Mexiko stoppt die Energiewende
22. Mai 2020Ende März, als Mexiko schon in Quarantäne war, reiste Präsident Andrés Manuel López Obrador nach Oaxaca. Er ließ seine Autokarawane vor kahlen Hügeln anhalten, auf deren Gipfeln weiße Turbinen einer Windkraftanlage thronten. "Diese Windräder verschandeln die Landschaft", sagte er in die Kamera. "Sie erzeugen nur wenig Energie und gehören Privatfirmen, die dafür subventioniert werden. Eine der typischen Betrügereien der Neoliberalen." Das war weder populistische Sprücheklopferei noch Ignoranz, sondern Teil eines Plans, der jetzt enthüllt wurde - und der Investoren und Umweltschützer gleichermaßen erzürnt.
Die nun veröffentlichten Richtlinien des Energieministeriums verbieten wegen angeblicher "Instabilität im Netz" bis auf weiteres Neuanschlüsse von Anlagen, die erneuerbare Energien erzeugen. Es ist bereits der dritte regulatorische Eingriff in den Strommarkt, auf dem seit der Energiereform von 2013 private Anbieter mit der staatlichen Gesellschaft CFE konkurrieren. Damals wurde der Ausbau erneuerbarer Energien an private Anbieter ausgelagert. Die Regulierungsbehörde CENACE setzte den technischen Rahmen und war verpflichtet, den effizientesten Anbietern bei der Einspeisung den Vorzug zu geben. Das sicherte den Erneuerbaren die Abnahme.
Dank der Reform konnte das Schwellenland seinen wachsenden Energiebedarf unter Erfüllung des Pariser Klimaschutzabkommens decken. Heute stammen 24 Prozent des erzeugten Stroms aus erneuerbaren Quellen, die jährliche Zuwachsrate betrug 4,5 Prozent. Das geht allerdings auf Kosten der Wärmekraftwerke, die von der CFE mit dem schwefelhaltigen Schweröl des hochverschuldeten Staatskonzerns PEMEX betrieben werden. Die Rettung von PEMEX und eine stärkere staatliche Regulierung sind strategische Ziele des Präsidenten. Das giftige Schweröl wurde bislang vor allem in der Schifffahrt eingesetzt, ist seit diesem Jahr aber international verboten. "Die privaten Firmen haben sich den Energiesektor unter den Nagel gerissen und gegen PEMEX und die CFE verschworen", so die Lesart von López Obrador.
Verzögerte Genehmigungsverfahren
Vor allem spanische, aber auch deutsche Investoren kamen nach der Energiereform nach Mexiko. So auch die Potsdamer Firma Notus. Seit 2014 plante Notus fünf Solar- und Windkraftanlagen. Eine davon - eine Windkraftanlage mit mehr als 200 Megawatt im nördlichen Bundesstaat Coahuila - ist noch im Anfangsstadium, ihre Zukunft steht in den Sternen. "Die Genehmigungsverfahren verzögern sich seit einem Jahr", klagt Notus-Geschäftsführer Alejandro Cobos im Gespräch mit der DW. Er ist nicht alleine. Seit dem Regierungswechsel im Dezember 2018 beklagen viele Investoren die Verschleppungstaktik der Regulierungsbehörde CENACE.
Die neue Richtlinie könnte den Todesstoß für die erneuerbaren Energien bedeuten. In Protestbriefen der Botschaften Kanadas und der Europäischen Union ist von 44 laufenden Projekten im Wert von 6,8 Milliarden US-Dollar die Rede. Für die Konsumenten wird die Rückkehr zu fossilen Energieträgern nach Einschätzung von Verbraucherschützern höhere Preise bedeuten. Für Investoren sinkt die Attraktivität des Standorts Mexiko durch die Rechtsunsicherheit.
Begründet wird der Richtungswechsel mit einer gesunkenen Energienachfrage aufgrund der Corona-Krise und mit technischen Problemen. Das Stromnetz ist in der Tat veraltet. Die Modernisierung der Leitungen aber ist Aufgabe des staatlichen Stromversorgers CFE, der dies schlicht versäumt hat. Die Begründung mit COVID-19 hält Anaid Velasco vom Zentrum für Umweltrecht (CEMDA) für zynisch. "Gerade das Virus macht eine saubere Luft nötiger denn je, und die Regierung antwortet mit dem Ausbau der schmutzigsten aller fossilen Energien", sagt sie per Videochat.
Verstoß gegen eigene Gesetze?
Für Pablo Ramírez, Klimaspezialist bei Greenpeace Mexiko, entfernt sich das Land damit nicht nur von internationalen Verpflichtungen wie dem Pariser Klimaabkommen, sondern auch von eigenen Gesetzen, die bis 2024 einen Anteil von 35 Prozent der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vorsehen.
Zwar sei bei den Erneuerbaren auch nicht alles ideal, räumen die Aktivisten ein. So sei die ursprüngliche Idee einer dezentralen Energieerzeugung schnell von Megaprojekten abgelöst worden, die manchmal Proteste lokaler Gemeinden übergingen. "Aber das rechtfertigt nicht die Rückkehr zu fossilen Brennstoffen", sagt Ramírez. Während private Investoren nun vor Schiedsgerichte ziehen wollen, erwägen die Aktivisten strategische Klagen vor nationalen und internationalen Gerichten. Für Cobos ist das Kind schon in den Brunnen gefallen: "Selbst wenn die Richtlinie vor Gericht kassiert oder zurückgenommen wird, bleibt der Vertrauensverlust der Investoren."