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"Die niedrige Impfrate ist ein Skandal!"

27. Juli 2018

Nobelpreisträger Harald zur Hausen hat den Zusammenhang zwischen humanen Papillomviren und Gebärmutterhalskrebs nachgewiesen. Für die Skepsis gegenüber Impfungen hat er deshalb kein Verständnis.

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Merck-Wissenschafts-Konferenz "Curious Future Insight" in Darmstadt
Bild: DW/A. Freund

Dass Rauchen, falsche Ernährung und mangelnde Bewegung das Krebsrisiko erhöhen, ist hinreichend bekannt. Wenige wissen aber, dass mehrere Krebsarten durch Viren oder Bakterien ausgelöst werden und dass man sich davor durch Impfungen schützen kann.

Professor Harald zur Hausen hat den Zusammenhang von humanen Papillomviren (HPV) und Gebärmutterhalskrebs nachgewiesen und so die Grundlage für die Entwicklung des HPV-Impfstoffs gelegt. Dafür wurde er 2008 mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Im Rahmen der vom Pharmakonzern Merck gesponserten "Curious2018"-Wissenschaftskonferenz stellte er seine neusten Forschungsergebnisse vor.

Im DW-Exklusiv-Interview spricht Nobelpreisträger Harald zur Hausen über krebsauslösende Viren und die für ihn unverständliche Skepsis gegenüber Impfungen.

DW: Herr Professor zur Hausen, wie häufig wird Krebs nach jetzigem Forschungsstand durch Viren oder Bakterien ausgelöst?

Harald zur Hausen: Im Augenblick kennen wir eine ganze Reihe von Krebsarten, die durch infektiöse Agenzien übertragen werden. Viren spielen dabei zweifellos die Hauptrolle. Ich würde sagen, so ungefähr zwei Drittel der durch Infektionen bedingten Krebsarten sind durch Viren verursacht. Ungefähr ein Drittel durch Bakterien, Helicobacter pylori, das bei Magenkrebs eine große Rolle spielt, und ein kleiner Anteil - etwas weniger als ein Prozent - durch Parasiten, vor allem durch Wurm-Infektionen.

Weltweit gesehen haben etwas mehr 20 Prozent der global auftretenden Krebs-Arten etwas mit Infektionen zu tun. Wir gehen aber davon aus, dass diese Zahl sich in Zukunft erhöht. 

Infografik Gebärmutterhalskrebs

Sind Sie zuversichtlich, dass bald für weitere Krebsarten Impfstoffe gefunden werden? 

Es besteht auf jeden Fall Hoffnung! Wir beschäftigen uns im Wesentlichen gerade mit der Frage, inwieweit Dickdarmkrebs und Brustkrebs - zwei der besonders häufigen Krebserkrankung des Menschen - und darüber hinaus auch noch der Prostatakrebs etwas mit Infektionen zu tun haben.

Bei diesen Krebsarten zeichnet sich inzwischen ab, dass auch hier zusätzliche Möglichkeiten bestehen. Wäre das so korrekt, können wir davon ausgehen, dass etwas mehr als 50 Prozent der weltweit auftretenden Krebserkrankungen mit Infektionen zusammenhängen, mit anderen Worten: Infektionen entpuppen sich langsam als einer der Hauptrisikofaktoren für Krebs.

Wirken die Impfungen denn nur präventiv, oder helfen sie auch bereits erkrankten Menschen? 

Das ist sehr unterschiedlich. Die Impfung Hepatitis B und auch die Papillomvirus-Impfung wirken derzeit präventiv, das heißt sie müssen gegeben werden, bevor die Infektion mit den betreffenden Agenzien vorliegen. Es gibt aber einige krebserzeugende Infektionen, die durchaus auch therapeutisch angegangen werden können.

Ich denke etwa an die Hepatitis C-Infektion - ein anderes Virus, das auch an Leberkrebs beteiligt ist. Bei uns in Europa übrigens häufiger als in den südostasiatischen Ländern, wo man Therapeutika entwickelt hat, durch die das Krebsrisiko deutlich reduziert wird. 

Lesen Sie hier: Ist eine Grippe-Impfung eigentlich sinnvoll?

Den Impfstoff gegen Gebärmutterhalskrebs gibt es bereits seit 2006. Trotzdem ist festzuhalten, dass viele Mädchen und junge Frauen gerade auch in Deutschland nicht geimpft sind. Das gleiche Phänomen ist bei anderen Infektionskrankheiten wie Masern oder Diphterie festzustellen. Wie erklären sie sich diese Impfmüdigkeit oder Impfskepsis? 

Ja, es ist nicht immer leicht zu erklären. Masern zum Beispiel ist eine schwerwiegende Infektion im Kindesalter, die akut verläuft und unter tausend Infizierten etwa einen Todesfall fordert. Einige Erkrankte behalten Schäden im zentralen Nervensystem zurück, die zum Teil sehr schwerwiegend sein können.

Da ist es schwer zu verstehen, warum bei einem wirklich wirksamen und effektiven Impfstoff nicht die Annahmerate deutlich höher ist. Ich nenne das einen großen Skandal! Denn im Grunde genommen müssen eigentlich alle Ärzte, Erziehungsberechtigte, Eltern und Lehrer wissen, dass hier etwas geschehen muss. Wenn nichts passiert, kommt es zu Epidemien durch solche Infektionen.  

Wie ist die Situation bei den Papillomviren und beim Gebärmutterhalskrebs? 

Hier ist die Situation insofern anders, als dies eine Erkrankung ist, die im Wesentlichen durch den Sexualverkehr übertragen wird. Das heißt, die etwa 15- bis 50-Jährigen werden hauptsächlich infiziert. Hier muss die Impfung entsprechend vor den ersten Sexualkontakten stattfinden. Dabei ist viel Aufklärungsarbeit zu leisten, denn viele Eltern scheuen sich, mit ihren Teenager-Töchtern über sexuell übertragbare Erkrankungen zu sprechen, obwohl das sehr wichtig wäre.

Gebärmutterhalskrebs ist eine extrem unerfreuliche Krankheit, die früher eine der häufigsten Krebserkrankungen bei Frauen war. Sie ist zwar durch die Früherkennung zurückgegangen, erfordert aber in jedem Fall chirurgische Eingriffe. 

Wie hoch ist die Impfrate im europäischen oder internationalen Vergleich? 

In einigen europäischen Ländern ist die Impfrate noch niedriger als in Deutschland. Aber es gibt einige Länder, wo sie sehr deutlich angestiegen ist. England war vor allem ein Vorreiter. Außerhalb von Europa hat sich Australien in ganz besonderer Weise hervorgetan und über Schulprogramme etwa 80 Prozent der betreffenden Altersgruppen erreicht.

Auch in den Niederlanden und auch in den skandinavischen Ländern läuft es gut, aber in vielen europäischen Ländern ist die Impfrate sehr niedrig. Hier ist also kontinuierliche Aufklärungsarbeit notwendig. Da sind vor allem die Ärzte und Gesundheitsbehörden gefordert. 

Infografik weltweiten Masern-Impfraten Deutsch

Warum fordern Sie, dass auch Jungen entsprechend geimpft werden sollten, obwohl sie doch gar keinen Gebärmutterhalskrebs bekommen können? 

Überall auf der Welt haben junge Männer im Alter zwischen etwa 15 bis 45 Jahren weit mehr Sexualpartner als Mädchen der gleichen Altersgruppe. Sie infizieren sich und übertragen die Infektion verhältnismäßig leicht, ohne selbst an Gebärmutterhalskrebs zu erkranken.

Sie können aber den selteneren Peniskrebs oder Krebserkrankungen der äußeren Genitalien bekommen. Und vor allem können sie an Krebs im Rachenbereich erkranken, die zum Teil durch die gleichen Viren verursacht werden, die am Gebärmutterhalskrebs beteiligt sind. 

Aus ideologischen oder religiösen Gründen gibt es ja auch in anderen Ländern, wie zum Beispiel Pakistan, große Vorbehalte gegen Impfungen. Zum Teil müssen Impfteams sogar um ihr Leben fürchten. Kann Aufklärung hier überhaupt etwas bewirken?

In Pakistan gibt es eigentlich nur noch sehr wenige Herde von Polio-Infektionen - früher sind die Impfungen dort relativ gut durchgeführt worden. Ich glaube, einige der dort politisch aktiven Gruppen haben die Furcht, dass hier westliche Einflüsse zu stark in die pakistanische Gesellschaft infiltrieren und haben sich deswegen gegen die Impfer gewandt. Es ist sehr traurig, dass so etwas passiert, aber es ist ein Faktum, mit dem wir irgendwie leben und fertig werden müssen.

Weltweit ist die Polio Kinderlähmung praktisch ausgerottet [mit Ausnahme von Pakistan, Afghanistan, und Nigeria und neuerdings wieder Papua-Neuguinea, Anm. d. Red.]. Würden auch dort die Impfprogramme durchgeführt, hätten wir die realistische Chance, Polio komplett auszurotten. 

Verunsichert wird die Öffentlichkeit durch Fehlinformationen oder Mythen, die hauptsächlich über das Internet verbreitet werden. Wie gefährlich sind Impfungen tatsächlich?

Impfen - Schutz oder Risiko?

Sicherlich sind oftmals falsche Berichte über Nebenwirkungen verbreitet worden, die bei näherer Untersuchung entweder gar nicht stattgefunden haben oder sehr milde waren. Ich schließe nicht aus, dass es bei einigen Impfungen auch in der Vergangenheit ernsthafte Nebenwirkungen gegeben hat. Das galt vor allem für die Tollwut-Impfung, die aber heute viel sicherer geworden ist.

Es gibt keine Impfung, die völlig ohne Nebenwirkungen ist. Allerdings muss man berücksichtigen, in welchem Umfang die Nebenwirkungen auftreten: Bei den Papillomviren lässt sich auf der Basis australischer Daten sagen, dass bei etwa 100.000 Impfdosen eine ernsthafte Nebenwirkung auftritt. Da sind Rötungen oder ein bisschen Fieber nach der Impfung nicht mit eingerechnet.

Als ernsthafte Nebenwirkung gelten vor allem schwerwiegende Allergien, die gegen das Eiweiß in dem Impfstoff auftreten können, aber gut behandelbar sind. Und wie gesagt: es betrifft nur einen von 100.000 Geimpften.

Das Interview führte Alexander Freund

 

 

DW Mitarbeiterportrait | Alexander Freund
Alexander Freund Wissenschaftsredakteur mit Fokus auf Archäologie, Geschichte und Gesundheit@AlexxxFreund