizei, Bundeskriminalamt (BKA) und Verfassungsschutz 750 neue Stellen und 328 Millionen Euro zusätzlich erhalten. Reicht das aus?
Zunächst einmal ist es positiv zu bewerten, dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière stärker in die Sicherheit investieren will und die Sicherheitsbehörden personell und finanziell aufstocken möchte. Allerdings haben wir natürlich noch viele Fragen.
Zum Beispiel?
Wir wissen bisher nur: Es gibt 328 Millionen Euro und 750 Stellen. Aber wie genau die Stellen verteilt werden und wofür dann in den einzelnen Behörden das Geld verwendet werden soll, ist nach wie vor unklar. Die Priorität muss beim Bundeskriminalamt und der Bundespolizei liegen. Wenn ein Großteil in den Verfassungsschutz fließen sollte, bleibt umso weniger für die Bundespolizei übrig, die aber sicherlich das Geld am dringendsten braucht. Auch um die Sicherung der Schengen-Außengrenzen besser gewährleisten zu können, um sicherzustellen, dass sich keine sogenannten Foreign Fighters [Anm.d.Red.: Bürger, die zu terroristischen Zwecken ins Ausland reisen] in Richtung Syrien oder Nordirak aufmachen. Das ist ja ein großes Problem, das wir derzeit haben. Und da wissen wir von der Bundespolizei, dass Personal und Ressourcen sehr knapp sind.
Sie sind sie ja nicht nur eine grüne Politikerin, sondern auch eine Polizistin. Aus beiden Blickwinkeln: Woran mangelt es der Polizei am meisten?
Die Polizei braucht natürlich einen guten finanziellen Unterbau und reichlich Personal, um ihre Aufgaben bewältigen zu können. Aber das ist kein Allheilmittel. Die Mittel dürfen nicht mit der Gießkanne verteilt werden. Was die Polizei daher dringend braucht, ist eine Aufgabenkritik. In den vergangenen Jahren wurde die Polizei mit immer mehr und neuen Aufgaben konfrontiert, die sie wahrnehmen soll.
Woran denken Sie konkret?
Zum Beispiel an die Begleitung von Schwertransporten. Jede Menge Polizisten sind jede Nacht damit beschäftigt, Schwertransporte kreuz und quer durch die Bundesrepublik zu begleiten. Ebenso soll die Bundespolizei jetzt mit 200 Leuten die Goldreserven, die aus den Vereinigten Staaten zurück nach Deutschland gekommen sind, bewachen. Das sind natürlich Aufgaben, bei denen man sich fragt: Muss das die Polizei wahrnehmen?
Könnten denn nicht technische Mittel wie beispielsweise die Vorratsdatenspeicherung die Polizeibeamten entlasten?
Im Bundestag haben wir Parteien, allen voran die CDU/CSU, die doch eher auf anlasslose Massenüberwachung setzen, auf technische Konzepte wie die Vorratsdatenspeicherung, die zudem auch noch verfassungswidrig ist. Dem halten wir entgegen: Personal ist durch die beste Technik nicht zu ersetzen. Wir setzen auf gute, fundierte Polizeiarbeit.
Irene Mihalic ist Polizistin und Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Sprecherin für innere Sicherheit und Obfrau im Innenausschuss der Bundestagsfraktion ihrer Partei.
Das Interview führte Sven Pöhle.