Merkel: "Wenn was ist, bin ich erreichbar"
19. Juli 2019"Die Kanzlerin ist heute sehr pünktlich", freut sich die Konferenzleiterin, als Angela Merkel neben ihr Platz nimmt. 90 Minuten haben die Mitglieder der Bundespressekonferenz, um der Bundeskanzlerin Fragen zu stellen, bevor diese in ihren Sommerurlaub fährt. Wie immer ist die Aufregung groß, schon Stunden vorher standen Kamerateams vor dem Pressesaal Schlange. Der sonst manchmal spärlich besetzte Raum ist wie immer bei diesem Termin rappelvoll.
Ohne ein paar Lacher zur Auflockerung geht es nicht bei diesem Termin, das weiß die Bundeskanzlerin als Polit-Profi ganz genau. Schließlich war sie hier oft genug zu Gast. Und so reagiert sie in gewohnt entspannter Haltung auf die Fragen - fast schon im Plauderton. Doch die Bundespressekonferenz ist auch der Ort, an dem sie so manchen schon jetzt als historisch geltenden Satz sagte. Etwa als sie die Herausforderungen der Flüchtlingskrise 2015 in Deutschland mit einem aufmunternd gemeinten "Wir schaffen das" kommentierte.
Merkel über #FridaysForFuture: "Es geht um ihr Leben"
Dieses Jahr dominiert der Klimaschutz. Einst wegen des von ihr forcierten Ausstiegs aus der Atomenergie als "Klimakanzlerin" tituliert, steht Merkel mittlerweile wegen mangelnden Engagements im Umweltschutz in der Kritik. Während der Pressekonferenz demonstrieren wie schon seit Monaten junge Schülerinnen und Schüler der "Fridays for Future"-Bewegung - nur wenige hundert Meter von der Kanzlerin entfernt.
"Den Schülerinnen und Schülern kann man sehr gut sagen, dass wir mit Hochdruck arbeiten", erklärt die Kanzlerin in der Pressekonferenz. Beschlüsse für den Vorschlag einer CO2-Bepreisung sollen im September fallen und in einem Gesetzentwurf gebündelt werden. Dazu habe das Engagement junger Klimaaktivisten wie Greta Thunberg beigetragen. Sie hätten darauf hingewiesen, dass es um ihr Leben geht.
Zukunftsfragen dominieren: Für Merkel und Deutschland
Den jungen Menschen wolle sie deshalb auch einen gesunden Bundeshaushalt hinterlassen. So die Antwort auf die Frage, warum die Bundesregierung weiter an der "Schwarzen Null", einer Haushaltspolitik ohne Neuverschuldung, festhalte: "Wir haben in Deutschland ein Durchschnittsalter von 45 Lebensjahren. Damit gehören wir mit zu den ältesten Ländern der Welt", erklärt sie das Zurückstellen der Finanzmittel für später notwendige Investitionen.
Deutschlands Rolle in der Welt ist das zweitwichtigste Thema. Natürlich wird sie um ihre Einschätzung zum Brexit gebeten. Grundsätzlich sei sie für offen für eine Frist-Verlängerung der EU-Austrittsverhandlungen mit dem Vereinigten Königreich. Aber: "Das sind britische Entscheidungen, da mische ich mich nicht ein", schränkt Merkel ein. "Ich vertraue darauf, dass Großbritannien seinen Weg finden wird."
Ein weitaus deutlichere Position bezieht sie bezüglich der rassistischen Attacken von US-Präsident Trump gegenüber US-Politikerinnen mit Migrationshintergrund. Diese verurteilt sie deutlich: "Ich distanziere mich davon entschieden und fühle mich solidarisch mit den drei attackierten Frauen", sagt Merkel entschieden.
Seenotrettung und Wiedervereinigung: Fragen der Menschlichkeit
In der Debatte um deutsche private Seenotretter wie die Kapitänin der SeaWatch3, Carola Rackete, der in Italien eine Verurteilung droht, will sie sich für eine Grundsatzentscheidung einsetzen: "Es geht darum, dass wir nicht adhoc bei jedem Schiff eine Einzellösung finden. Seenotrettung ist für uns nicht nur Verpflichtung, sondern ein Gebot der Humanität."
Menschlich und offen, so zeigt sich die Kanzlerin über eineinhalb Stunden hinweg. Einmal lässt sie sich zu einer längeren Antwort hinreißen, als es um Fehler im Wiedervereinigungs-Prozess geht. "Man kann auch Fragen, was muss man jetzt tun?", entgegnet sie.
Dann spricht sie über entstandene mentale Verletzungen, die immer noch durch den innerdeutschen Austausch geheilt werden könnten. Als sie über ihr Leben in der früheren DDR spricht, über Tauschbörsen und dem Hamstern von Tomatenmark, rutscht sie mehrfach vom unpersönlichen "man" ins "wir".
Bald Urlaub: Merkel freut sich auf eine Zeit ohne Termine
Seit sie im Herbst vergangenen Jahres ihren Rücktritt als CDU-Parteivorsitzende erklärte und einige Zitterattacken in der Öffentlichkeit für internationale Schlagzeilen sorgten, wird offen über ihren möglichen Rückzug aus der Politik diskutiert. Wie es ihr gehe, will eine Journalistin deshalb kaum überraschend wissen. "Gut", antwortet sie zunächst knapp.
Es gebe doch zahlreiche Filme und Portraits, die während ihrer noch laufenden Amtszeit bereits als Rückblicke im deutschen Fernsehen laufen, hakt die Journalistin nach. Merkel wirkt weiterhin gelassen und entgegnet leicht amüsiert: Dafür habe sie keine Zeit: "Ich werde daran gemessen, ob ich meine Aufgaben täglich erfülle und da gibt es genügend zu tun."
Letztes Jahr hatte sie ihren Sommerurlaub ganz abgesagt. Zu ihren Plänen will sie sich nicht äußern, freut sich aber über eine Zeit ohne Termine. Vorerst, fügt sie einen Satz hinzu, der kein bisschen nach Aufhören, sondern eher wie ein Wahlversprechen klingt: "Ich bin immer im Dienst. Wenn was ist, bin ich erreichbar."