Mali: Ein Imam gegen Präsident Keita
14. Juli 2020Er ist das bekannteste Gesicht der Proteste gegen Malis Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita. Und er war der Grund, warum sich in den vergangenen Tagen die Spannungen zwischen Regierung und Opposition entluden: Mahmoud Dicko, Imam einer Moschee im Zentrum der Hauptstadt Bamako. Gerüchte, der Imam solle entführt werden, brachten seine Unterstützer in Aufruhr. Am Rande einer Demonstration am Freitag besetzten sie Teile des Staatsfernsehens und des Parlaments. Die Sicherheitskräfte griffen hart durch. Die Konfrontationen dauerten am Samstag an. Die Bilanz: mindestens elf Tote und Dutzende Verletzte. Dicko selbst war es, der am Sonntag das Gebet für die Verstorbenen anleitete.
Ein Geistlicher und Politiker
Drei Tage, die zeigen, wie wichtig der Imam in dem westafrikanischen Land ist. "Mahmoud Dicko ist ein Geistlicher und ein erfahrener Politiker zugleich", sagt der Soziologe Brema Ely Dicko im DW-Gespräch. "In einem Kontext, wo die politische Klasse versagt hat und die Zivilgesellschaft ihre Rolle nicht ausfüllt, ist er ein moralischer Kompass." Ein Kompass, der aus Sicht seiner Anhänger anzeigt, dass etwas nicht stimmt in Mali.
Seit rund vierzig Jahren ist Mahmoud Dicko Imam in Badalabougou, einem Stadtteil der Hauptstadt Bamako. Heute gehört er zu den wichtigsten islamischen Vertretern des Landes. Fast 95 Prozent der Malier sind Muslime. Als Angehöriger der salafistischen Strömung des Islam fiel Dicko meist mit konservativ-fundamentalistischen Positionen auf. Ein Jahrzehnt lang war er Vorsitzender des Hohen Islamischen Rates in Mali (HCIM), bevor er vergangenes Jahr abgelöst wurde. Mehrfach meldete sich Dicko auch in politischen Fragen zu Wort. Nachdem ab 2012 Islamisten und Tuareg-Milizen kurzzeitig große Teile des Landes eroberten, stellte sich Dicko zunächst klar hinter den späteren Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita, sprach aber auch mit den Islamisten und wurde so zum Vermittler in den Bemühungen um eine neue nationale Einheit.
IBK: Vertrauensvorschuss verspielt
Doch wie Dicko haben viele Menschen das Vertrauen in Präsident Keita, der im Land nur IBK genannt wird, verloren. Die Regierungsbildung dauerte Jahre, Wahlen wurden immer wieder verschoben. 2017 kündigte Dicko dem Präsidenten die Gefolgschaft auf. Doch der wirkliche Wendepunkt kam erst im Juli 2020, als sich Dickos Unterstützerverband CMAS der neuen Oppositionsbewegung des 5. Juni (M5) anschloss. Sie fordert den Rücktritt des Staatschefs. "Die Protestbewegung gab es auch zuvor, es gab immer schon harsche Kritik und Demonstrationen gegen die Regierung", sagt Thomas Schiller, Leiter des Büros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako. "Aber erst, seit Imam Dicko hier die geistige Führung übernommen hat, hat die Bewegung diese Kraft entwickeln können, die wir heute sehen."
Die Botschaft der Bewegung ist klar: IBK hat seinen Vertrauensvorschuss verspielt, er muss die Konsequenzen ziehen. "Unser Staat ist dabei, zu scheitern - das kann man nicht schönreden. Und der erste Verantwortliche ist der Staatschef. Ihn müssen wir zur Rede stellen", brachte es der Soziologe Dicko vor kurzem im Gespräch mit dem ARD-Studio Rabat auf den Punkt. "Wir müssen eine Situation schaffen, in der wir hoffen können. Das braucht das Volk heute. Wir können unser Land nicht vor unseren Augen fallen sehen und keiner sagt etwas."
Moralische Absolution - Mäßigung in der Konfrontation
Unter seinen Anhängern gilt Mahmoud Dicko als Mann mit Überzeugungen, bescheiden, ohne Ambitionen auf politische Ämter. "Jedes Mal, wenn das Land von schlechter Regierungsführung bedroht ist, zögert er nicht, für die Wahrheit und den Wandel Position zu ergreifen", sagt es Imam Oumarou Diarra, der Dickos CMAS-Bündnis angehört. Jetzt, da Dickos Zusammenschluss mit den Präsidenten-Gegnern die Krise noch befeuerte, übt er sich in Mäßigung: Beobachter sagen, der Iman habe schon bei früheren Demonstrationen die Menschen in ihre Schranken gewiesen. So habe er etwa einen Marsch auf den Präsidentenpalast verhindert. Auch nach den Vorfällen am Wochenende rief Dicko zur Besonnenheit auf.
Doch der 66-Jährige hat auch eine andere Seite. In der Vergangenheit schlugen reaktionäre Äußerungen des Geistlichen Wellen, in denen er Terroranschläge als "Strafe Gottes" für Alkoholkonsum und Homosexualität bezeichnete. Aussagen, die ein anderes Licht auf die selbsternannte moralische Instanz werfen. Der Machtzuwachs des oft als islamistisch eingestuften Imams bereite manchen Beobachtern Sorge, sagt Thomas Schiller von der Konrad-Adenauer-Stiftung zur DW. Er selbst glaubt eher, dass Dicko sich in der Rolle eines Königsmachers sehe, der keine politische Funktion anstrebt. Die teils beschworene Gefahr einer bevorstehenden "Islamischen Republik Mali" hält Schiller für unbegründet.
Trotzdem steht Mali aus seiner Sicht an einem Wendepunkt: "Für den malischen Staat ist diese Protestbewegung seit Freitag eine Katastrophe." Schon jetzt könne die Regierung weite Teile des Nordens und des Zentrums nicht kontrollieren. Mit den jüngsten Protesten sei klar, dass ihr auch der Süden entgleite. "Mali hat bisher nicht die staatlichen Strukturen, um so eine Bewegung zu kanalisieren und aufzufangen. Der Staat ist sehr schwach, und die Protestbewegung wird diese Strukturen weiter schwächen."
Mitarbeit: Mahamadou Kane