Die prominentesten Fälle von ermordeten Journalisten, die in den letzten Jahren die Öffentlichkeit aufschreckten, waren der Tod von Daphne Caruana Galizia in Malta und Jan Kuciak in der Slowakei. Beide führten zu Massendemonstrationen und dem Wechsel der Regierungen. Dann schockierte der Mord an Kriminalreporter Peter R. de Vries in diesem Sommer die Niederlande, wogegen im Frühjahr der Tod des griechischen Polizeireporters Giorgos Karaivaz kaum internationale Schlagzeilen machte.
Jetzt will die EU Journalisten besser schützen, aber das ist kaum mehr als eine hilflose Geste. Denn die Gründe sind strukturell und deuten auf ein tieferliegendes Versagen.
Der Sumpf von Korruption und organisierter Kriminalität
Der Bombenanschlag 2017 auf die maltesischen Investigativ-Journalistin schockte ihre Landsleute ebenso wie die weitere europäische Öffentlichkeit. Wie war mitten in Europa ein so öffentlicher Mord an einer Frau möglich, die sich dem Kampf gegen die Korruption in ihrer Heimat verschrieben hatte?
Die Aufklärung des Falles auf Malta kam erst in Gang als die EU sich einmischte und Journalisten-Kollegen die Hintergründe recherchierten. Inzwischen steht ein Oligarch, dessen Geschäften Galizia zu nahe gekommen war, als möglicher Drahtzieher vor Gericht. Aber es dauerte zwei Jahre bis die Regierung von Joseph Muscat endlich zurücktrat. Und ihre Nachfolger kommen aus der gleichen Partei. Da sind Zweifel an der Gründlichkeit der Aufklärung angebracht.
Der Fall von Jan Kuciak, der 2018 gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin von Auftragskillern brutal hingerichtet wurde, liegt ganz ähnlich. Auch in der Slowakei ging es um Korruption und die Verstrickung von Spitzenpolitikern in kriminelle Geschäfte, auch dort wurden zunächst die Ermittlungen verschleppt. Auch der slowakische Reporter soll Opfer eines Oligarchen geworden sein, dessen erster Prozess mit einem verblüffenden Freispruch endete. Inzwischen läuft gegen ihn das Berufungsverfahren.
Der Auftragsmord am niederländischen Kriminalreporter de Vries dagegen kam aus Kreisen der organisierten Kriminalität. Vermutlich von den gleichen Bossen, die schon den Mord an einem Anwalt und einem Belastungszeugen veranlasst hatten.
Hilflose Vorschläge
Wenn die EU jetzt den Mitgliedsländern Empfehlungen macht um Journalisten besser zu schützen, sind sie kaum mehr als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit. Hotlines und institutionelle Ansprechpartner für bedrohte Reporter sind dann völlig sinnlos, wenn sie den eigenen Behörden nicht trauen können. Das gilt vor allem für jene osteuropäischen Länder, wo die Verstrickung von korrupten Geschäftsleuten und der Politik zum System geworden ist und alle rechtsstaatlichen Sicherungen längst untergraben sind.
Bulgarien, Rumänien, Ungarn und andere sind Beispiele für das was Experten den "captured state" nennen - Staaten wo Politik, öffentliche Verwaltung, Justiz und kriminelle Geschäftsleute zu einem unauflösbaren Gestrüpp verwachsen sind. Dagegen kommen die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien nicht an und Journalisten recherchieren sich im Sinne des Wortes um Kopf und Kragen.
Umso größer war das Entsetzen in den Niederlanden als sich zeigte, dass die Behörden dort zwar im Normalfall funktionieren, die organisierte Kriminalität sich aber seit Jahren ungehemmt ausbreiten konnte und es wenig Versuche gab, die Gangs systematisch zu bekämpfen. In Griechenland wiederum war man weniger überrascht über eine solche "Balkanisierung" des Staates.
Das Versagen der Rechtsstaatlichkeit
Überall aber wo es um tief verwurzelte Korruption oder den Vormarsch des organisierten Verbrechens geht, versagt in den Ländern der EU der Rechtsstaat. Und Brüssel hat - um den politischen Frieden nicht zu gefährden - jahrelang schweigend zugeschaut, wie er in osteuropäischen Ländern systematisch unterwandert wurde. Erst jetzt hat die Brüsseler Kommission in Polen und Ungarn den Kampf gegen diesen Trend aufgenommen.
Da wo es unabhängige Justiz- und Polizeibehörden gibt, bietet das Strafrecht Journalisten normalerweise den gleichen Schutz wie allen Bürgern. Da wo die Politik den Rechtsstaat ausgehöhlt hat, können sie zum Freiwild werden. Und Europa wird es schwer haben, die Fehler der Vergangenheit auch nur im Ansatz zu korrigieren. Jetzt die Mitgliedsländern zum besonderen Schutz von Journalisten aufzurufen, ist nichts als Alibipolitik.