Als der Polizeibeamte sah, dass wir Lebensmittel und Wasser in unserem Auto hatten, wurde er misstrauisch. Mein Übersetzer und ich überquerten einen Kontrollpunkt in Polen nahe der Grenze zu Belarus - eine von vielen restriktiven Maßnahmen, die die Regierung verhängt hat, um Migranten an der Einreise zu hindern.
"Ist das für die Flüchtlinge?", fragte er. Er nahm unsere Ausweise und wollte uns zu einer Befragung mitnehmen, aber meinem Übersetzer gelang es, ihn davon zu überzeugen, dass das Essen nur für uns bestimmt war und wir nicht die Absicht hatten, die Sperrzone - einen Streifen dicht bewaldeten Landes entlang der Grenze - zu betreten.
Überleben im Niemandsland
Nach einem Moment der Erleichterung wurde mir klar, was das bedeutet: Dass der Hunger, die Dehydrierung und die Unterkühlung, denen die Migranten ausgesetzt sind, wenn sie sich im Wald vor den Grenzbeamten verstecken, keine unbeabsichtigte Folge des Ausnahmezustands sind. All das ist Teil der Strategie.
Die Kontrollpunkte halten nicht nur Migranten vom polnischen Staatsgebiet fern, sondern auch besorgte Polen davon ab, den Migranten im Niemandsland beim Überleben zu helfen. Rettungsdienste dürfen zwar Hilfsanrufe entgegennehmen, und die Grenzbeamten sagen, dass sie alles in ihrer Macht stehende tun, um Leben zu retten. Doch die Behörden wissen sehr genau, dass diese Migranten erst dann um Hilfe rufen, wenn sie die Hoffnung aufgegeben haben, den Grenztruppen zu entkommen und in der Europäischen Union Asyl beantragen zu können. Oft warten sie dann zu lange. Mindestens elf Migranten sind inzwischen bei dem Versuch des illegalen Grenzübertritts ums Leben gekommen.
Diese Art von Grausamkeit ist in der Migrationskrise nicht wirklich neu. In gewisser Weise ist es eine Fortsetzung dessen, was seit Jahren auf dem Mittelmeer passiert, wo Rettungsschiffe wie Schmugglerboote behandelt werden und daran gehindert werden, auszulaufen, um Migranten vor dem Ertrinken zu retten. Deswegen kommen sie manchmal erst an, nachdem sich eine Tragödie ereignet hat.
Einheimische packen mit an
Doch auf dem Mittelmeer gab es nie ein völliges Verbot für Medien und Zivilgesellschaft, vor Ort herauszufinden, was genau vor sich geht, und zu helfen. In diesem Monat ist ein Mann im Bug, dem Grenzfluss zwischen Polen und Weißrussland, ertrunken. Vergangene Woche riefen ein Mann und eine Frau aus Syrien nach Rettern. Sie hatten Platzwunden und offensichtliche Stichwunden. Wieso musste der Mann ertrinken? Wer hat diese Menschen niedergestochen? Eigentlich erwartet man in der EU, dass Journalisten und Anwälte in der Lage sind, entsprechende Nachforschungen anzustellen. Aber das ist falsch. Die Regeln, zumindest an der Ostgrenze der EU, haben sich geändert.
Ein Hoffnungsschimmer ist die Tatsache, dass hier, wo die Behörden bei der Rettung von Leben versagen, normale Bürger - im wahrsten Sinne des Wortes - zu Hilfe gekommen sind. Wo große internationale Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" oder "Save the Children" an ihrer Arbeit gehindert werden, haben Einheimische nämlich noch vielfach Zugang. Denn die polnische Polizei kann die Bewohner der Grenzregion ja nicht daran hindern, sich frei zu bewegen.
Einige Anwohner innerhalb der Sperrzone haben Lichter in ihre Fenster gestellt, um den Migranten zu signalisieren, dass sie dort um Hilfe bitten können. Ich traf eine Frau aus dem polnischen Hajnowka, die im Internet von Menschen gelesen hatte, die im Wald in der Nähe ihres Hauses starben. Deswegen schloss sie sich jetzt einer informellen Gruppe namens Granica (polnisch für "Grenze") an, die Migranten hilft und Druck auf die polnischen Behörden ausübt, damit die Menschen auch Asyl beantragen können.
Lukaschenko eine Bedrohung für die EU?
Jeder, mit dem ich vor Ort gesprochen habe, räumt ein, dass es sich um eine komplexe Situation handelt. Die Krise wurde ausgelöst von Alexander Lukaschenko, dem autoritären Machthaber von Belarus, indem er gezielt Migranten an die EU-Außengrenze bringen ließ. Grenzschutzbeamte seines Landes wurden dabei beobachtet, wie sie Asylsuchende unter dem deswegen errichteten Zaun hindurch nach Polen schoben.
Der Umgang der polnischen Regierung mit der Krise ist ein neuer Tiefpunkt für die EU. Brüssel hingegen scheint am meisten über die vermeintliche Bedrohung durch Lukaschenko besorgt zu sein. Doch mit der Umwandlung eines 400 Kilometer langen Streifens entlang der Ostgrenze der EU in eine rechtsstaatsfreie Zone hat die EU bereits einen Teil ihres Territoriums an den Autoritarismus abgetreten.