Für die Betrachtung über Sinn und Unsinn des Cannabisverbots möchte ich Sie zu einem Gedankenexperiment einladen: Stellen Sie sich vor, Sie gehen in einen Supermarkt und wollen Alkohol kaufen. Aber dort gibt es nur Regale mit Flaschen ohne Etikett. Bestenfalls geben die Form der Flaschen, die Farben der Flüssigkeiten Hinweise, was genau drin ist. Vielleicht ist es ein 20 Jahre alter Whiskey, vielleicht ein schales Bier, vielleicht selbst gebrannter Fusel, von dem man blind wird. Dass der Supermarkt an einem der dunkelsten und gefährlichsten Orten der Stadt liegt, kommt noch dazu.
Dass mit so einem Handelssystem niemandem gedient ist, ist offensichtlich - der allgemeinen Gesundheit so wenig wie dem Jugendschutz. Aber so ähnlich stellt sich die Situation für Cannabis-Konsumenten dar. Aus Umfragen weiß man, dass in Deutschland rund jeder Dritte mindestens einmal in seinem Leben illegale Drogen konsumiert hat; Cannabis ist die mit Abstand am weitesten verbreitete. Bislang zwingt eine überkommene Gesetzgebung aber jeden, der kiffen will, sich auf einem kriminellen, undurchsichtigen Schwarzmarkt zu versorgen: Null Kontrolle über Qualität, Wirkstoffgehalt, Beimengungen, Streckmittel, während sich das organisierte Verbrechen an den Umsätzen mästet.
Der Krieg gegen Drogen ist ein Krieg gegen ihre Nutzer
Dazu kommt die Strafandrohung. Dass die nicht leer ist, zeigt ein Blick in das neueste Bundeslagebild Rauschgiftkriminalität des Bundeskriminalamtes. Von den knapp 400.000 registrierten Drogendelikten werden drei Viertel als "konsumnahe Delikte" aufgeführt. Allein diese Zahl zeigt: Der Krieg gegen Drogen ist auch in Deutschland vor allem ein Krieg gegen Drogennutzende. Ein Krieg mit beträchtlichen Kollateralschäden, der gar nicht zu gewinnen ist. Wie absurd das Ziel einer drogenfreien Gesellschaft ist, zeigt schon, dass selbst in totalitären Staaten oder in Gefängnissen Drogen verfügbar sind. Die Argumente der Verbotspolitik klingen so ähnlich, als würden Gesundheitspolitiker im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten und HIV-Infektionen allein auf Abstinenz setzen. Die ist zwar sicher der beste Schutz vor Ansteckung. Aber kaum jemand will sexuell enthaltsam leben. Aufklärung und Kondome verteilen bringt mehr.
Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass die Unterhändler der Ampel-Koalition sich anscheinend darauf geeinigt haben, Cannabis zu legalisieren und zu regulieren. Dieser Schritt war erwartbar, denn die Positionen von Grünen, FDP und SPD lagen schon vor der Bundestagswahl relativ nah beieinander. Diese Entscheidung markiert die Abkehr von überkommenen Dogmen und die Anerkennung einer komplexen Realität. Und die ist eben: Es wird trotz Verbot massenhaft gekifft - gerade auch von den Jugendlichen, welche die Prohibitionsbefürworter mit ihrer gescheiterten Verbotspolitik eigentlich schützen wollen. Cannabis ist längst in der deutschen Gesellschaft angekommen. Eine moderne Drogenpolitik versucht, intelligent mit dieser Situation umzugehen. Sie kriminalisiert Konsumenten nicht, sie schützt sie; sie betreibt Aufklärung, bietet im Bedarfsfall Hilfe an. Denn natürlich ist Cannabis nicht ungefährlich. Wie jede andere wirkmächtige Substanz birgt auch Cannabis Risiken, Wirkungen und Nebenwirkungen.
Menschen können allerdings lernen, mit diesen Risiken umzugehen; sie können Drogenkompetenz erwerben, so wie es den meisten mit Alkohol gelingt und den allermeisten Cannabiskonsumenten eben auch. Diese Kompetenz wächst am besten in einem Umfeld, das nicht von Tabus und Strafandrohung geprägt ist. Das Drogen nicht pauschal verteufelt, sondern mit nüchternem Blick auf die Gefahren anerkennt: Sie haben auch positive Seiten - Genuss, Erkenntnis, Ekstase, Heilung. Es geht um Risikominimierung.
Prävention finanziert sich selbst
Deshalb ist der Ansatz richtig, nicht nur den Konsum zu entkriminalisieren. Kiffer müssen auch eine sichere und legale Möglichkeit zum Bezug der Substanz haben. Und auch als dreifacher Vater sage ich: Mir ist lieber, der Staat oder von ihm kontrollierte Geschäfte treten als Händler auf, als Mitglieder der organisierten Kriminalität. Geld für umfassende Präventions- und Hilfsprogramme würde die Legalisierung und Regulierung selbst erwirtschaften. Eine neue Studie der Universität Düsseldorf hat errechnet: Einnahmen aus der Besteuerung von Cannabis und Einsparungen bei der Strafverfolgung würden sich auf knapp fünf Milliarden Euro pro Jahr belaufen.
Die Legalisierung von Cannabis ist nicht nur ein Gesundheitsthema. Sie ist im Kern ein Bürgerrechtsthema. Eine Gesellschaft, die sich Diversität auf ihre Fahnen geschrieben hat, sollte auch aushalten, wenn jemand dem Feierabendbier den Joint vorzieht.