Teheran will Aufschwung ohne Atomkompromiss
1. November 2021Der Iran setzt verstärkt auf die Verbesserung seiner regionalen Beziehungen, darunter auch zu Saudi-Arabien. Der schiitische Iran und das sunnitische Königshaus in Saudi-Arabien sehen sich als regionale Vormächte und konkurrieren seit Jahren um Einfluss im Nahen Osten. Anders als bisher kann sich Saudi-Arabien nach dem Regierungswechsel im Weißen Haus nicht mehr auf die unkritische Unterstützung der USA verlassen. Unterdessen steht der Iran weiterhin unter dem Druck der amerikanischen Wirtschaftssanktionen.
Seit Anfang des Jahres versuchen die beiden Rivalen am Golf ihre bilateralen Beziehungen zu normalisieren. Seit Oktober 2021 ist der Handel wieder angelaufen: So exportiert der Iran zum Beispiel wieder Baumaterialien aus Glas für reflektierenden Straßenmarkierungen nach Saudi-Arabien.
"Wir werden unsere Wirtschaft vom Ergebnis der Atomverhandlungen abkoppeln", kündigte Irans Außenminister Hossein Amir Abdollahian in mehreren Interviews an. Von 2011 bis 2016 war Abdollahian stellvertretender Außenminister Irans für die arabische Welt. Nach dem Sieg des Hardliners Ebrahim Raisi bei den Präsidentschaftswahlen im August 2021 wurde er Außenminister. Ihm werden enge Verbindungen zu den Revolutionsgarden und ihren paramilitärischen Verbündeten im Nahen Osten nachgesagt.
Erholung von niedrigem Niveau aus
"Allein mit der Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarländern kommen wir aus der Wirtschaftskrise nicht heraus", gibt Navid Jamshidi, Chefredakteur der iranischen Wirtschaftszeitung "Asianews" im Gespräch mit der DW zu bedenken. Das leichte Wachstum der Wirtschaft im letzten Jahr sieht er wie auch andere Experten skeptisch. Nach Angaben der iranischen Statistikbehörde hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im vergangenen Jahr (nach dem iranischen Kalender 21. 3. 2020 - 20. 3. 2021) real um 0,7 Prozent zugelegt, trotz Sanktionen, Corona-Pandemie und Dürre. Die Zahlen waren in den ersten sechs Monaten im Vergleich zum Vorjahreszeitraum noch negativ; aber dann folgte im dritten Quartal ein leichter Zuwachs von 0,9 Prozent und im letzten Quartal ein kräftiges Plus von 6,8 Prozent.
"Die Wirtschaftsaktivitäten waren unter dem Druck der US-Sanktionen eingebrochen und auf ein extrem niedriges Niveau gesunken", betont Wirtschaftsjournalist Navid Jamshidi. "Dieses Wachstum jetzt bedeutet noch nicht, dass es uns gut geht".
Talfahrt nach 2018
Irans Wirtschaft hatte nachdem Abschluss des Wiener Atomabkommens 2015 eine kurze Phase der Erholung erlebt. Ab Januar 2016 nahm der iranische Außenhandel in allen Bereichen wieder Fahrt auf, die iranische Wirtschaft wuchs damals um zwölf Prozent. Im Mai 2018 stiegen die USA aus dem Atomabkommen aus und setzten ihre Sanktionen gegen den Iran wieder in Kraft. Die iranische Währung verlor in der Folge gegenüber dem US-Dollar stark an Wert: Im Januar 2018 mussten noch 42.880 Rial für einen US-Dollar bezahlt werden, im Januar 2021 waren es mit 240.000 Rial mehr als fünfmal so viel.
Entsprechend galoppierte die Inflation: Offiziellen Angaben zufolge stiegen die Verbraucherpreise 2018/2019 um durchschnittlich 26,9 Prozent, 2019/2020 um 34,8 Prozent und 2020/2021 um weitere 36,4 Prozent. Hinzu kommt eine Verschlechterung der chronisch angespannten Arbeitsmarktlage. Inzwischen leben nach Angaben des Forschungszentrums des iranischen Parlaments 35 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.
Hoffnung auf Zentralasien
"Eine Rückkehr zum Atomabkommen und die Aufhebung der Sanktionen hat mit dem Alltagsleben der Menschen nichts zu tun", behauptete dennoch Präsident Ebrahim Raisi Mitte Oktober in einem Gespräch mit dem iranischen Staatsfernsehen. Raisi setzt seine Hoffnungen auf die Verbesserung der regionalen und asiatischen Wirtschaftsbeziehungen. Seit September dieses Jahres ist der Iran vollwertiges Mitglied der Shanghai Cooperation Organisation (SCO). Der Organisation gehören außerdem China, Russland, Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan, Indien, Pakistan und Kirgisistan an. Der Iran hatte zehn Jahre lang Beobachterstatus.
"Das wird uns nicht helfen", befürchtet der Wirtschaftsprofessor Mohammad Mehdi Behkish in einem Artikel für die Wirtschaftszeitung Donya-e-Eqtesad Anfang Oktober. "Solange wir unter den Sanktionen stehen und nicht mit der internationalen Organisation 'Financial Action Task Force' (FATF) kooperieren, können wir aus unserer SCO-Mitgliedschaft keine wirtschaftlichen Vorteile ziehen."
Die FATF ist die internationale Organisation zur Bekämpfung von Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung und Finanzierung von Massenvernichtungswaffen mit Sitz in Paris. Sie prüft die Einhaltung dieser Standards durch derzeit 37 Mitgliedstaaten, Mitglieder sind außerdem die EU-Kommission und der Golf-Kooperationsrat.
Hardliner lehnen Kooperation mit FATF ab
In der Tauwetter-Zeit nach dem Atomabkommen von 2015 hatte der Iran zunächst gegenüber der FATF zugesagt, Maßnahmen gegen Geldwäsche und Terrorfinanzierung einzuleiten. Entsprechende Gesetzesvorhaben im Parlament wurden jedoch von den Hardlinern sabotiert. Deshalb steht der Iran - wie sonst nur noch Nordkorea - seit 2020 erneut auf der Liste von Staaten, gegen die die FATF sogenannte "Gegenmaßnahmen" erlassen hat. Diese beinhalten im wesentlichen verschärfte Melde- und Prüfpflichten von solchen Finanzinstitutionen der Mitgliedsländer, die Geschäftsbeziehungen mit oder im Iran haben.
Aufgrund der US-Sanktionen sind solche Geschäftsbeziehungen aber sowieso praktisch unmöglich, so dass die FATF-Sanktionen laut Brian O‘Toole vom Atlantic Council eher symbolische Bedeutung haben. Die sei aber nicht irrelevant, denn: Wenn Teheran die EU dafür kritisiere, dass sie entgegen ihren Zusagen nichts für die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran tue, könne die EU argumentieren, dass die Sanktionen der FATF solche Geschäftsbeziehungen unmöglich machten, ganz unabhängig vom Atomstreit.
Trotzdem sind die Hardliner weiterhin gegen Zusammenarbeit mit der FATF. Letztere sei ein "Instrument der Länder, die den Iran unterdrücken wollen", behauptet Parlamentschef Mohammad Bagher Ghalibaf. Der Widerstand ist nicht schwer zu verstehen: Irans Zusammenarbeit mit der FATF würde das Ende der finanziellen Unterstützung von eng mit dem Iran verbündeten schiitischen Gruppen wie der Hisbollah-Miliz im Libanon bedeuten.