Medienpreis für Deniz Yücel
18. September 2018Im historischen Potsdam Museum und mit hohem Aufgebot an Prominenten aus Politik und Kultur wurde der Türkei-Korrespondent der WeltN24-Gruppe Deniz Yücel mit dem diesjährigen M100 Media Award ausgezeichnet. Der seit 18 Jahren verliehene europäische Preis zeichnet Persönlichkeiten aus, "die durch ihr Schaffen in Europa und der Welt Spuren hinterlassen haben." Deniz Yücel saß wegen angeblicher Terrorpropaganda ein Jahr lang in der Türkei im Gefängnis, neun Monate davon in Isolationshaft, bis er im Februar 2018 entlassen wurde.
Die Eröffnungsrede der Preisverleihung, an der auch die Intendantin des Gorki Theaters, Shermin Langhoff, Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen und der türkische Journalist Bülent Mumay teilnahmen, hielt der Oberbürgermeister der Stadt Potsdam, Jann Jakobs. In seiner Begründung erklärte Jakobs: "Als Journalist berichtete Deniz Yücel unerschrocken und fundiert über die politischen Verhältnisse in der Türkei und selbst aus der Haft heraus setzte er sich für einen kritischen und unabhängigen Journalismus ein." Jakobs erinnerte daran, dass Yücel zwar frei ist, der Prozess gegen ihn jedoch weiter fortgesetzt wird. Die Wahrscheinlichkeit sei hoch, dass er, sollte er in die Türkei reisen, wieder verhaftet würde. "Der Preis, den er und weitere Journalisten zahlen, um uns mit wahrhaften Nachrichten und Berichte zu versorgen, ist sehr hoch. In der Türkei ist er in diesen Tagen viel zu hoch", so Jakobs.
Journalisten als Gradmesser für Liberalität
Es folgte eine Rede von FDP-Chef Christian Lindner. "Die Liberalität einer Gesellschaft misst sich an der Freiheit von Journalistinnen und Journalisten, ihre Arbeit zu tun. Wenn sie eingeschränkt, beschimpft oder inhaftiert werden, sind alle Mitglieder der Gesellschaft, auch wir, in unseren Rechten und unserer Freiheit beschnitten." Lindner betonte, es reiche nicht, nur eine geschriebene liberale Verfassung zu haben. Es brauche immer wieder Menschen, die bereit seien, ins Risiko zu gehen und den Geist der Verfassung und ihre Liberalität zu leben. Lindner nahm auch Bezug auf die jüngsten Vorfälle in Dresden und Chemnitz und appellierte, "wachsam zu sein, wenn Journalisten eingeschränkt und Opfer werden von Übergriffen". Deniz Yücel sei eine Erinnerung daran, dass es in der Türkei hinsichtlich der Menschen- und Bürgerrechtssituation alles andere als gut stehe. Außerdem betonte Linder die Verantwortung Deutschlands. Deutschland müsse die Rolle von "wertegebundenen Realisten" einnehmen. Lindner äußerte sich auch zu dem für Ende September geplanten Besuch von Staatspräsident Erdogan in Deutschland. Das Timing sei schlecht, so Lindner. Eine "nachträgliche Legitimation des Regimewechsels" würde nicht dazu beitragen, die Menschenrechtslage in der Türkei zu verbessern.
"Zuverlässige Scharfzüngigkeit"
Als letzte Laudatorin des Abends sprach Ines Pohl, Chefredakteurin der DW. Pohl betonte, Yücel habe sich in seinem journalistischen Leben immer weiterentwickelt und sei neue überraschende Wege gegangen. Pohl lobte die "zuverlässige Scharfzüngigkeit" Yücels. In ihrer Rede warf Pohl auch einen Blick auf die Arbeit von Journalisten weltweit. Journalismus bringe neben den intellektuellen auch immer mehr physische Herausforderungen mit sich. "Der Journalismus war noch nie ein besonders vornehmer Beruf, doch jetzt wird er zu einem gefährlichen und das auch im Herzen Europas," so Pohl. Besonders würden paradoxerweise die Journalisten bedrängt, "die hinausgehen und sich mit den Menschen befassen, die angeblich kein Gehör finden", so Pohl. Die DW-Chefredakteurin schloss mit einer Ermahnung an die Abgeordneten: "Bitte bleiben Sie bei der klaren Einstellung, dass die Politik die Meinungsfreiheit auch dann nicht einschränken darf, wenn die veröffentlichten Auffassungen nicht geteilt werden."
Preis für "Rumsitzen im Gefängnis"
Als letzter Redner betrat der Preisträger Deniz Yücel die Bühne. Der für seinen Humor bekannte Yücel bedankte sich bei allen, die ihn unterstützt haben, an erster Stelle seiner Frau Dilek Mayatürk Yücel, und dafür, einen Preis "für dummes Rumsitzen im Gefängnis" zu bekommen. Yücel erinnerte an die Zeit im Hochsicherheitsgefängnis – "einer Symphonie aus Beton, Stahl und Stacheldraht" – und daran, dass er die Idee einer Freilassung im Tausch gegen Rüstungsgeschäfte immer abgelehnt habe. In seiner Dankesrede sprach Yücel auch die Diskussionen um den Fußballspieler Mesut Özil an. "Am Umgang mit Özil zeigte sich, wofür die Kritik am Erdogan-Regime, natürlich eine berechtigte Kritik, inzwischen taugt: als eine Chiffre für Rassismus." Mit klaren Worten kritisierte Yücel die Haltung Deutschlands gegenüber der Türkei. Deutschland sei, so Yücel, angesichts der als Bedrohung empfundenen Geflüchteten ängstlich und dadurch erpressbar geworden. Die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Türkei sei wichtig, so Yücel, sollte aber an Bedingungen geknüpft sein, die nicht nur die Freilassung von inhaftierten Journalisten beinhalten, sondern auch die Forderung, die Praxis, Menschen aufgrund von Facebook-Einträgen zu inhaftieren, aufzugeben. Der wunde Punkt, an dem man die Türkei greifen könnte, sei die Wirtschaft, so Yücel. "Mit Gangstern muss man die Sprache sprechen, die sie verstehen." Yücel, der zwischenzeitlich seine Rede mit Tränen in den Augen unterbrechen musste, wurde vom Publikum mit stehenden Ovationen honoriert.