Cannabis: Kommt jetzt die Legalisierung?
12. Oktober 2021Die Chance auf eine Legalisierung von Cannabis in Deutschland war wohl noch nie so groß wie derzeit. Nach der Bundestagswahl vom 26. September loten SPD, Grüne und FDP derzeit in Sondierungsgesprächen aus, ob sie gemeinsam eine neue Regierung bilden, eine sogenannte Ampel-Koalition nach den jeweiligen Parteifarben. Die liberale FDP und die Grünen sind klar für eine Legalisierung von Cannabis und den regulierten Verkauf. Die Sozialdemokraten befürworten zumindest eine "regulierte Abgabe" an Erwachsene in Modellprojekten.
Die Grünen hatten bereits 2015 und 2020 als Oppositionspartei versucht, ein Gesetz zum kontrollierten Verkauf von Cannabis durch den Bundestag zu bringen. Damit sollten der Schwarzmarkt ausgetrocknet, der Jugendschutz gewährleistet, Polizei und Justiz entlastet und Steuern für Prävention und Behandlung eingenommen werden. Der Bundestag lehnte den Gesetzentwurf allerdings jeweils ab.
Volksdroge Cannabis
Nun, wo eine Regierungsbeteiligung von Grünen und FDP immer wahrscheinlicher wird, dürfte wieder Bewegung in die Debatte kommen. Auch weil ein halbes Jahrhundert "Krieg gegen Drogen" weder die Nachfrage noch das Angebot in irgendeiner Form reduziert hat. Selbst die Corona-Pandemie hat dem florierenden Schwarzmarkt nichts anhaben können, wie ein Mitte Juni veröffentlichter Bericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, EMCDDA, hervorhob.
Allen Verboten zum Trotz haben EMCDDA-Zahlen zufolge fast 30 Prozent der erwachsenen Europäer in ihrem Leben mindestens einmal zum Joint oder Pfeifchen gegriffen. "Die mit großem Abstand am weitesten verbreitete Droge unter Jugendlichen ist Cannabis", stellte vergangene Woche die Drogenbeauftragte der noch amtierenden Bundesregierung, Daniela Ludwig von der CSU in ihrem aktuellen Bericht, fest. Mehr als ein Viertel der Deutschen zwischen 15 und 64 Jahren haben schon einmal gekifft. Cannabis scheint in der Gesellschaft nicht nur angekommen, sondern fest verankert.
Suche nach neuen Wegen
Deshalb stellen nicht mehr allein Strafrechtler, Kriminologen, Polizisten und Sozialarbeiter die Verbotspolitik in Frage. Auch in der Politik wird seit langem darüber gestritten, ob Polizei und Staatsanwaltschaft die geeigneten Instrumente sind, um die Gesundheit der Menschen zu schützen. Die Diskussion wird befeuert von einem internationalem Trend: In mehr als einem Viertel der US-Bundesstaaten können Erwachsene sich mittlerweile legal mit dem begehrten Stoff eindecken. Ebenso in Kanada und Uruguay. In Deutschland ist der Handel verboten, der Anbau bislang nur testweise zu medizinischen Zwecken erlaubt.
Vier der sechs Parteien, die wieder in den Deutschen Bundestag eingezogen sind, setzen sich hierzulande für ein Ende der Prohibition ein. Bei allen Unterschieden im Detail: Sowohl Grüne wie FDP, die Linke und auch die SPD erklären die derzeitige, auf Verboten basierende Drogenpolitik für gescheitert. Sie alle plädieren für neue Wege. Die Stichpunkte sind dabei Legalisierung, Entkriminalisierung und Regulierung.
Wieland Schinnenburg, drogenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, sprach im DW-Interview im Juni von rund vier Millionen regelmäßigen Cannabis-Konsumenten in Deutschland. Die überlasse man dem Schwarzmarkt, kritisiert Schinnenburg. Dort erhielten sie völlig ungesicherte Qualität. Außerdem entgehe dem Staat sehr viel Geld, bemängelt der Liberale weiter. "Wenn man das offiziell verkaufen würde, würde der Staat auch Steuern einnehmen, die man sehr gut ausgeben könnte für Prävention und Therapie."
Kriminalisierte Konsumenten
Dass da große Summen zusammenkommen könnten, hatte 2018 der Düsseldorfer Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap in einer Studie errechnet. Den kombinierten Effekt von Einsparungen bei der Polizei und Justiz einerseits und Steuereinnahmen andererseits hatte Haucap auf 2,6 Milliarden Euro beziffert.
Als "überfällig" bezeichnet Heino Stöver die neuen Impulse in der Drogenpolitik. Der Frankfurter Sozialwissenschaftler ist in diesem Jahr schon mehrfach als Sachverständiger im Gesundheitsausschuss aufgetreten. Stöver verweist gegenüber der DW auf die hohe Zahl polizeilich erfasster Fälle: "Wir haben ein Allzeithoch mit über 358.000 sogenannten Rauschgift-Delikten." Davon aber seien fast vier Fünftel, wie es im Fachjargon heißt, konsumnahe Delikte. Soll heißen: Ein Kiffer ist mit wenigen Gramm Marihuana, ein Heroin-Abhängiger mit seiner Tagesdosis erwischt worden. Der Effekt: Harmlose Konsumenten werden kriminalisiert - oft mit schwerwiegenden Folgen für Arbeit, Ausbildung und Umfeld; gleichzeitig werden Polizei und Justiz mit irrelevanten Fällen überfrachtet.
"Griff in die Wundertüte"
Dazu kommen die Gefahren des Schwarzmarktes und der nicht geprüften Stoffqualität. Der Europäische Drogenbericht hält schockierende Beispiele bereit: Drogengangster hatten Marihuana minderer Qualität mit hochgefährlichen synthetischen Cannabinoiden versetzt. In Ungarn starben im Sommer 2020 dadurch mehr als 20 Menschen. Von natürlichem Cannabis sind trotz der weiten Verbreitung keinerlei Todesfälle bekannt. Allerdings gibt es einzelne Studien, die Cannabis-Konsum – vor allem bei hohem Wirkstoffgehalt - mit einem erhöhtem Risiko für psychische Erkrankungen wie etwa Psychosen in Verbindung bringen.
Heino Stöver vergleicht die Lage auf dem Schwarzmarkt mit einem Regal für alkoholische Getränke im Supermarkt. Mit einem bedeutenden Unterschied: Keine der Flaschen hat ein Etikett. "Wir können vielleicht anhand der Flaschenform oder der Farbe des Liquids ahnen, was drin ist. Aber im Grunde ist das ein Griff in die Wundertüte. Schlimmere Bedingungen kann man sich gar nicht vorstellen." Eine drogenfreie, abstinente Gesellschaft ist für den Sozialwissenschaftler eine Fiktion. "Die Mehrheit der Gesellschaft will das auch gar nicht", so Stövers Einschätzung mit Blick auf die Genuss- und Lustseite von Drogen. Und erinnert daran, dass es in der Menschheitsgeschichte nur wenige Kulturen gab, die ohne Drogen ausgekommen sind.
Kritik von Polizeigewerkschaften
Klar gegen eine Legalisierung von Cannabis sprechen sich die konservativen Unionspartien CDU/CSU und die rechtspopulistische AfD aus. Bei der Union hieß es hierzu im Wahlprogramm: "Eine Legalisierung illegaler Drogen lehnen wir ab. Zu groß sind die gesundheitlichen Folgen für den Einzelnen und die Auswirkungen auf Familie, Umfeld und Gesellschaft."
Kritik an einer möglichen Legalisierung kam zuletzt auch von einzelnen Polizeigewerkschaften. So sagte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Oliver Malchow, der "Neuen Osnabrücker Zeitung", es habe keinen Sinn, neben Alkohol die Tür für eine weitere "gefährliche und oft verharmloste" Droge zu öffnen. Gerade bei Jugendlichen könne der Konsum von Cannabis zu erheblichen Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten führen. "Es muss endlich Schluss damit sein, den Joint schönzureden", so Malchow
Bevor der Joint in Deutschland legal zu erwerben ist, müssten die möglichen Regierungspartner aber noch ihre Differenzen beim Thema Cannabis aus dem Weg räumen. Nicht nur beim politischen Willen, auch in den persönlichen Drogenerfahrungen zeigen sich hier Unterschiede: Während Olaf Scholz, möglicher SPD-Kanzler, nach eigener Aussage noch nie gekifft hat, bejahte Annalena Baerbock im Mai eine entsprechende Frage der Zeitung "Bild am Sonntag": "Hab' ich, war aber echt nicht so meins", so die Grünen-Vorsitzende.