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Lösen Erreger in Fleisch und Milch Krebs aus?

27. Februar 2019

Schon als Säugling infizieren wir uns mit Erregern, die erst Jahrzehnte später zu Darm- oder Brustkrebs führen können. Heidelberger Forscher suchen nach dem Erreger, den sie in Milchprodukten und rotem Fleisch vermuten.

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Krebs Krebszelle Illustration Darmkrebs
Bild: Imago/blickwinkel

Seit mehr als 10 Jahren vermutet der Medizinnobelpreisträger von 2008, Professor Harald zur Hausen, dass sich Menschen durch den Verzehr von Milchprodukten und rotem Fleisch - also Schweine-, Rind-, Kalb- und Lammfleisch - mit Erregern infizieren, die erst Jahrzehnte später zu Darm- oder Brustkrebs sowie zu multipler Sklerose führen können. Bei einer Pressekonferenz des Deutschen Krebsforschungszentrums haben die Heidelberger Forscher um den Nobelpreisträger jetzt "neuartige Infektionserreger als Krebsrisikofaktoren" präsentiert.

Im Darmgewebe konnten die Heidelberger Forscher identifizieren, welche Gewebebereiche die Erreger besiedeln. Der Nachweis einer direkten Verbindung zwischen der Infektion und einer bestimmten Erkrankung kann präventive Möglichkeiten eröffnen, etwa Impfungen oder schützende Lebensstil- und Ernährungsformen.

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Medizin-Nobelpreisträger Harald zur Hausen hat bereits einen Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs entwickeltBild: DW/A. Freund

Regionale Auffälligkeiten

Die Heidelberger Forscher haben weltweit verglichen, wo es einen Zusammenhang zwischen der Neuerkrankungsrate von Darm- und Brustkrebs mit dem Konsum von Milch- und Fleischprodukten geben könnte. Dabei fiel zunächst einmal auf, dass es in den Weltregionen mit einem hohen Verzehr an Milch- und Rindfleischprodukten auch besonders viele Darmkrebserkrankungen gibt, nämlich in Nordamerika, Argentinien, Europa und Australien. In diesen Regionen werden vorzugsweise Fleischprodukte vom europäischen Rind (Bos taurus) konsumiert. 

Die Lage in Indien scheint das zu untermauern: Dort gibt es nur sehr niedrige Darm- und Brustkrebs-Raten, vermutlich, weil bei den Hindus Kühe heilig sind und nicht verzehrt werden. Lediglich in den Bundesstaaten, in denen Milchkühe eingeführt wurden, um die Versorgung der Kinder sicherzustellen, steigen die Brustkrebs-Neuerkrankungsraten an.

Auffällig sind indes Bolivien und die Mongolei: Dort gibt es niedrige Darm- und Brustkrebsraten, obwohl die Menschen viel Rindfleisch essen - bloß nicht die gleichen Rindersorten. In Bolivien werden in erster Linie Zebus (Bos indicus) gehalten. Ähnlich sieht es in der Mongolei aus. Auch dort stammen die Rinder hauptsächlich von Kreuzungen mit importierten Zebus ab.

Bemerkenswert sind auch die Entwicklungen in Japan und Korea: In Japan stieg die zuvor extrem niedrige Darmkrebsrate erst etwa 20 Jahre nach dem 2. Weltkrieg an, in Südkorea erst 20 Jahre nach dem Korea-Krieg. Auch dieser Anstieg korreliert mit dem Anstieg der Fleischimporte und der Fleisch-Produktion.

Suche nach dem Erreger

Die Heidelberger Forscher gingen zunächst von einem Virus als Erreger aus und setzten bei der Suche daher auf Techniken, mit denen normalerweise Viren isoliert werden. Was sie jedoch mehrfach und reproduzierbar fanden, waren einzelsträngige ringförmige DNA-Elemente, die große Ähnlichkeit mit Sequenzen spezifischer bakterieller Plasmide aufweisen. Nach ihrem Auffindungsort wurden sie als "Bovine Meat and Milk Factors"(BMMFs) bezeichnet.

Die Infektionen finden sich in der Lamina propria des Dickdarms, der unter der Schleimhaut gelegenen Bindegewebsschicht, vor allem in der Umgebung der Lieberkühn‘schen Krypten. Dabei handelt es sich um schlauchförmige Einsenkungen der Darmschleimhaut, die der Sekretion dienen und in deren unteren Ende die Darm-Stammzellen lokalisiert sind.

Deutschland Brustkrebs Vorsorge
Längeres Stillen kann möglicherweise auch Mütter selbst vor einer Infektion mit BMMFs und Brustkrebs schützen. Bild: Imago/photothek

Frühkindliche Infektion

Das menschliche Immunsystem ist erst nach etwa einem Lebensjahr ausgereift. Daher vermuten die Heidelberger Forscher, dass Säuglinge bereits frühzeitig beim Füttern mit Kuhmilchprodukten infiziert werden. Die Erreger induzieren in bestimmten Geweben, etwa im Darm oder der Brust eine chronisch-entzündliche Reaktion, die im umgebenden Gewebe die Krebsentstehung fördern kann. Zum Ausbruch der Krankheit kommt es aber erst Jahrzehnte nach der Infektion.

Langes Stillen (über 6 Monate hinaus) kann Säuglinge vor der Infektion mit einer ganzen Reihe von Erregern schützen (Noroviren, Rotaviren, HIV). Ursache dafür sind bestimmte Zuckerverbindungen in der Muttermilch, die verhindern, dass die Erreger an die Rezeptoren der Zelloberfläche andocken, über die sie normalerweise ins Zellinnere gelangen. Diese Verbindungen sind in der Milch anderer Tierarten nicht vorhanden. Bereits heute werden diese Zucker teilweise Milchpulvern für die Babynahrung zugesetzt. Es ist möglich, dass diese Verbindungen auch die Infektion mit BMMFs verhindern.

Da das Brustgewebe der Mutterim Kontakt mit den schützenden Zuckerverbindungen steht, kann längeres Stillen möglicherweise auch Mütter selbst vor einer Infektion mit BMMFs schützen. Zahlreiche Studien aus den USA zeigten, dass mit jedem zusätzlichen Monat des Stillens das Brustkrebsrisiko der Mutter sinkt. 

Wie kann man sich schützen?

Eine Infektion mit BMMFs führt nicht zwangsläufig zu Darmkrebs. Die Heidelberger Krebsforscher prüfen derzeit, ob bei Darmkrebspatienten die Menge an nachweisbarem BMMF Protein mit dem Überleben der Patienten korreliert. Wenn ja, sollten Personen mit hohem BMMF-Level auf jeden Fall Angebote zur Darmkrebsfrüherkennung wahrzunehmen. 

Krebsvorsorge Darmkrebs-Früherkennung
Bei einem hohen BMMFs-Level sollte man regelmäßig zur Darmkrebsvorsorge gehenBild: picture alliance/dpa

Möglicherweise wird es irgendwann auch eine Impfung gegen BMMFs geben. Denkbar wäre es, Rinder zu impfen und so die Übertragung der BMMFs auf den Menschen zu verhindern. Auch eine Schutzimpfung von Babys ist vorstellbar. 

Auf Rindfleisch und Milchprodukte muss man allerdings nicht verzichten. Da die meisten Erwachsenen bereits mit BMMFs infiziert sind, hätte ein Verzicht vermutlich keine Wirkung. Nach Auffassung des Heidelberger Teams sollten Säuglinge aber keinesfalls früh mit Kuhmilchprodukten gefüttert werden. 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund