Mieten - Deutschlands sozialer Sprengstoff
14. Juni 2019Die Wut über immer höhere Mietpreise hat in diesem Frühjahr Zehntausende zum Protest auf Deutschlands Straßen getrieben. Ob Mietpreisbremse, Mietpreisdeckelung, Enteignungen - Forderungen, die Macht von Vermietern zu beschneiden, werden im ganzen Land laut. Einer neuen Studie zufolge, die die Bundestagsfraktion der Linkspartei in Auftrag gegeben hat, sind die Bestandsmieten (ohne Neuvermietungen) in den vergangenen fünf Jahren bundesweit um 11,4 Prozent gestiegen.
Wo sind die Mieten besonders hoch?
Absoluter Spitzenreiter bei den Quadratmeterpreisen ist München. Dort kostet ein Quadratmeter Wohnfläche durchschnittlich fast 18 Euro. An Position zwei folgt Frankfurt am Main mit 14,20 Euro pro Quadratmeter und an Position drei Stuttgart mit knapp 14 Euro pro Quadratmeter. In Berlin liegen die durchschnittlichen Nettokaltmieten laut Mietspiegel 2019 pro Quadratmeter bei rund 6,72 Euro. Die günstigste Bestandsmiete gab es im nordrhein-westfälischen Warstein mit 4,64 Euro pro Quadratmeter.
Warum ist günstiger Mietraum knapp?
Viele ehemals öffentliche Wohnungen sind inzwischen in der Hand von Konzernen. So verkaufte etwa die Stadt Dresden 2006 als erste deutsche Kommune ihren kompletten Wohnungsbestand und tilgte so auf einen Schlag ihre Schulden in Höhe von 741 Millionen Euro.
Vonovia, das größte Wohnungsunternehmen in Deutschland, verwaltet mehr als 300.000 Wohnungen. Eines ihrer Ziele sei es, "über stetige Mieterhöhung eine Rendite zu realisieren, die dann an die Aktieninhaber weitergegeben wird. Für die ist wiederum die Wohnung selbst überhaupt nicht relevant, sondern nur die Rendite", sagt Susanne Heeg, Professorin für Geographische Stadtforschung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main.
Ein weiterer Grund für die Preisspirale ist eine wachsende Nachfrage und die damit verbundene Angebotsknappheit im Zentrum attraktiver Metropolen. "Fast die Hälfte eines Jahrganges studiert inzwischen, und studiert wird nicht auf dem Land, sondern in den Städten. Es ist also klar, dass Städte junge Menschen anziehen", so Heeg. Wer es sich leisten könne, bleibe nach dem Abschluss in den Städten.
Mit welchen Instrumenten reagiert die Große Koalition?
1,5 Millionen - So viele Wohnungen will die Bundesregierung bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode, also bis 2021, schaffen. Das haben CDU/CSU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag so festgelegt. Ein Teil davon sollen Sozialwohnungen sein - für den Bau sind allerdings eigentlich die Länder zuständig. Dennoch beteiligt sich der Bund mit 1,5 Milliarden Euro pro Jahr am Sozialwohnungsbau. Insgesamt soll der Wohnungsbau, also Neu- und Sozialwohnungen, in dieser Legislaturperiode mit fünf Milliarden Euro gefördert werden.
Auf dem Deutschen Mietertag bekräftigte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihre Absicht, mehr Wohnungen zu bauen: "Die beste Antwort auf Wohnungsknappheit ist, neuen Wohnraum zu schaffen." Sie ermahnte allerdings die Länder, das für den sozialen Wohnungsbau vorgesehene Geld auch tatsächlich für diesen Zweck einzusetzen. Das Problem sei so groß, dass "wirklich jeder Euro auch in diesem Bereich ausgegeben werden muss."
Kritik: Um Sozialwohnungen zu schaffen, fördert der Staat private Bauprojekte. Im Gegenzug dürfen Geringverdiener mit einem so genannten Wohnberechtigungsschein für einen festgelegten Zeitraum dort besonders günstig wohnen. Das Problem: Die Mietobergrenze für Sozialwohnungen gilt nicht für immer. Nach einer gewissen Zeit fallen sie wieder aus der Mietpreisbindung heraus - 2018 traf das auf fast 49.000 Wohnungen zu. Das bedeutet, dann steigen die Mieten auch in diesen besonders günstigen Wohnungen wieder. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Im letzten Jahr wurden nur knapp 27.000 öffentlich geförderte Sozialwohnungen gebaut. Der Deutsche Mieterbund (DMB) schätzt aber, dass jährlich 80.000 gebaut werden müssten, um den Bedarf zu decken.
Laut DMB müssen zusätzlich rund 120.000 bezahlbare Mietwohnungen gebaut werden. Steuerliche Förderungen für Bauherren müssten an Mietobergrenzen gebunden werden. Tatsächlich sei vieles, das neu gebaut werde, teure Eigentums- und Mietwohnungen, kritisiert der Mieterbund. Insgesamt sei der Wohnungsneubau rund 25 Prozent hinter dem tatsächlichen Wohnungsbedarf und der Zielsetzung der Bundesregierung zurückgeblieben.
Mietpreisbremse - Seit Sommer 2015 gilt in Deutschland eine Mietpreisbremse. Die Große Koalition hat sie zum Jahresbeginn noch einmal verschärft. Nun darf die Miete bei neuen Verträgen nicht mehr als zehn Prozent über der "ortsüblichen Vergleichsmiete" liegen.
Kritik: Die Mietpreisbremse gilt nur für "Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt". Wo die liegen, entscheiden die Bundesländer. Und es gibt viele Ausnahmen bei der Mietpreisbremse: Sie gilt nicht bei Neubauten, Sanierungen oder wenn die Miete des Vormieters schon höher war.
Da die Mietpreisbremse nur für Neuvermietungen gelte, profitierten von ihr außerdem sowieso nur die Reichen, gibt Volker Eichener, Professor für Politikwissenschaften an der Hochschule Düsseldorf, zu bedenken. "Der Vermieter kann sich die Mietinteressenten aussuchen, die ihm als beste Risiken vorkommen." Deshalb erhielten eher Beamtenpaare den Zuschlag als Arbeitnehmer oder Studierende, so Eichener.
Wohngeld - Ab 2020 soll ein neues Wohngeld Geringverdiener bei der Miete entlasten. Etwa 660.000 Haushalte sollen von diesem staatlichen Zuschuss profitieren. Alle zwei Jahre soll er an die allgemeine Entwicklung von Mieten und Einkommen angepasst werden. Allerdings muss noch der Bundesrat zustimmen, weil das Wohngeld je zur Hälfte von Bund und Ländern gezahlt wird.
Kritik: Sozialverbände und Gewerkschaften sehen in der Reform zwar einen richtigen Schritt, kritisieren aber, dass die Probleme von knappem Wohnraum und steigenden Mieten dadurch nicht gelöst werden. Mieterbund, Grüne und die Linkspartei vermissen zudem Regelungen, die Zuschüsse auch bei höheren Mieten in energetisch sanierten Wohnungen erlauben.
Welche Ideen gibt es noch?
Enteignungen - Noch in dieser Woche, am 14. Juni, will eine Berliner Bürgerinitiative dem Senat Unterschriften für ein Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne übergeben. Enteignungen sind aber juristisch höchst umstritten. Auch müsste die öffentliche Hand den Wohnungskonzernen dann Milliarden an Entschädigungen zahlen. Auch der Mieterbund ist skeptisch. Enteignungen dauerten, damit werde dem Wohnungsmarkt also derzeit nicht geholfen, so DMB-Präsident Franz-Georg Rips.
Mietdeckel - Der Berliner Senat könnte demnächst einen Stopp aller Mieterhöhungen für die nächsten fünf Jahre beschließen. Das fordert die Linksfraktion auch bundesweit. In Berlin allerdings könnte der Schuss nach hinten losgehen: Der Eigentümerverband Haus und Grund hat alle Vermieter dazu aufgerufen, die Mieten möglichst schnell vor der drohenden Mietdeckelung noch zu erhöhen.
Werbeverbot - Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) will Vermietern künftig verbieten, für Wohnungen mit überhöhten Mietpreisen zu werben. Kritiker meinen, ein solches Verbot schaffe keinen neuen Wohnraum.
Neue Verfahren bei Bauland und beim Bau - Generell sollte die öffentliche Hand ihr Bauland nicht mehr verkaufen, sondern an Wohnungsbaugesellschaften nur noch verpachten, fordert der Deutsche Mieterbund. So müssten die Investoren keinen Grundstückskauf mehr finanzieren und könnten billiger bauen. Dadurch könnten in der Folge auch die Wohnungen preiswerter vermietet werden. Der Deutsche Städtetag appelliert an Bund, Länder und Kommunen, auch das Bauen zu beschleunigen, indem Vorschriften vereinfacht und abgespeckt werden.