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Politik

Keinen Rufmord bitte!

6. Oktober 2020

Der Lagebericht zu Rechtsextremisten ist eindeutig: Polizei, Verfassungsschutz, BND und andere Behörden haben zwar Demokratie-Feinde in ihren Reihen. Aber Pauschalurteile helfen nicht weiter, meint Marcel Fürstenau.

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Deutschland Erfurt Januar 2020 | Combat 18-Razzia
Polizisten bekämpfen Rechtsextremisten, wie hier bei einer Razzia 2020 in Erfurt; es gibt aber auch Rechtsextremisten in Uniform Bild: picture-alliance/dpa/J.U. Koch

377 rechtsextremistische Verdachtsfälle meldeten die Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern - für den Zeitraum von Januar 2017 bis März 2020. "Jeder Fall ist eine Schande", sagt Bundesinnenminister Horst Seehofer. Recht hat er. Denn Staatsdiener, die einen Eid auf die deutsche Verfassung geschworen haben, müssen vorbildliche Verteidiger der Demokratie sein. Deshalb darf nicht der geringste Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit bestehen. Und an ihrer Bereitschaft, die Demokratie jeden Tag gegen ihre Feinde zu verteidigen.

Dass es trotzdem braune Schafe in ihren Reihen gibt, ist bei Lichte betrachtet unvermeidbar. Der eine oder andere Nazi, Rassist oder Antisemit wird es trotz aufwändiger Bewerbungsgespräche und Sicherheitsüberprüfungen immer in den Staatsdienst schaffen. Worauf es dann ankommt ist, sie aufzuspüren, wenn sie in Chat-Gruppen ihr Unwesen treiben, Waffen horten und sich mit Gleichgesinnten vernetzen. Und dieser Selbstreinigungsprozess scheint in jüngster Vergangenheit ganz gut zu klappen.

Der Wind von rechts darf kein Sturm werden

Auf den ersten Blick sind Meldungen über rechtsextremistische Umtriebe in der Polizei, bei der Bundeswehr oder wo auch immer alarmierend, weil sie das Vertrauen in den Rechtsstaat untergraben. Auf den zweiten Blick sind sie aber auch und nicht zuletzt Beleg dafür, dass die deutschen Sicherheitsbehörden kein Auge zudrücken, wenn in ihren eigenen Reihen der Wind aus der rechten Ecke bläst. Dass daraus kein Sturm wird, sind sie der ganzen Gesellschaft und sich selbst schuldig. Doch trotz aller Bemühungen des deutschen Innenministers und der Behördenchefs werfen Kritiker ihnen vor, das Problem zu verharmlosen.

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
DW-Redakteur Marcel FürstenauBild: DW

Manche sprechen sogar von einem strukturellen Problem. Beides ist in dieser pauschalen Form unzutreffend. Wenn der Präsident der Bundespolizei, Dieter Romann, den 44 Verdachtsfällen in seiner Behörde die Mitarbeiter-Zahl von gut 51.000 gegenüberstellt, ist das mehr als sein gutes Recht. Denn 0,09 Prozent Verdachtsfälle in der gesamten Belegschaft sind zwar immer noch 0,09 Prozent zu viel, aber auch kein Grund, die gesamte Bundespolizei unter Generalverdacht zu stellen. 0,09 Prozent ist weniger als ein Tausendstel.

Der Lagebericht ist keine Eintagsfliege

Auch der Vorwurf, der auf Anregung des Bundesinnenministers und federführend vom Verfassungsschutz erstellte Lagebericht zu Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden sei nichts weiter als fragwürdige Statistik, zielt ins Leere. Denn alle Beteiligten betonen, dass dem Zahlenwerk nun die Analyse folgen werde. Der Bericht ist also kein Eintagsfliege, um von tieferliegenden Problemen abzulenken, sondern lediglich der Auftakt zu einem auf Dauer angelegten kritischen Blick auf das eigene Personal. Ein Blick, der sogar auf den gesamten Öffentlichen Dienst ausgedehnt werden soll.

Dass Innenminister Seehofer statt einer auf die Polizei beschränkten Rassismus-Studie eine für die ganze Gesellschaft plant, ist ebenfalls kein Ablenkungsmanöver, wie seine Kritiker meinen. Denn was spricht dagegen, alle in den Blick zu nehmen? Rassismus gibt es überall, also sollte auch überall hingeschaut werden. Das Herauspicken einzelner Berufsgruppen wie Polizei oder Bundeswehr wäre nichts anderes als eine Stigmatisierung. Dass sich der Innenminister und die Behördenchefs dagegen wehren, spricht für sie.

Gute Chefs stellen sich vor ihre Belegschaft

So dringend notwendig es ist, vor der Haustür zu kehren, so wichtig und richtig ist es, sich schützend vor die eigene Belegschaft zu stellen. Gute Führungskräfte verteidigen ihr Personal vor verallgemeinernden, oft unberechtigten, mitunter sogar rufschädigenden Angriffen. Und gute Führungskräfte tun alles dafür, in begründeten Verdachtsfällen Extremisten jeglicher Couleur aus dem Dienst zu entfernen - notfalls mit Hilfe der Justiz. In dieser Hinsicht haben in der Vergangenheit nicht alle Verantwortlichen überzeugend gehandelt. Die, die jetzt das Sagen haben, machen vielleicht nicht alles richtig - aber vieles.

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Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland