Merkels China-Mission
23. Mai 2018Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) befasste sich vor der Reise Angela Merkels nach China mit der Gleichberechtigung. Dabei ging es allerdings nicht um Lohndifferenzen zwischen Männern und Frauen, sondern um eine weitere Öffnung des chinesischen Markts: "Die Kanzlerin muss weiter darauf drängen" so Achim Dercks von der DIHK-Hauptgeschäftsführung in der Presse, "dass deutsche Unternehmen in China einen gleichberechtigten Zugang zum Markt und zu öffentlichen Ausschreibungen bekommen wie chinesische Unternehmen hierzulande."
Das hatten deutsche Regierungskreise aber ohnehin im Vorfeld der Reise angekündigt. Ziel der Gespräche Merkels in Peking und Shenzhen sei es, so Stimmen aus der Regierung am Dienstag (22.05.), die Rahmenbedingungen für den Handel weiter zu verbessern. Merkel wird nach ihrer Ankunft am Donnerstag unter anderem mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping und mit Ministerpräsident Li Keqiang zusammenkommen. Geplant ist auch eine Reise nach Shenzhen. Die Region gilt als eine Art chinesisches Silicon Valley, mit stark auf Innovation ausgerichteten Firmen wie zum Beispiel Huawei.
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Zugang zum chinesischen Markt
Ein verbesserter Zugang zum chinesischen Markt, das hatten die Regierungskreise vor Reisebeginn deutlich gemacht, heiße, dass China seine angekündigte Liberalisierung der Märkte auch tatsächlich umsetze und ausländischen Firmen gleiche Rechte wie inländischen garantiere.
China erlaube ausländischen Firmen nicht das, was es selbst im Ausland einfordere, hieß es mit Blick etwa auf die Banken-, Versicherungs- und Autobranche. Die Volksrepublik solle ihre Versprechen zum Abbau des Joint-Venture-Zwangs für ausländische Autofirmen auch umsetzen.
Merkel selbst hatte das Thema am Wochenende in ihrem regelmäßigen Video-Podcast angesprochen: "China und Deutschland bekennen sich zu den Regeln der WTO", sagte die Bundeskanzlerin - fügte aber hinzu, dass sie sehr wohl darüber sprechen werde, wo China die Regeln trotz blumiger Worte nicht einhalte: etwa beim gegenseitigen Marktzugang oder Fragen des geistigen Eigentums.
DIHK-Chef Dercks fand denn auch, Merkels Reise komme zu einem wichtigen Zeitpunkt. China sei zum zweiten Mal in Folge Deutschlands wichtigster Handelspartner - allerdings: "Laut einer aktuellen DIHK-Umfrage bei den deutschen Unternehmen in China sehen 41 Prozent der Unternehmen die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen vor Ort als Risiko für die eigenen Geschäfte."
Gemeint sind Verunsicherungen für die Unternehmen etwa durch das Cybersicherheitsgesetz und das im Jahresverlauf erwartete Exportkontrollgesetz. Der deutsch-chinesische Handel hatte auch 2017 wieder zugelegt, allein in diesem Jahr um immerhin neun Prozent auf knapp 187 Milliarden Euro.
Eine Art Gastgeschenk
Noch kurz vor der Reise der deutschen Regierungschefin hatte China ihr eine Art Gastgeschenk übermittelt. Am Dienstag gab das chinesische Finanzministerium bekannt, die Steuer auf Importautos solle auf 15 Prozent von bisher 25 Prozent gesenkt werden. Profitieren werden davon nicht zuletzt deutsche Autobauer. Auch die Möglichkeit, ohne chinesische Partner auf dem gigantischen Automarkt des Landes aktiv zu werden, soll es nun geben. In China gilt bislang ein genereller Joint-Venture-Zwang mit chinesischen Firmen.
Europäische Firmen klagten in dem Zusammenhang über Probleme wie einem erzwungenen Transfer von Technologie für Firmen, die auf dem chinesischen Markt aktiv sein wollten. Dazu komme das Problem staatlicher Subventionen in vielen Bereichen, was die Konkurrenzsituation verzerre und Überkapazitäten der chinesischen Industrie, etwa im Stahlbereich.
Überhaupt Stahl und Europa - wer denkt da im Moment nicht an die USA und ihren erratischen Präsidenten? Der Wirtschaftsexperte des China-Instituts Merics, Mikko Huotari, sieht Deutschland und die EU in einer "höchst problematischen Doppelzange" durch die USA und China. Die Abkehr des US-Präsidenten von internationalen Abkommen sowie der verschärfte wirtschafts- und innenpolitische Kurs Chinas gefährde die Entwicklung. Die EU drohe Verlierer einer Verständigung zwischen den USA und China im Handelsstreit zu werden.
"Höchst problematischen Doppelzange"
Kein Wunder, dass Reisen der Bundeskanzlerin derzeit mit Argusaugen beobachtet werden. Denn obwohl Angela Merkel offiziell nur den Reigen an Antrittsbesuchen ihrer vierten Amtszeit hinter sich bringt, stellt sich bei den Visiten auch nach China stets die Frage, ob sich hier die künftige internationale Aufstellung in Großkonflikten ablesen lässt. In der aufstrebenden Weltmacht China findet Merkel bei ihrem Besuch Ansprechpartner vor, die sowohl bei Iran, Klima und - in eingeschränktem Maße - auch beim Handel eher europäische Positionen zu teilen scheinen.
Internationale Themen wie die Rettung des Atomabkommens mit dem Iran, so hieß es aus deutschen Regierungskreisen, stünden im Vordergrund der Beratungen Merkels mit Regierungschef Li Keqiang und Präsident Xi Jinping. Keine Frage, dass es dabei um geopolitische Knoten geht - aber es geht immer auch um Interessen deutscher Unternehmen. Die sind von den angedrohten US-Zöllen auf Importwaren betroffen wie auch durch die wieder aufgelegten US-Sanktionen gegenüber Iran.
Vorrangig beim Thema Iran, so deutsche Regierungskreise, sei, ob die Chinesen sich den angedrohten US-Sanktionen widersetzten - damit könnten sie Iran jene wirtschaftliche Hilfe garantieren, die das Land für den Verbleib im Atomabkommen fordert.
"Langfristig einfach nicht klug"
Es sei aber nun nicht so, dass trotz punktueller Übereinstimmungen mit China eine Front gegen die USA gebildet werde, wird in den Regierungskreisen betont. Auch deutsche Firmen sind trotz ihres großen Interesses am chinesischen Markt da sehr zurückhaltend. "Grundsätzlich bin ich nicht der Meinung, dass Deutschland und die EU, auch zusammen mit China, Schritte unternehmen sollten, die gegen die Vereinigten Staaten gerichtet sind", sagte etwa der Vorsitzende des Asien-Pazifik-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Hubert Lienhard, der Nachrichtenagentur Reuters. "Langfristig wäre das einfach nicht klug", fügte er mit Blick auf die Bedeutung des US-Marktes für die Firmen hinzu.
Die Gelassenheit gegenüber China schwinde in den deutschen Chefetagen, fasst die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" die Ergebnisse einer gerade unter gut 500 Entscheidern durchgeführten Umfage ("Elite-Panel") zusammen. Das Urteil über die Möglichkeiten deutscher Firmen in China falle zwiespältig aus, so das Blatt: "Zwar sind vier von fünf Befragten der Meinung, auf dem chinesischen Markt überwögen die Chancen die Risiken für die deutsche Wirtschaft. Zugleich zeigt sich aber auch mehr als die Hälfte 'etwas beunruhigt' über die zunehmende Abhängigkeit der deutschen Unternehmen von der chinesischen Nachfrage." Zwei Drittel der Befragten hielten es demnach für unrealistisch, dass China in absehbarer Zeit seinen Markt so stark öffnen werden wie die Deutschen den ihren. Der Handel deutscher Firmen mit China ist allerdings auch so stark gewachsen: allein innerhalb der letzten fünf Jahren um fast ein Viertel.
Ein Investitionsabkommen mit der EU
Beobachter pochen auch bei Wirtschaftsfragen im Verhältnis zu China immer wieder auf die Bedeutung der Europäischen Union. Der Chef des China-Instituts Merics, Sebastian Heilmann, fordert die Formulierung knallharter Interessenspolitik: "Die EU und China sollten jetzt die Verhandlungen über ein umfassendes Handels- und Investitionsabkommen forcieren - dies würde auch Druck auf die USA entfalten", sagte er im Reuters-Interview. Das wurde am Dienstag auch in Regierungskreisen gefordert.
Am Freitag wird die Bundeskanzlerin nach Shenzhen reisen. Dort will Merkel an der Eröffnung einer Innovations-Einrichtung der deutschen Außenhandelskammer teilnehmen. Auch ein Siemens-Werk und ein chinesisches Start-up-Unternehmen will sie besuchen. Auf ihrer Reise wird Merkel von einer 18-köpfigen Wirtschaftsdelegation begleitet.
Gespräche mit chinesischen Künstlern und Wissenschaftlern sind noch für Donnerstag geplant. Ob es wie üblich auch eine Zusammenkunft mit Menschenrechtlern geben wird, blieb zunächst offen. Bürgerrechtsanwälte wie Jiang Tianyong und Yu Wensheng, die Kanzlerin Angela Merkel bei früheren Besuchen in Peking persönlich kennengelernt hatte, wird sie nicht sprechen können. Sie sind in Haft.
ar/hb (dpa, rtr, ap, afp)