Merkels Afrika-Beauftragter: Afrikanische Vorwürfe sind inakzeptabel
28. November 2013Im niederländischen Den Haag beraten die Vertragsstaaten des Internationalen Strafgerichtshofs über eine Änderung der Statuen. Die Afrikanische Union möchte künftig amtierende Staats- und Regierungschefs von der Strafverfolgung ausschließen. Das Argument: Wenn Präsidenten auf die Anklagebank in Den Haag geschickt würden, könne das den Frieden und die Stabilität des Kontinents gefährden. Außerdem verfolge der Gerichtshof einseitig nur Fälle in Afrika und ignoriere Unrecht anderswo. Aktueller Anlass des Streits ist die Anklage gegen Kenias Präsidenten Uhuru Kenyatta und dessen Stellvertreter William Ruto wegen mutmaßlicher Anstiftung zur Gewalt nach den Wahlen in dem ostafrikanischen Land vor sechs Jahren. Der Afrika-Beauftragte von Bundeskanzlerin Angela Merkel, Günter Nooke, weist die Vorwürfe im DW-Interview entschieden zurück.
DW: Aus Afrika wurde dem Internationalen Strafgerichtshof zuletzt unter anderem "Rassismus", "Neokolonialismus" oder "Russisches Roulette mit der Stabilität Afrikas" vorgeworfen, da in Den Haag bislang ausschließlich Afrikaner angeklagt wurden. Überrascht Sie die Heftigkeit dieser Vorwürfe?
Günter Nooke: Ich finde diese Wortwahl in jeder Hinsicht unangemessen. Schon dass der äthiopische Premierminister Hailemariam Desalegn beim Gipfel der Afrikanischen Union im Mai 2013 von 'Rassenverfolgung' gesprochen hat, ist eine Wortwahl, die in keiner Weise akzeptabel ist. Und die trifft natürlich auch nicht zu, wenn ein unabhängiger Gerichtshof wie der Strafgerichtshof in Den Haag seine Arbeit macht. Und vielleicht muss man sich auch vorher genauer überlegen, was man für Dokumente unterschreibt. 34 Staaten aus Afrika haben das Statut des Gerichtshofs unterzeichnet und ratifiziert. Und sie haben damals auch gewusst, dass es keine Ausnahmen gibt, dass also auch Staatschefs unter die Gerichtsbarkeit fallen.
Ich glaube zwar auch, dass die Argumente bezüglich der Stabilität in Afrika sehr ernst zu nehmen sind. Aber im Fall Kenias ist es ja nicht richtig, dass Staatschefs vor dem Gerichtshof angeklagt wurden. Kenyatta hat ja, bevor er Präsident war, im Grunde mit seiner Anklage in Den Haag Wahlkampf gemacht. Daraufhin wurde er im Frühjahr 2013 zum Präsidenten gewählt. Und jetzt wird argumentiert, Präsidenten dürften nicht angeklagt werden! Sie sehen, dass die afrikanische Argumentation widersprüchlich ist, und dass es offensichtlich darum geht, dass der Staatspräsident einfach nicht will, dass über die Vorwürfe gegen ihn noch einmal öffentlich verhandelt wird.
Kenia hat viele afrikanische Staaten in dieser Frage auf seiner Seite und auch die Rückendeckung der Afrikanischen Union. Hat sich der Streit um den Internationalen Strafgerichtshof zu einer Krise zwischen Nord und Süd, also zwischen Europa und Afrika, ausgeweitet?
Natürlich sind wir besorgt, dass afrikanische Staaten sich jetzt in größerer Zahl aus dem Strafgerichtshof zurückziehen und damit diese unverzichtbare und sehr erfolgreiche internationale Strafgerichtsbarkeit schwächen. Die Debatte in Den Haag ist eine echte Bedrohung, die am Ende zu Entwicklungen in Afrika führen kann, die wir alle nicht wollen.
Ich glaube, wir sind gut beraten, den Strafgerichtshof nicht politisch gegen Afrika zu instrumentalisieren. Wir dürfen ihn aber auch nicht schwächen oder seine Statuten verwässern, so dass nicht mehr alle gleich sind vor dem Gericht, sondern Staatschefs zum Beispiel ausgenommen werden.
Wie wollen Sie das machen: Die Stimmung nicht anheizen, aber auch keine faulen Kompromisse auf Kosten des Gerichtshofs schließen?
Die Bundesrepublik Deutschland ist einer der Vertragsstaaten des Gerichtshofs und nimmt an der Diskussion derzeit auf der Versammlung mit mehr als 100 Vertragsstaaten in Den Haag teil. Ich hoffe, dass dort keine Stimmung gegen Afrika gemacht wird, aber dass ganz klar die Prinzipien des Strafgerichtshofs und seine Unabhängigkeit verteidigt werden. Man kann über vieles diskutieren: etwa ob es besser wäre, das Verfahren nach Kenia zurückzuüberweisen oder ob der Strafgerichtshof in der Lage ist, dieses Verfahren in einem fairen Prozess zu bewältigen.
Aber auf keinen Fall kann der Gerichtshof auf politischen Druck hin nachgeben. Die Argumentation gegenüber den afrikanischen Vorwürfen muss sein: je mehr Druck ein Gericht bekommt, umso weniger ist es möglich, sich in Richtung dieses Drucks zu bewegen, weil es sich gerade dann dem Vorwurf aussetzen würde, es sei ein politisches Gericht. Wenn wir zu einer sachlichen Debatte zurückkehren, und die Stimmung von Seiten der Afrikaner nicht weiter angeheizt wird, dann könnte man die wirklichen Probleme für die Stabilität in Afrika in Zusammenhang mit dem Gerichtshof diskutieren.
Fürchten Sie, dass dieser emotional geführte Streit Auswirkungen auf die Beziehungen Deutschlands zu diesen Ländern hat, etwa bei der Entwicklungszusammenarbeit?
Es gibt ja schon Auswirkungen. So sind wir zum Beispiel nicht sicher, ob unsere Botschaften in Tansania und Kenia wieder besetzt werden können. Wir können zwar keinen direkten Zusammenhang herstellen. Aber natürlich sind wir sehr besorgt, dass das Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen zu Deutschland hat. Ich denke, es ist klar, dass Deutschland seine Interessen verteidigt, und dass wir diese Art von Druck nicht akzeptieren - vor dem Hintergrund der guten Beziehungen, die wir gerade im Entwicklungsbereich haben.
Sie spielen darauf an, dass Kenia und Tansania seit Monaten die Akkreditierung von neu entsandten Botschaftern aus Deutschland aufschiebt. Das betrifft ja auch Diplomaten aus anderen Ländern, die sich ebenfalls vehement für den Internationalen Strafgerichtshof einsetzen. Ist denkbar, dass Deutschland die Entwicklungszusammenarbeit und Entscheidungen über Hilfsgelder als Druckmittel in diesem Streit nutzt?
Es steht jetzt nicht an, die Instrumente vorzuführen, die wir haben. Es geht jetzt vor allem darum, deutlich zu machen, dass wir ein Interesse daran haben, dass sich die afrikanischen Länder an das halten, was sie an internationalen Vereinbarungen unterschreiben.
Der CDU-Politiker Günter Nooke ist der persönliche Afrika-Beauftragte der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zuvor war der ehemalige DDR-Bürgerrechtler unter anderem Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung.
Das Interview führte Max Borowski.