Nein, Facebook darf nicht vorschreiben, ob Menschen unter ihrem echten Namen auf der Plattform posten oder nicht. Das ist die Kernbotschaft der Richter des Bundesgerichtshofs: Am Donnerstag entschied der BGH, dass der Social-Media-Riese im Jahr 2018 zu Unrecht die Konten zweier deutscher Nutzer sperrte, weil sie nicht ihre richtigen Namen verwendet hatten.
Das ist eine gute Entscheidung, und sie sendet ein starkes Signal aus: Das Problem von Hass und Hetze im Netz ist real - aber man löst es nicht, indem Menschen ihren vollen Namen verwenden müssen. Schlimmer noch: Eine solche Pflicht zum Klarnamen könnte am Ende zu Lasten von Minderheiten und einigen der schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaften gehen.
Kollateralschaden
Die Debatte darüber, ob Menschen ihre Namen online preisgeben sollten oder nicht, ist so alt wie das Internet. Befürworter wie Facebook argumentieren, dass Menschen dadurch mehr Verantwortung für ihre Taten und Aussagen übernähmen. Aber ob das stimmt, bleibt umstritten. Und selbst wenn - und wir sprechen hier von einem sehr großen "wenn" - eine Klarnamenpflicht einige Nutzer davon abhalten sollte, Hassrede und illegale Inhalte zu posten, überwiegt der Schaden dennoch die Vorteile.
Nicht selten nutzen Forschende, Aktivisten oder Schriftsteller in autoritären Regimen Pseudonyme, um sich, ihre Arbeit oder ihre Angehörigen zu schützen. Und selbst in stabilen Demokratien wie Deutschland finden Menschen Zuflucht in der Anonymität des Internets - seien es Missbrauchsopfer, die Unterstützung suchen; Suchtkranke, die sich über Hilfsangebote informieren; oder queere Jugendliche, die Gleichgesinnte suchen. Eine Klarnamenpflicht würde all dies in Sozialen Medien unmöglich machen.
Um es klar zu sagen: Politik und Strafverfolgungsbehörden haben viel zu lange viel zu wenig getan, um Hass im Internet zu bekämpfen, und das muss sich ändern. Aber es ist falsch zu glauben, dass Anonymität im Netz die Wurzel des Problems sei.
Was stattdessen zu tun ist
Um Hass wirksam zu bekämpfen, muss man an anderer Stelle ansetzen: Menschen müssen verstehen, dass alles, was sie online sagen, die gleichen Konsequenzen haben kann, wie in der analogen Welt. Strafverfolgungsbehörden müssen Online-Plattformen dafür besser im Blick haben - nicht nur die Social Media-Giganten wie Facebook, sondern auch kleinere Plattformen wie Telegram.
So wie Polizeiautos auf Streife fahren, sollten geschulte Beamte in einschlägigen Online-Gruppen regelmäßig patrouillieren. Die Ankündigung der Bundespolizei von dieser Woche, eine Telegram-Task Force einzurichten, ist ein Schritt in diese Richtung. Und Behörden müssen dafür sorgen, dass Hass und Hetze in Ermittlungsverfahren münden und schlussendlich auch vor Gericht landen. So setzt man den Rechtsstaat im Internet durch - und nicht, indem man Menschen zwingt, ihren vollen Namen preiszugeben.
Die BGH-Richter scheinen das verstanden zu haben. Faktisch hat ihr Urteil, das sei betont, aber lediglich begrenzte Auswirkungen: Es gilt nämlich nur für Altfälle vor Mai 2018, als neue europäische Datenschutzregeln in Kraft traten. Aber es sendet ein wichtiges Signal: Es ist ein Plädoyer für Anonymität im Netz.