Mehr als 258 Millionen Kinder ohne Schule
23. Juni 2020Demnach besuchten im untersuchten Jahr 2018 rund 258 Millionen Kinder und Jugendliche keine Schule. Dies entspricht laut UNESCO einem Anteil von 17 Prozent der Heranwachsenden. Neun von zehn der Betroffenen leben in Afrika und Asien. Insbesondere Armut wirke sich auf Anwesenheit in einer Schule, Abschluss und Lernchancen aus, heißt es in dem Bildungsbericht.
Die derzeitige Corona-Pandemie habe die Ungleichheiten weiter verstärkt und werde die verschiedenen Formen von Bildungsungerechtigkeit weiter verstetigen, warnt UNESCO-Generaldirektorin Audrey Azoulay. So hätten vergangene Erfahrungen - etwa mit Ebola - gezeigt, dass in Gesundheitskrisen viele Menschen zurückblieben.
Internet: teuer oder nicht verfügbar
"Im April, als die Corona-Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, waren 1,5 Milliarden junge Menschen In 194 Ländern von Schulschließungen betroffen", so Azoulay. "Diese Schulschließungen grenzten die am wenigsten privilegierten Schüler außerdem von bezahlbarem Essen aus, von einer sicheren Umgebung und sozialer Unterstützung." Das könne zu mehr Schulabbrüchen führen, besonders bei Mädchen.
Wo möglich, wurde und wird während der Pandemie auf Online-Lernen umgestellt. Für Manos Antoninis, Direktor des UNESCO-Weltbildungsberichts, ist das "inspirierend und öffnet ein Fenster in die Zukunft." Bei manchen löse das jedoch keine Euphorie aus, sondern eher Furcht, so Antoninis. "Wir wissen sicher, dass Online-Lernen nur ein Stück weit die gewohnte Bildung in der Schule ersetzen kann." Außerdem hätten benachteiligte Schüler eine geringere Chance, von diesen Möglichkeiten zu profitieren. "Ihnen fehlen die richtigen Geräte, der Internetanschluss ist nicht verfügbar oder zu teuer oder es fehlt ihnen schlicht die richtige Umgebung zum Arbeiten zuhause."
Herkunft als Hürde
Antoninis und seine Kollegen legen im UNESCO-Weltbildungsbericht einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema Inklusion. In einem Viertel aller Länder weltweit werde nach wie vor die getrennte Bildung von Kindern mit und ohne Behinderung gesetzlich vorgeschrieben, beklagen sie. Bis 2030 sollen gemäß der UN-Nachhaltigkeitsziele für alle Menschen "inklusive, chancengerechte und hochwertige Bildung sowie Möglichkeiten zum lebenslangen Lernen sichergestellt werden".
Doch davon ist die Welt noch weit entfernt. Nicht nur Schüler mit Behinderung würden nach wie vor ausgegrenzt, schreiben die Autoren des UNESCO-Berichts. Millionen Jungen und Mädchen erhielten aufgrund ihrer Herkunft weniger Bildungschancen. So werde Minderheiten und Geflüchteten der Zugang zu hochwertiger Bildung in vielen Ländern der Welt noch immer nicht hinreichend gewährt. Aber auch homo-, bi-, trans- und intersexuelle Orientierung könnten den Zugang zu Bildung einschränken.
Schulbesuch trotz Schwangerschaft
"Es geht darum, niemanden zu diskriminieren, niemanden abzulehnen", sagt Antoninis. "Es geht darum, die Gegebenheiten an die Lernenden anzupassen, sich auf ihre unterschiedlichen Bedürfnisse einzustellen. Es geht nicht darum, dass sich die Lernenden an das System anpassen. Und es geht auch nicht darum, in einem Ministerium eine Abteilung für Inklusion einzurichten und zu denken, damit sei die Arbeit erledigt."
Im Ministerium von David Moinina Sengeh will man das Thema Inklusion sogar zur Priorität machen. Der Erziehungsminister von Sierra Leone in Westafrika verfolgt ein Konzept der "radikalen Inklusion." Mit ersten Erfolgen, so Sengeh bei der Vorstellung des UNESCO-Weltbildungsberichts. In den Grundschulen habe man nun genau so viele Mädchen wie Jungen, sagt er. "Wir wollen alle Hürden abbauen, die Kinder am Lernen hindern", sagt Sengeh. "In den letzten sechs Monaten, seit ich Minister geworden bin, haben wir etwa das Schulverbot für schwangere Mädchen aufgehoben, dass sie daran gehindert hat, die Schule zu besuchen und Prüfungen abzulegen." Teenager-Schwangerschaften sind in Sierra Leone weit verbreitet. Nach den Schulschließungen im Zuge der Ebola-Epidemie waren sie weiter angestiegen. Es wird erwartet, dass die Corona-Pandemie ähnliche Folgen haben wird.
Die Pandemie dürfte die Regierungen bei ihrem Versuch, die UN-Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, insgesamt zurückwerfen. Im Bereich der Bildung wird dies jetzt schon sichtbar. Dennoch gibt es laut dem Bericht auch positive Entwicklungen. Um die Jahrtausendwende habe die Zahl der Kinder und Jugendlichen ohne Zugang zu Schulbildung noch um etwa 90 Millionen höher gelegen als heute.