Afrikas Präsidenten wollen Immunität
14. Oktober 2013Die Behandlung Afrikas durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) sei "unfair", "ungerecht" und damit "völlig inakzeptabel". Mit dieser Eröffnung hatte der äthiopische Außenminister Tedros Adhanom den Ton für den außerordentlichen Gipfel der Afrikanischen Union (AU) am 11. und 12.10.2013 gesetzt. Dessen Beschlüsse blieben am Ende aber hinter den Befürchtungen vieler Beobachter zurück: Der von einem kleinen Block um Kenia eingebrachte Antrag, das Römische Statut - die Grundlage des Vertrags mit dem IStGH - aufzukündigen, war nicht mehrheitsfähig. Bereits im Vorfeld des Gipfels hatten Afrikas politische Schwergewichte wie Südafrika, Nigeria und Ghana ihre Unterstützung für den Gerichtshof bekundet.
Dennoch setzten Afrikas Staats- und Regierungschefs ihren Konfrontationskurs fort. Auf Zustimmung stieß der Äthiopier Adhanom mit seiner Forderung, Kenias Präsident Uhuru Kenyatta solle "sein Land regieren". Damit empfiehlt die AU dem kenianischen Präsidenten, einer Vorladung aus Den Haag nicht zu folgen. Kenyatta und sein Stellvertreter William Ruto sind vor dem IStGH wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach den Wahlen im Jahr 2007 in ihrem Land angeklagt. Damals waren bei Unruhen Hunderte Kenianer ums Leben gekommen. Kenyatta ist für Mitte November erstmals vorgeladen, der Prozess gegen Ruto hat bereits im September begonnen.
Immunität für Amtsinhaber
Zündstoff birgt vor allem die Forderung der AU im Abschlussdokument, in Zukunft keine amtierenden Staatsoberhäupter oder Regierungen mehr zu verfolgen. Harmen van der Wilt, Professor für internationales Strafrecht an der Universität Amsterdam, sieht darin einen Verstoß gegen die Gründungsakte des Weltgerichts. "Die Tatsache, dass jemand ein Amt bekleidet, schützt sie oder ihn nicht vor Strafverfolgung", sagt van der Wilt im Interview mit der DW. "Aus meiner Sicht versucht die AU, den Strafgerichtshof zu umgehen".
Für Solomon Derso, AU-Experte vom Institut für Sicherheitsstudien (ISS) in Addis Abeba, bedeutet die Forderung nach Immunität einen weiteren Vertrauensbruch zwischen Afrika und dem IStGH. "Der Massenaustritt afrikanischer Mitgliedsstaaten ist ausgeblieben. Doch die Forderung, amtierende Staatschefs von der Strafverfolgung auszunehmen, wird es sehr schwer machen für den Strafgerichtshof und die AU, die Abgründe zuzuschütten, die sich in den vergangenen Jahren aufgetan haben", sagt Derso gegenüber der DW.
Derso spielt damit auf die in Afrika verbreitete Auffassung an, der IStGH ziele besonders auf diesen Kontinent ab, während mutmaßliche Menschenrechtsverstöße von Staaten wie den USA oder Israel ungestraft blieben. Vor allem der Haftbefehl gegen den sudanesischen Präsidenten Omar al-Baschir im Juli 2010 - gerade als sich die AU um eine diplomatische Beilegung des Darfur-Konfliktes bemühte - hat das Vertrauen der Kontinentalvertretung in den IStGH belastet.
ISS-Experte Derso räumt auch dem Gesuch der AU an den UN-Sicherheitsrat, unter Berufung auf Artikel 16 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs das Verfahren gegen Kenias Präsidenten und dessen Vize für zunächst ein Jahr auszusetzen, kaum Chancen ein. Der Sicherheitsrat werde kaum eine Gefahr für die innere Sicherheit in Kenia erkennen - dies sei aber Voraussetzung für einen Aufschub. Strafrechtsexperte van der Wilt weist in diesem Zusammenhang auf die Machtverhältnisse im Sicherheitsrat und die Positionen der Vetomächte hin: "Jeder weiß, dass zum Beispiel Großbritannien und Frankreich Unterstützer des IStGH sind", sagt der niederländische Experte. "Und sie würden wohl ihr Veto einlegen".
Keine Entspannung
Auch wenn sich die radikalen Gegner des Internationalen Strafgerichtshofes auf dem Treffen am Wochenende nicht durchsetzen konnten, sieht AU -Beobachter Derso weiter keine breite Unterstützung für die Den Haager Institution. Das Verhältnis zwischen Afrika und dem IStGH "bleibt getrübt", ist sein Fazit des Sondergipfels.
Die Staats- und Regierungschefs der AU haben eine Kontaktgruppe eingesetzt, um mit Mitgliedern des UN-Sicherheitsrats über das zukünftige Verhältnis zwischen dem IStGH und den afrikanischen Staaten zu beraten. Die Entscheidung der beiden Institutionen über den Fall Kenia gilt als richtungweisend. Die Zeit drängt allerdings: Kenyatta ist bereits für den 12. November vorgeladen.