Deutschland sagt Hass auf Telegram Kampf an
20. Januar 2022Im Januar 2022 postete ein Telegram-User ein Foto von Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in einer lokalen Gruppe der "Querdenker"-Bewegung. "Sie wird abgeholt, entweder mit dem Streifenwagen oder … dem Leichenwagen, egal wie sie wird abgeholt", stand darunter. Wochen zuvor waren Demonstrierende gegen Corona-Kontaktbeschränkungen auf Schwesigs Wohnhaus zumarschiert, wurden aber von der Polizei gestoppt.
Die Behörden gaben ein paar Tage später bekannt, wegen der Morddrohung zu ermitteln. Aber Landesinnenminister Christian Pegel musste einräumen, dass es kompliziert würde, den Autor zu finden. "Es wird zumindest schwierig, wenn wir auf Telegrams Hilfe angewiesen sind", sagte er.
Der Vorfall illustriert, wie schwer Deutschland sich damit tut, gegen Hass und Hetze auf der App - die sich oft gegen Politiker, Journalisten und Aktivisten richtet - vorzugehen. Anders als große Social-Media-Plattformen wie Facebook oder YouTube weigert sich das Unternehmen, mit Behörden zusammenzuarbeiten.Als Reaktion hat die Bundesregierung harte Maßnahmen angekündigt.
"Auch für Telegram gelten unsere Gesetze" oder es drohten Millionenstrafen, sagte FDP-Bundesjustizminister Marco Buschmann. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fügte hinzu, dass ihre Regierung eine Sperrung der App als "Ultima Ratio" in Betracht ziehen könnte.
Ein härteres Vorgehen sei überfällig, so Technologie-Experten. Aber sie warnen auch, dass strengere Regeln allein das Problem nicht lösen. "Es braucht sehr viel mehr Kompetenz bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften, um dem stärker nachzugehen," sagte Josef Holnburger, Co-Direktor des gemeinnützigen Center for Monitoring, Analysis and Strategy (CeMAS) in Berlin.
Wie Telegram zur Brutstätte von Hass wurde
Telegrams Weigerung, mit Behörden zusammenzuarbeiten ist quasi Teil seiner DNA. Das Unternehmen wurde 2013 von den russischen Unternehmern Pavel und Nikolai Durov mit dem Versprechen gegründet, dass Regierungen weder Nachrichten mitlesen noch Inhalte zensieren könnten. Seitdem haben Oppositionelle von Weißrussland bis in den Iran Telegram genutzt, um ihre Arbeit zu organisieren und sich über staatliche Repression auszutauschen.
Parallel wurde der Messenger jedoch zunehmend zum Auffangbecken von Verschwörungstheoretikern und Extremisten – insbesondere nachdem viele ihrer Konten auf größeren Social-Media-Plattformen geblockt wurden. Als Facebook und Instagram 2018 Accounts der rechtsradikalen Identitären Bewegung löschten, folgten laut einer CeMAS-Datenanalyse viele Nutzer der Gruppe in Deutschland zu Telegram. Das gleiche Phänomen ließ sich beobachten, als Facebook im Frühjahr 2020 eine radikale Gruppe von Corona-Gegnern blockierte.
Gleichzeitig wurde Telegram in Deutschland immer beliebter: Zwischen 2018 und 2021 stieg der Anteil der Messenger-Nutzer, die Telegram regelmäßig nutzen, laut einer Statista-Umfrage von sieben Prozent auf 15 Prozent.
So wurde Telegram in den letzten zwei Jahren zu einer wichtigen Plattform für Corona-Gegner, um ihre Aktivitäten zu organisieren - einschließlich der Proteste, die oft in Gewalt mündeten. Im August 2020 versuchte ein Mob, den Deutschen Bundestag zu stürmen, nachdem sich auf Telegram falsche Gerüchte verbreitet hatten, dass die Polizei bei der Auflösung der Demonstration die Verfassung gebrochen habe.
Ein Jahr später wurde ein Journalist bei einem Protest in Berlin von seinem Fahrrad gezerrt und geschlagen. Sein Foto war zuvor auf Telegram geteilt worden. Und im Dezember 2021 organisierten Demonstrierende über die App einen Fackelmarsch zum Haus von Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping in der Kleinstadt Grimma. Telegram ließ eine DW-Interviewanfrage und einen Fragenkatalog unbeantwortet.
Vom Messengerdienst zum sozialen Netzwerk
Berlin ist mit seinem Telegram-Problem nicht allein. Rund um die Welt verbreiten sich Hass und illegale Inhalte zunehmend über den Messengerdienst. Aber es scheint kein Zufall, dass die Debatte, wie damit umzugehen sei, in Deutschland geführt wird.
Deutschland hat weltweit einige der strengsten Regeln dahingehend, was als Teil eines demokratischen Diskurses gesagt werden darf und was nicht. Diese Gesetze wurden größtenteils Ende der 1950er-Jahre als Reaktion auf die Nazi-Vergangenheit des Landes entworfen - also darauf, dass der Aufstieg des Nationalsozialismus durch aufrührerische Propaganda befördert worden war. Bis heute drohen in Deutschland bei Hassrede und Volksverhetzung Gefängnisstrafen.
2017 verabschiedete Berlin ein Gesetz, mit dem es diese Regeln an das Zeitalter des Internets anpassen wollte. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, kurz NetzDG, verpflichtet seitdem große Social-Media-Plattformen, illegale Inhalte schnell zu entfernen, sonst drohen hohe Bußgelder. Aufgrund einer Ausnahmeregel für Dienste, die ausschließlich für Individualkommunikation genutzt werden, war allerdings unklar, ob das Netzwerkdurchsetzungsgesetz auch für Telegram gilt.
Aber diese Einschätzung hat sich geändert: Eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums bestätigte gegenüber der DW, dass die Behörde Telegram "als soziales Netzwerk" betrachtet. Dies liegt unter anderem daran, dass der Messengerdienst seit seiner Gründung mehrere zentrale Funktionen großer Plattformen übernommen hat.
Auch wenn Telegram heute nach wie vor wie andere Messenger-Apps aussieht, fungiert es in vielerlei Hinsicht als soziales Netzwerk: In öffentlichen Kanälen können Nutzer zum Beispiel Inhalte mit einer unbegrenzte Anzahl von Followern teilen. "Die Vorgaben des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes sind daher auch für Telegram verbindlich", so die Sprecherin.
Das schließt auch eine neue Meldepflicht ein, die am 1. Februar in Kraft tritt: Ab dann müssen Plattformen besonders schwerwiegende Fälle illegaler Inhalte wie Morddrohungen oder Volksverhetzung direkt an Strafverfolgungsbehörden melden.
Telegram drohen millionenschwere Bußgelder
Berlins nächste Herausforderung besteht also darin, Telegram dazu zu bringen, sich an diese Regeln zu halten. Bisher gibt es nur sehr wenig bestätigte Fälle, in denen die Firma mit Behörden zusammengearbeitet hat. 2019 gab beispielsweise die Polizeibehörde Europol bekannt, sie kooperiere mit Telegram im Kampf gegen terroristische Inhalte.
Deutschland war bisher weniger erfolgreich: Im vergangenen April schickte die Bundesregierung zwei Schreiben an Telegrams operatives Hauptquartier in Dubai. Darin forderte sie das Unternehmen auf, einen Ansprechpartner in Deutschland zu benennen und es Nutzern leichter zu machen, illegale Inhalte zu melden - zwei zentrale Komponenten des Netzwerkdurchsuchungsgesetzes. Telegram hat jedoch nie geantwortet.
Hinter den Kulissen stehen Regierungsmitarbeiter seitdem in engem Kontakt mit ihren Kollegen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um den Druck auf Telegram zu erhöhen. Sollten weitere Versuche, das Unternehmen zur Zusammenarbeit zu bewegen, ebenfalls scheitern, könnte Berlin Bußgelder von bis zu 55 Millionen Euro verhängen.
Neue Innenministerin kündigt hartes Durchgreifen an
Auf der politischen Bühne sorgte währenddessen Innenministerin Faeser für Schlagzeilen, als sie als letztes Mittel vorschlug, die App ganz zu verbieten. Experten sagen allerdings, dass das sowohl technisch schwierig sei und sogar verfassungswidrig sein könnte. Gleichzeitig warnen sie, dass - selbst wenn Behörden Telegram zur Zusammenarbeit bewegen sollten - die Ursachen für den Hass im Netz dadurch nicht bekämpft würden.
"Regulierung des Digitalen löst keine analogen Probleme per se", sagte Ann Cathrin Riedel, Vorsitzende des Vereins für liberale Netzpolitik. "Radikale Gedanken gehen ja nicht weg, wenn ich Menschen den Messenger wegnehme. Die suchen sich einfach eine andere Plattform." Menschen müssten auch lernen, dass das, was sie online schreiben, die gleichen Konsequenzen hat wie das, was sie in persönlichen Gesprächen sagen, so Riedel. Politikwissenschaftler Holnburger fügt hinzu, dass deutsche Strafverfolgungsbehörden auch besser darin werden müssten, Messengerdienste zu überwachen.
"Bei einem Raubüberfall im Park bekommt die Polizei auch nicht vom Parkbetreiber den Namen der Räuber", sagte er. "Da muss sie selbst Ermittlungen führen, um die Täter zu finden, und das Gleiche ist auch im Digitalen möglich." Zu oft verlasse sich die Polizei heute noch auf Hinweise durch Wissenschaftler, Journalisten oder Aktivisten - so auch bei der Morddrohung gegen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig.
Der Beitrag erlangte erst Aufmerksamkeit, nachdem ein regionaler Gesetzgeber einen Screenshot auf Twitter gepostet hatte. Josef Holnburger: "Ich glaube nicht, dass die Polizei diesen Post sonst wahrgenommen hätte."