Merkel und ihre Franzosen
15. Mai 2017Mit Emmanuel Macron hat es Angela Merkel inzwischen mit dem vierten französischen Staatspräsidenten zu tun. Sie alle waren in ihrer Art höchst unterschiedlich, und ihr jeweiliges Verhältnis zu Merkel war es auch.
Auf den handküssenden, stolzen Gaullisten Jacques Chirac folgte der nervöse Selbstdarsteller Nicolas Sarkozy. Trotz des Gegensatzes zu der ruhigen, nüchternen Pfarrerstochter entwickelte sich ihr Verhältnis unter dem Druck der Finanzkrise so gut, dass sich der Ausdruck "Merkozy" einbürgerte - die beiden schienen politisch unzertrennlich. Merkel beging dann den Fehler, sich im französischen Wahlkampf für eine Wiederwahl Sarkozys einzusetzen, doch der Sozialist François Hollande gewann. Das verdarb von Anfang an die Stimmung. Und als Hollande zu seiner ersten Auslandsreise nach Berlin flog, wurde sein Flugzeug auch noch vom Blitz getroffen. Was für ein Omen! Trotzdem rafften sich beide - zunächst aus staats- und europapolitischem Pflichtgefühl - zu gemeinsamen Aktionen wie den Vermittlungsversuchen in der Ukraine-Krise auf - und bauten mit der Zeit eine vertrauensvolle politische Beziehung auf. Das zeigte sich auch daran, dass Hollande nicht nur seine erste, sondern auch seine letzte Auslandsreise als Präsident nach Berlin zu Merkel machte.
Was Macron und Merkel eint? Dass sie politisch schwer zu fassen sind
Jetzt also Merkel und Macron. Altersmäßig trennen die beiden 23 Jahre und damit fast eine Generation. Doch der Altersunterschied dürfte das geringste Problem sein, immerhin ist Macrons Frau noch zwei Jahre älter als Angela Merkel. Und politisch? Merkel ist keine Ideologin, sondern handelt pragmatisch und steht innerhalb der CDU eher links. Macron ist wohl noch schwieriger in ein Links-Rechts-Schema einzuordnen: Er war Minister unter dem Sozialisten Hollande, steht aber für eine Lockerung der Arbeitsmarkt-Gesetze und für niedrigere Unternehmenssteuern, ebenso jedoch für mehr öffentliche Investitionen.
Claire Demesmay, Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, glaubt, dass Macron gut vorbereitet ist und sich keine Illusionen macht: "Macron kennt Deutschland, er weiß, was ihn erwartet, er kennt die roten Linien in Deutschland, und er weiß auch, wo Potenzial ist", sagt sie im DW-Gespräch.
Die roten Linien
Die roten Linien sind alles, was so aussieht, als sollte Deutschland Frankreich mit Geld helfen. Zum Beispiel wurde Macron die Forderung nach gemeinsamen europäischen Anleihen, sogenannten Eurobonds, in den Mund gelegt, obwohl er das im Wahlkampf gar nicht gesagt hatte. Dies wurde in Deutschland als Versuch gesehen, eine Vergemeinschaftung europäischer Schulden auf Kosten Deutschlands zu betreiben. "Die europäische Idee ist etwas anderes als eine Transferunion", hat der bayerische Finanzminister Markus Söder dazu in der Zeitung "Welt am Sonntag" gesagt. Und Macrons Idee, die Eurozone weiterzuentwickeln und längerfristig auf einen gemeinsamen Haushalt und Finanzminister der Währungsgemeinschaft hinzuarbeiten, hat EU-Kommissar Günther Oettinger mit den Worten abgetan: "Forderungen wie ein Euro-Finanzminister sind eher Träume."
Doch Merkel hat sich vor dem Besuch des neuen französischen Präsidenten alle Belehrungen gegenüber Macron verbeten. Sie wolle nicht wie ein "Besserwisser" Lektionen erteilen, sagte sie. Das war möglicherweise auch selbstkritisch gemeint. Denn Merkel hatte nach Macrons Wahl kühl auf sein Werben um Deutschland geantwortet, Macron solle erst einmal Zuhause das Wachstum ankurbeln und die Arbeitslosigkeit senken, deutsche Unterstützung könne "französische Politik natürlich nicht ersetzen".
Erst Reformen in Frankreich, dann Europapolitik
Merkel betont inzwischen, dass sie sich für gemeinsame Investitionen und eine Weiterentwicklung der Eurozone durchaus erwärmen kann. Claire Demesmay glaubt, es komme vor allem auf die Reihenfolge der Aufgaben an, und das sehe man in Deutschland und Frankreich sehr ähnlich: "Erstmal Reformen in Frankreich und dann mehr Integration in der Eurozone."
Selbst wenn sich Merkel und Macron einig sind, wie sie europapolitisch fortfahren wollen, gibt Demesmay zu bedenken: "Macron ist gewählt, Merkel ist im Wahlkampf. Das ist keine optimale Phase für große Schritte in der Integration." Doch falls Merkel nach der Wahl Bundeskanzlerin bleibe, hätten beide Politiker ein "relativ großes Zeitfenster für Initiativen". Beide sähen die Bedeutung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, sie wüssten um den Ernst der Lage in Europa. Und "beide teilen die Vorstellung, dass Frankreich stark und zukunftsorientiert sein muss. Das ist schon einmal eine gute Basis."