Steigende Bodenpreise spalten die Gesellschaft
1. April 2018Die Großstädte in Deutschland ziehen immer mehr Menschen an. "Eine Stadt wie Berlin, die wächst seit einigen Jahren um 40.000 Menschen pro Jahr", sagt Michael Voigtländer, Experte für Immobilienmärkte am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln. Ähnlich verläuft die Entwicklung in fünfzehn weiteren Metropolregionen. Die Folge: Der knappe Wohnraum lässt die Immobilien- und Mietpreise rasant steigen. Gewinner und Verlierer sind leicht auszumachen. Während Mieter in Großstädten im vergangenen Jahr im Schnitt neun Prozent mehr für einen neuen Vertrag bezahlen mussten, haben Immobilieninvestoren ihre wahre Freude. Premium-Apartments in Berlin-Mitte versprechen eine jährliche Rendite von zehn Prozent und mehr. Die Mietpreisbremse, die Union und SPD in der vergangenen Legislaturperiode mit viel Pomp eingeführt haben, hat an dieser Situation nichts verändert. Und so ist bezahlbares Wohnen zum Härtetest für den sozialen Frieden geworden.
Boden ist in Deutschland begehrtestes Spekulationsobjekt
Angeheizt wird diese Entwicklung, die derzeit viele internationale Investoren nach Deutschland lockt, vor allem durch rasante Preissprünge bei Grund und Boden. Erschlossenes Bauland in urbanen Räumen ist kaum noch verfügbar und gilt unter Projektentwicklern inzwischen als das "neue Gold". Die Zahlen belegen das. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) hat errechnet, dass Baugrund zwischen 2011 und 2016 im Mittel um 27 Prozent teurer geworden ist. In begehrten Städten wie Berlin, München oder Frankfurt lag dieser Wert um ein Vielfaches höher. Und wo Bauland so teuer geworden ist, da stockt der Bau von Wohnungen. Und genau das passiert. Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen, dass derzeit in Deutschland rund eine Millionen Wohnungen fehlen.
Bodenbesitz zementiert die Ungleichheit
Wie ungleich es in Sachen Grundbesitz ohnehin in Deutschland zugeht, das verblüfft auch Fachleute. In einem ihrer Monatsberichte rechnete die Deutsche Bundesbank vor, dass die reichsten zehn Prozent der Haushalte fast die Hälfte des gesamten Immobilienvermögens besitzen. Das Problem daran ist, erklärt Steuerexperte Dirk Löhr von der Universität Trier, dass ein Großteil dieses Immobilienvermögens auf dem Wert des Bodens basiert, der eigentlich der Allgemeinheit gehört. "Wenn man davon ausgeht, dass die reichsten zehn Prozent ihre Immobilien nicht an den schlechtesten Standorten haben, und ich denke, diese Prämisse ist vernünftig, dann bedeutet das: ein erheblicher Anteil des Immobilienwerts ist der Bodenwert: Lage, Lage, Lage."
Der Wert des Bodens wird von der Allgemeinheit gemacht
Damit profitieren bislang die Falschen von der Steigerung des Werts von Grund und Boden. Denn der Grund dafür, warum ein Haus in Berlin-Mitte deutlich mehr wert ist als in einer strukturschwachen Region wie dem Harz oder der Eifel, das seien vor allem Vorleistungen der öffentlichen Hand, sagt Ökonom Löhr. Gibt es in einer Stadt U-Bahnen, Museen, Theater und Krankenhäuser, dann steigert das den Wert der eigenen Immobilie. Wird eine neue Straßenbahn in die Nähe des Hauses gebaut, dann geht der Preis der Immobilie hoch, ohne dass der Besitzer dafür etwas geleistet hätte.
Für Löhr fordert daher ein Umdenken. Der Unterschied zwischen Grundstück und Gebäude müsse deutlich wahrgenommen werden: "Kein Eigentümer hat den Wert seines Bodens geschaffen. Das darauf stehende Gebäude, diesen Wert hat der Eigentümer gemacht, und das darf man eben nicht vermischen." Löhr rechnet vor, dass diese "leistungslosen Bodenrenditen" durch ein Haus in bester Lage eine Größenordnung von 150 Milliarden Euro pro Jahr erreicht haben. 150 Milliarden Euro, die eigentlich der Allgemeinheit zustehen würden und nicht in private Taschen oder an internationale Investoren fließen sollten.
Der Staat macht es Bodenspekulanten sehr einfach
Dass in Deutschland etwas falsch läuft beim Umgang mit Grund und Boden, lässt sich auch an einem anderen Trend ablesen. Denn gerade in Innenstädten in bester Lage warten noch immer eine Menge Brachflächen auf eine entsprechende Bebauung. Die Gründe dafür, warum in vielen Fällen kein Haus darauf gebaut wird, hat mit ökonomischen Fehlanreizen zu tun, erklärt Ökonom Michael Voigtländer vom IW Köln. "Im Moment haben wir die Situation, dass sich für einige Eigentümer von Brachflächen das Warten lohnt, weil die Grundstücks- und Baulandpreise um 10 bis 15 Prozent pro Jahr steigen." Dass es viele Investoren gibt, die so ihr Geld verdienen wollen, das macht eine weitere Zahl deutlich: Rund 600.000 erteilte Baugenehmigungen werden derzeit nicht abgerufen. Viele davon sind in Städten wie München erteilt worden, wo der Wohnraum knapp und die Rendite-Aussicht hoch ist.
Doch der Widerstand gegen diese Spekulationsgewinne wächst. Immer öfter wird der Ruf nach einer Bodenwende laut. Ein Bündnis aus Mietervereinen, Naturschutz- und Sozialverbänden fordert eine gerechtere Besteuerung der Spekulationsgewinne - und einen fairen Zugang zu Bauland. Wie das in der Praxis aussehen könnte, lässt sich in der baden-württembergischen Stadt Ulm schon heute erleben. Hier wird Bauland systematisch vor Spekulanten geschützt - und dass schon seit über 125 Jahren.
Bodenwende: In Ulm kauft die Stadt Boden auf Vorrat
Unweit vom berühmten Ulmer Münster entfernt wird diese alternative Bodenpolitik organisiert. Im Liegenschaftsamt der Stadt Ulm werden die Grundstücke und Immobilien im öffentlichen Besitz verwaltet. Für Abteilungsleiter Ulrich Soldner basiert das Ulmer Modell gegen Bodenspekulation vor allem auf der Grundidee des Vorratsgedankens. "Die Stadt kauft oft auf Jahrzehnte im Voraus Flächen auf, um sie dann eines Tages gezielt als Tauschflächen, als Baugrund für eigene Projekte oder zur Entwicklung von Gewerbe- oder Wohngebieten einzusetzen", erklärt Soldner.
Im Jahr 2017 investierte die Stadt Ulm 33 Millionen Euro in den Ankauf neuer Grundstücke. In 16 künftigen Wohngebieten hat Soldners Team derzeit so viel zusammenhängendes Bauland aufgekauft, dass der nächste Schritt folgen kann. "Entscheidend ist: Ein Bebauungsplan wird bei uns rechtskräftig, wenn wir alle Grundstücke haben. Vorher nicht." Das heißt ganz konkret: In Ulm kann nur von der Stadt selbst Bauland erworben werden, zu vorab von Gutachterausschüssen festgelegten Preisen. Das so erworbene Grundstück kann der private Investor nicht an Dritte zu einem höheren Preis weiterverkaufen – der Spekulationskreislauf wird so unterbrochen. Wird das Grundstück nicht für den ursprünglichen Zweck verwendet, dann sieht eine Ulmer Vertragsklausel vor, dass die Fläche zurück an die Stadt verkauft werden muss. "Ein Weiterverkauf spekulativer Art an Dritte ist nicht möglich", erklärt Soldner.
Für Mieter in dieser Stadt bedeutet das, dass die Stadtverwaltung großen Einfluss auf die Ausgestaltung der neuen Wohngebiete hat. Für Investoren wurde die Auflage gemacht, dass auf 30 Prozent der neubebauten Fläche vergünstigter Wohnraum angeboten werden muss, um Land kaufen zu dürfen. In Ulm werden auf diese soziale Weise inzwischen 4.500 Hektar öffentliches Land bewirtschaftet, was einem Drittel der Gesamtfläche der Stadt entspricht. Eine Wohnungskrise wie in Berlin, Frankfurt oder München kennen sie in Ulm auch aus diesem Grund nicht. Und das gilt auch, obwohl die Universitätsstadt ein begehrter Standort für viele Hightech-Unternehmen ist. Die baden-württembergische Landesregierung hat Ulm inzwischen zum Modellfall für alle Städte erklärt und will, dass in Sachen Boden ungesteuert wird. Die Bundespolitik zögert, und kratzt dagegen nur an der Oberfläche des Problems. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) sprach sich jüngst für eine Verschärfung der Mietpreisbremse aus, um so überteuerte Luxussanierungen zu verhindern. Dass die Probleme eigentlich beim Zugang zu Grund und Boden beginnen, scheint in Berlin noch nicht allen Politikern klar.