EU will Journalisten besser schützen
16. September 2021EU-Kommissarin Vera Jourova, zuständig für Werte und Transparenz, steht bei den Familien und Angehörigen der ermordeten Investigativjournalisten Daphne Caruana Galizia aus Malta und Jan Kuciak aus der Slowakei im Wort. Guarana war 2017 mit einer Autobombe getötet worden, weil sie Korruption bis hinein in die politische Führung Maltas offenlegte. Jan Kuciak wurde zusammen mit seiner Verlobten Martina Kusnirova 2018 erschossen, weil er Korruption und Filz zwischen Verbrechen und Politik in der Slowakei offenlegte. "Bei der Begegnung von Angesicht zu Angesicht mit diesen Familien der ermordeten Journalisten habe ich versprochen, dass ich etwas unternehmen werde, damit sich so etwas nicht wieder ereignet", sagte Vera Jourova, deren Empfehlungen zum Schutz von Journalisten sich an die 27 Mitgliedsstaaten richten.
Dass es Zeit wird etwas zu tun, zeigen neue Tötungsdelikte in diesem Jahr: Peter de Vries, Investigativjournalist in den Niederlanden, wurde im Juli nach dem Verlassen eines Fernsehstudios erschossen. Giorgos Karaivaz, Blogger und Journalist in Griechenland, im April von einem Mordkommando auf einem Motorrad getötet. Beide, de Vries und Karaivaz, berichteten über organisierte Kriminalität in ihren Ländern. Die EU-Kommission geht davon aus, dass seit 2015 insgesamt 14 Journalistinnen und Journalisten im Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet wurden.
900 Vorfälle im letzten Jahr
Mitarbeiter von Medien, die bedroht würden, müssten mehr Schutz bekommen, fordert die EU-Kommissarin Vera Jourova. "Kein Journalist sollte sterben oder geschädigt werden, weil er seinen Job macht." Die zunehmende Gewalt gegen Berichterstatter sei nicht auf wenige EU-Staaten beschränkt, sondern überall festzustellen. 900 Angriffe, Verletzungen, Beleidigungen und Belästigungen online und im realen Leben sowie angezündete Autos und verwüstete Wohnungen seien alleine im vergangenen Jahr in der EU registriert worden. Rund ein Drittel der Vorfälle ereigne sich bei der Berichterstattung über Demonstrationen, so Jourova. Auch Mitarbeiter der DW wurden bereits bei rechtsgerichteten Demonstrationen angegriffen - so zum Beispiel in Dresden 2015 und in Athen 2020.
In der Pandemie habe die Aggressivität bei Kundgebungen gegen Corona-Maßnahmen und -Impfungen zugenommen, beobachtet das "Media Freedom Rapid Response Project", das von vielen Journalistenverbänden in der EU unterstützt wird.
"Information ist ein öffentliches Gut. Wir müssen diejenigen schützen, die Transparenz erzeugen - die Journalisten", hatte Ursula von der Leyen, die Präsidentin der EU-Kommission, in ihrer Rede zur Lage Union vor dem Europäischen Parlament gesagt.
Mehr Schutz anbieten
Die EU-Kommission wendet sich mit ihrem Empfehlungen in einem ersten Schritt an die Mitgliedsstaaten. Sie sollen Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten mit Nachdruck verfolgen und bestrafen. Wenn nötig sollen die europäischen Ermittlungsbehörden Europol und Eurojust eingeschaltet werden. Die Zusammenarbeit zwischen Medienverbänden und Polizeibehörden müsse verstärkt und bedrohten Medienvertretern Personenschutz gewährt werden.
Die Mitgliedsstaaten sollten nationale Hilfszentren mit telefonischer, rechtlicher und psychologischer Beratung sowie Unterstützung durch IT-Experten bereitstellen. Journalisten sollten ihre Telefone und Internetkonten von Cyber-Experten prüfen lassen können, um herauszufinden, ob sie gehackt oder abgehört wurden. Der Verdacht des organisierten Abschöpfens von Daten besteht zum Beispiel gegenüber der ungarischen Regierung, die dazu die Spionagesoftware Pegasus genutzt haben soll.
Die Empfehlungen der EU-Kommission sind jedoch nicht bindend. In vielen Fällen misstrauen Journalisten gerade staatlichen Stellen, wenn sie zum Beispiel über Korruption berichten. Trotzdem ist EU-Kommissarin Jourova zuversichtlich, dass sie mir ihren Empfehlungen etwas verändern kann. "Das wird einen Unterschied machen, denn wir werden die Vorgänge sehr genau beobachten und immer wieder eindringlich zu Aktionen auffordern."
Mit der slowakischen Regierung sei sie in intensiven Gesprächen, sagte Jourova. Den slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa, der in seinen Tweets immer wieder Journalisten angreift und diffamiert, hat sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Juli zur Brust genommen. Jansa hatte vor allem auch weibliche Medienmitarbeiter attackiert.
73 Prozent der Online-Attacken richten sich gegen Frauen, so Vera Jourova. "Wir wissen, dass aus Online-Angriffen oft echte Gewalt werden werden kann." Deshalb wandte sie sich in ihrer Pressekonferenz noch einmal indirekt an Premier Jansa und andere Populisten. "Lassen Sie mich da ganz klar sein. Es ist inakzeptabel, wenn Gewaltaufrufe aus dem Mund oder aus den Tweets politischer Führungsfiguren kommen."
Gesetz zur "Medienfreiheit" geplant
In einem zweiten Schritt will die EU-Kommission im kommenden Jahr ein Gesetz zur "Freiheit der Medien" auf den Weg bringen, dass sich dann auch gegen staatliche Einflussnahme und die Beschneidung der Pressefreiheit - wie etwa in Ungarn oder Polen geschehen - richten soll. Ein ähnliches EU-Gesetz ist auch gegen eine diskriminierende nationale Gesetzgebung geplant, die die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen und anderen Meinungsbildnern beschneidet.
Der Europäische Journlistenverband (EFJ) begrüßt, dass sich die EU-Kommission zum ersten Mal überhaupt auf höchster Ebene um die Pressefreiheit in der EU kümmert. "Wir haben die Kommission aufgefordert, sich auch mit der Polizeigewalt gegen Journalisten zu befassen und einen Dialog zwischen den Mitgliedsstaaten und Medienverbänden zu starten", sagte der Generalsekretär des EFJ, Ricardo Gutierrez, in Brüssel. Die EU sollte jedes Jahr die Pressefreiheit in den Mitgliedsstaaten überprüfen, so Gutierrez. "Es ist höchste Zeit, die EU-Staaten beim Namen zu nennen, die nichts oder fast nichts tun, um Journalisten zu schützen."