Maduro gegen Guaidó: Kampf in der Karibik
1. März 2019"Rumble in the Jungle": Kinshasa, der 30. Oktober 1974, 30 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit - der amtierende Schwergewichts-Weltmeister und haushohe Favorit George Foreman hämmert und drischt immer wieder auf seinen Kontrahenten Muhammad Ali ein. Der selbsterklärte "Größte" kassiert Treffer um Treffer, wankt, schwebt dann aber doch noch wie ein Schmetterling und sticht wie eine Biene. In der achten Runde schickt er Titelträger Foreman auf die Bretter, die 100.000 Zuschauer im Stadion toben und feiern den Sieg ihres Lieblings frenetisch.
"Der Machtkampf zwischen Guaidó und Maduro ist genauso wie dieser größte Boxkampf aller Zeiten", sagt der venezolanische Politikwissenschaftler Luis Salamanca: ein Abnutzungskampf, ein Taktieren in einer extrem explosiven Stimmung, eine Schlacht mit klar verteilten Rollen. Aber wer ist Ali und wer Foreman?
"Natürlich ist Juan Guaidó Ali", antwortet Salamanca mit einem Lachen. "Maduro dagegen ist wie George Foreman. Der war ja damals ein Riese mit gewaltiger Kraft, aber auch ein wenig tollpatschig." Der Machtkampf in Venezuela gehe jedenfalls über eine lange Distanz, in welcher Runde die Entscheidung falle, sei völlig offen, so der Politologe. Und immer könne ein Schlag für die Entscheidung sorgen. Vorteil Guaidó: Wie Ali damals in Kinshasa hat der selbst ernannte Präsident von Venezuela den Großteil der Bevölkerung auf seiner Seite.
Runde 1: Juan Guaidó kontert
Guaidó will nach Caracas zurückkehren, nach seinem Zwischenstopp in Brasilien und Treffen mit Brasiliens Präsidenten Jair Bolsonaro. "Ich bin diese Verpflichtung nicht eingegangen, um sie außerhalb Venezuelas zu erfüllen", erklärte mit Blick auf seine internationale vielfach anerkannte Interimspräsidentschaft. Und schickte im kolumbianischen Sender Caracol noch die Warnung hinterher, seine Festnahme würde eine "beispiellose" Reaktion in Venezuela selbst und im Ausland nach sich ziehen: "Sollten sie den politischen und historischen Fehler begehen, mich zu inhaftieren, werden sie sich vor der Welt verantworten müssen. Dies wäre ein Staatsstreich und ein Attentat auf die Stabilität des Landes!"
Für Luis Salamanca ist Juan Guaidó ein Phänomen: "Nicolás Maduro ist Anfang Januar ins Bett gegangen und als er am nächsten Morgen aufwachte, war plötzlich Guaidó da. Wie aus dem Nichts. Und dieser Mann macht ihm auch noch seine Bolivarische Revolution kaputt." Der kometenhafte Aufstieg Guaidós sei - Ironie des Schicksals - mit dem von Hugo Chávez Ende der 1990er Jahre vergleichbar.
Guaidó habe in den vergangenen Wochen seine Feuertaufe als Interimspräsident bestanden, sagt Salamanca: "Er ist der richtige Mann im richtigen Moment am richtigen Platz."
Und wenn dieser richtige Mann für Venezuela doch am falschen Platz landet, wenn er nach Caracas zurückkehrt, nämlich im Gefängnis? "Es gibt kleine Fehler, mittlere Fehler und riesige Fehler. Wenn die Regierung Guaidó anfasst, begeht sie einen riesigen Fehler. Denn er ist mittlerweile eine politische Weltfigur", ist sich Luis Salamanca sicher.
Runde 2: Nicolás Maduro attackiert
Der venezolanische Staatschef Nicolas Maduro hat Guaidó mit strafrechtlichen Maßnahmen im Falle einer Rückkehr nach Caracas gedroht. "Er kann nicht einfach kommen und gehen, die Justiz hat ihm das Verlassen des Landes verboten", sagte Maduro in einem Interview des US-Senders ABC. Guaidó hatte sich über das Ausreiseverbot aus Venezuela hinweggesetzt und war letzten Freitag beim Benefiz-Konzert für Venezuela im kolumbianischen Cúcuta aufgetaucht.
Maduros Drohung sorgte wiederum für internationale Reaktionen: die USA gaben klar zu verstehen, dass sie eine Inhaftierung Guaidós nicht akzeptieren würden, Kolumbiens Außenminister Carlos Holmes Trujillo sekundierte, jegliche Gewaltaktion gegen Guaidó werde eine "internationale Situation heraufbeschwören, die gemeinsames Handeln erforderlich machen würde".
Die Regierung um Nicolás Maduro könne derzeit nur verlieren, sagt der Jurist Jesús Ollarves von der Universidad Católica Andrés Bello in Caracas: "Egal, ob sie Guaidó inhaftiert oder nicht, der Konflikt wird auf jeden Fall an Schärfe zunehmen." Ollarves ist vor allem davon überzeugt, dass es beim Militär, dem Schlüssel im venezolanischen Machtkampf, weitere Überläufer geben wird, sollte Maduro seinen Kontrahenten tatsächlich festnehmen: "Es könnte sogar der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt. Weil es das Militär dazu zwingen könnte, die Seiten zu wechseln und damit die Regierung Maduro zu Fall zu bringen."
Runde 3: Kampf vor der Entscheidung?
Die nächste (und laut Ollarves vielleicht schon letzte) Runde im Machtkampf in Venezuela ist also eingeläutet, das Wortgefecht vor der Rückkehr Guaidós erinnert fatal an die verbalen Scharmützel, die es im Vorfeld der geplanten Hilfslieferungen am Samstag gegeben hatte. Dort hatte sich Maduro zwar am Ende durchgesetzt, indem er die Grenzen blockieren ließ und am Ende kein Hilfskonvoi ins Land gelangte. Doch durch die Schüsse auf die eigene Bevölkerung stand Maduro gleichzeitig als Verlierer da.
Dennoch hatte auch Guaidós Ruf als Retter Venezuelas einige Kratzer bekommen - viele Venezolaner, die sich extra am sogenannten D-Day auf den Weg ins kolumbianische Cúcuta gemacht hatten, kritisierten, Guaidó wäre am Samstag nur kurz für die Kameras aufgetaucht und hätte dann die freiwilligen Helfer alleine gelassen.
"Juan Guaidó muss auf jeden Fall schnell wieder zurück nach Caracas, denn ohne seine Präsenz besteht immer die Gefahr, dass die Einigkeit der Opposition bröckelt", sagt Geoff Ramsey vom Think-Tank "Advocacy for Human Rights in the Americas" in Washington. Der Politikanalyst geht durchaus davon aus, dass die Regierung Guaidó inhaftiert, wenn auch nur temporär: "Maduro wird ihn höchstwahrscheinlich für eine kurze Zeit festnehmen lassen, allein um seine Macht zu demonstrieren."
Die Regierung stehe sowohl innen- als auch außenpolitisch unter einem gewaltigen Druck, hinzu kämen die Sanktionen der internationalen Gemeinschaft. "Die Strafmaßnahmen werden Venezuela weiter die Luft abschnüren", glaubt Ramsey, "wobei sie schon jetzt ja kaum noch zu steigern sind." Juan Guaidó hingegen werde versuchen, auf die Chavisten in der Bevölkerung zuzugehen - und zwar: "Mit der Strategie: Mehr Zuckerbrot als Peitsche. Also mit einem Gesprächsangebot, welche Rolle sie in einer möglichen Übergangsregierung spielen könnten."
"Wer nicht mutig genug ist, Risiken einzugehen, wird es im Leben zu nichts bringen." Das hat Muhammad Ali einmal gesagt. Juan Guaidó könnte sich dieses Zitat ins Bewusstsein rufen - vor allem für seine Rückkehr nach Venezuela.