Auf den ersten Blick irritiert und verunsichert der Konflikt zwischen Gesundheitsminister Jens Spahn und der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert Koch-Instituts mit ihrem Vorsitzenden Thomas Mertens. Es geht um die Frage: Soll gesunden Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren empfohlen werden, sich gegen Corona impfen zu lassen oder nicht?
Wohlgemerkt: Es geht NICHT um die Frage, ob es den jungen Leuten grundsätzlich erlaubt oder verboten werden soll, sich impfen zu lassen. Das hat die Europäische Zulassungsbehörde EMA längst gelöst. Zwei Impfstoffe sind bereits seit längerem auch für Jugendliche zugelassen. Es geht nur um eine Empfehlung und damit verbunden um die Frage, ob die Politik den Kindern und Eltern die Entscheidung leichter machen soll, indem sie zum Beispiel Impfteams in die Schulen schickt.
Mediziner haben Patienten im Blick
Thomas Mertens beharrt darauf, dass seine Kommission ihre Empfehlung auf rein medizinischer Grundlage trifft und sich von der Politik auch nicht bevormunden lässt. Gut, das ist ihre Aufgabe und ihr gutes Recht!
Die STIKO trifft eine Abwägung mit Blick die jeweiligen Menschen: Ist das individuelle Risiko einer Infektion mit einem schweren Krankheitsverlauf so hoch, dass jemand geimpft werden muss?
Für Kinder und Jugendliche mit Vorerkrankungen bejaht die STIKO das. Für alle anderen in dieser Altersgruppe nicht. Bei ihnen ist es eben nicht so schlimm, wenn sie mal COVID-19 bekommen. Die Krankheit kann im Regelfall ohne ärztliche Hilfe auskuriert werden und nur selten bleiben Folgeschäden.
Politiker sind für die ganze Gesellschaft verantwortlich
Doch die Bundesregierung muss viel mehr Faktoren abwägen und in ihre Entscheidung einfließen lassen als die STIKO. Und deshalb kann und darf sie auch zu einem ganz anderen Ergebnis kommen. Sie muss die ganze Gesellschaft im Blick behalten und nach Möglichkeit verhindern, dass sich ein Lockdown wie in den zurückliegenden Monaten noch einmal wiederholt. Dazu muss sie viele Interessen berücksichtigen:
Produktion und Handel sollen wieder anlaufen, die Kindergärten und Schulen sollen öffnen - und zwar möglichst mit Regelunterricht in Präsenz, weil das für die Entwicklung der Kinder wichtig ist. Restaurants und Hotels wollen wieder Gäste ohne Einschränkungen bewirten. Künstler möchten auftreten und Event-Veranstalter und Sportvereine möglichst wieder an dem normalen Leben anknüpfen, das Anfang vergangenen Jahres so jäh unterbrochen und eingefroren wurde.
All das brauchen wir auch dringend für unsere Volkswirtschaft, die dieses Jahr erstmals seit langem in eine heftige Inflation zu schlittern droht.Das Ruder rumreißen geht nur mit einer konsequenten Politik: Ansteckungen mit dem Coronavirus müssen überall da verhindert werden, wo es nur irgendwie geht.
Schulen als Hotspots für Superspreader
Und gerade weil Infektionen bei jungen Menschen oft symptomfrei verlaufen, müssen wir uns endlich der Wahrheit stellen: Schulklassen mit 30 und Schulen mit bis zu 1.000 Schülern sind einfach potenzielle Hotspots für Superspreader. Die Viren bleiben ja nicht in der Schule - sie gelangen von dort wieder in die Familien, in Busse und Bahnen, Theater, Fußballarenen, Altersheime und so weiter.
Die Tatsache, dass die Delta-Variante hochansteckend ist, wie die Masern, macht die Sache noch schlimmer. Und was ist, wenn die Lambda-Variante uns auch noch erreicht? Das kann bisher niemand sagen. Es gibt erste Indizien dafür, dass sie vielleicht gar nicht mehr auf die Impfungen anspricht.
Wir können aber eindeutig sagen, dass es mittlerweile genug Impfstoff gibt, um auch Kinder und Jugendliche zu impfen. Ihnen und ihren Eltern genau das nahezulegen und möglichst unkompliziert eine Impfung zu ermöglichen, zeugt von Verantwortung - nicht nur gegenüber den jungen Menschen, sondern gegenüber der ganzen Gesellschaft.