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Politik

Weniger Corona bitte!

DW MA-Bild Cristina Burack
Cristina Burack
19. Oktober 2020

Weniger Medienberichte über die Pandemie? Ja, bitte, sagt Cristina Burack. Denn die Situation ist zu ernst, als dass die Informationen, die wir wirklich brauchen, in einer Flut unnötiger Nachrichten untergehen dürfen.

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Nigeria Lagos | Coronavirus | Presse, Medien
Bild: DW/A. Dada

Es wird wieder Herbst auf der Nordhalbkugel. Doch es ist kein Herbst wie jeder andere. Denn in diesem Jahr geht er einher mit wieder steigenden Corona-Infektionszahlen. Aber haben wir das nicht alle erwartet? Und es ist doch klar, dass wir uns mit fallenden Temperaturen wieder mehr in Innenräumen aufhalten, dass es uns aber schwer fällt, die sozialen Kontakte, die wir in den warmen Sommermonaten mühsam wieder reaktiviert haben, jetzt wieder zurückzufahren.

Ob erwartet oder nicht: die explodierenden Infektionszahlen sind äußerst beunruhigend. Mit rund 100.000 Neuinfektionen pro Tag ist Europa nun für rund ein Drittel der weltweit neu auftretenden Fälle verantwortlich. All die verschiedenen Maßnahmen, die die europäischen Länder unternommen haben - Lockdowns, Maskenpflicht, reduzierte Öffnungszeiten und vieles mehr - haben das Virus nicht besiegen können.

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DW-Redakteurin Cristina BurackBild: DW/P. Böll

Dabei dachten wir, wir wären auf einem guten Weg. In den vergangenen Monaten haben Medienunternehmen auf der ganzen Welt einen Bericht nach dem anderen veröffentlicht. Sie haben versucht zu analysieren, warum in einigen europäischen Ländern die Infektionszahlen niedrig geblieben sind und welche Fehler diejenigen Länder gemacht haben, die besonders schwer von der Pandemie getroffen wurden. Was genau haben die Italiener richtig gemacht, dass sie bislang von einer zweiten Welle weitgehend verschont geblieben sind? War es Sorglosigkeit, eine vorschnelle Öffnung oder politische Inkompetenz, die in Spanien noch vor allen anderen europäischen Ländern zu genau dieser zweiten Welle geführt hat? Und was ist Deutschlands Erfolgsgeheimnis? Das typisch deutsche strikte Befolgen von Regeln, die besonders individualistische Kultur oder Angela Merkels magische Führungsqualitäten?

Wir sind erschöpft – auch dank der Medien

Viele dieser Erklärungsversuche steckten voller Stereotypen, und ehrlich gesagt: Ich glaube nicht, dass die endlose Suche nach einfachen Antworten in der Corona-Krise uns viel gebracht hat - außer dass uns immer bewusster wird, wie verzweifelt wir danach lechzen, dieses Virus endlich los zu sein. Und nach Monaten der Suche und der anhaltenden Fixierung auf Zahlen und Statistiken stellt sich doch so langsam eine Art Ermüdung ein. Eine Schlagzeile jagt die nächste, Nachrichtenticker beballern uns rund um die Uhr, jeder mögliche Aspekt des Virus wird beleuchtet, über alle möglichen Auswirkungen wird spekuliert. Da ist es kein Wunder, wenn die Menschen sich zunehmend emotional erschöpft fühlen - insbesondere dort, wo der Sommer ihnen keine Zeit zum Luftholen ließ, wie es für viele in Europa der Fall war.

Drei Personen mit Masken
Spanien war besonders betroffen - auch noch im SommerBild: Gabriel Bouys/AFP/Getty Images

Gerade weil die aktuelle Situation so ernst ist, sollten sich alle Medien - auch die Deutsche Welle, für die ich arbeite, bildet da keine Ausnahme - besonders kritisch damit auseinandersetzen, über welche Aspekte der Corona-Pandemie sie berichten wollen und warum. Welche Informationen brauchen die Leser, Hörer oder Zuschauer am nötigsten? Gibt es genug medizinisches Wissen über die Symptome? Wie können wir uns und andere schützen? Wie können diejenigen Hilfe bekommen, die sie am dringendsten brauchen? Und wie bekommen wir die Entscheidungsträger für ihr Management der Pandemie stärker in die Verantwortung?

Die Situation ist zu gefährlich, als dass wir es riskieren könnten, dass Menschen beginnen, einfach abzuschalten, weil sie mit einer wahren Flut unnötiger Informationen überschüttet werden. Und andere existenzielle Bedrohungen für Menschen weltweit - politische Verfolgung, Menschenrechtsverletzungen, gewalttätige Intoleranz - dürfen nicht wegen Corona aus den Nachrichten gedrängt werden. Das würde nur denjenigen in die Hände spielen, die versuchen, ihren Machtmissbrauch im Schatten der Pandemie fortzusetzen oder gar auszubauen.

Deutschland: Komplizierter als es aussieht

Ich habe auch eine besondere Anmerkung für alle nichtdeutschen Medien: Es ist einfach, die Situation hierzulande in idealistischer Weise zu verklären und uns ein erfolgreiches Krisenmanagement zu bescheinigen. In der Tat: Deutschland ist das Schlimmste bislang erspart geblieben. Aber wer weiß schon wirklich, ob das nun an einer günstigen Demographie und Bevölkerungsdichte lag, an angemessenen Maßnahmen zu einem frühen Zeitpunkt der Pandemie, am Glück, an einer Kombination aller dieser Faktoren oder vielleicht sogar an etwas ganz Anderem? Eine Regierungschefin zu haben, die auf die Wissenschaft hört, ja, die sogar selbst Wissenschaftlerin ist, ist sicher nicht verkehrt. Aber mit einer dezentralen, föderalen Struktur und einer Reihe streitlustiger Regionalfürsten stößt Angela Merkel an ihre Grenzen. Und Deutschland wird in Sachen Pandemieregeln immer mehr zum Flickenteppich.

Also steht das Urteil über Deutschlands Umgang mit der Pandemie noch aus. Vielleicht braucht die Welt auch gar kein Urteil. Vielleicht sollten wir uns - mit der Hilfe der Medien - einfach auf das konzentrieren, was den Unterschied ausmachen kann: Hände waschen, Masken tragen, Abstand halten. Und unsere Regierungen dazu zu drängen, denen zu helfen, die Hilfe am nötigsten haben. 

Lasst uns der Ermüdung kein weiteres Futter geben!