Illusionen von USA und Iran im Atomstreit
20. Oktober 2021"Die USA müssen konkrete Schritte einleiten, wenn sie es mit der Rückkehr zum Atomabkommen ernst meinen", forderte Irans Präsident Ebrahim Raisi am Montag im staatlichen iranischen Fernsehen. Der Iran werde den Verhandlungstisch nicht verlassen, aber die USA müssten zuerst alle Sanktionen gegen den Iran aufheben. Zugleich gab der seit Anfang August amtierende Präsident zu, dass seine Regierung vor gewaltigen finanziellen Herausforderungen steht.
Die iranische staatliche Organisation für Planung und Haushalt gab vergangene Woche bekannt, dass dem Land der Finanznotstand drohe. Unter weiterhin anhaltenden Sanktionen und ohne die Inangriffnahme dringend notwendiger Reformen der "ungesunden" Verwaltungsstrukturen sei der Staat in spätestens zweieinhalb Jahren bankrott.
Schon jetzt leben laut offiziellen Angaben 30 Prozent der iranischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Diese Menschen können zum Beispiel ihre Miete oder ihre Behandlungskosten im Fall einer Krankheit nicht mehr bezahlen.
Atomprovokationen verhindern Erholung
Präsident Raisi hatte im Wahlkampf eine schnelle wirtschaftliche Erholung versprochen. Eine Voraussetzung dafür ist die Aufhebung der US-Sanktionen, die wiederum von Fortschritten bei der Rettung des Atomabkommens abhängt.
Die derzeit im Iran dominierenden Hardliner verschärfen jedoch die Konfrontation kontinuierlich, möglicherweise mit der Erwartung, dadurch ihre Verhandlungsposition zu verbessern. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA verstößt der Iran vorsätzlich immer stärker gegen die Auflagen des Wiener Atomabkommens von 2015. Inzwischen verfügt das Land über einen wachsenden Vorrat von auf 60 Prozent angereichertem Uran. Der Schritt zur Herstellung von genügend waffenfähigem Uran zum Bau einer Atombombe wird dadurch immer kürzer. Experten schätzen diese sogenannte "Break out time" auf nur noch einen bis wenige Monate. Während der Iran die Bedingungen des Atomabkommens beachtet hatte, betrug diese Zeitspanne noch über ein Jahr.
Die Gespräche in Wien über eine Rückkehr zum Abkommen waren im Juli nach den Präsidentschaftswahlen wegen des Regierungswechsels in Teheran unterbrochen worden. An diesem Donnerstag hätten sie laut iranischen Medien mit dem neuen Chefunterhändler und Vize-Außenminister Ali Bagheri Kani fortgesetzt werden sollen.
"Unrealistische Erwartungen an die EU"
Kani gehörte während der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad zum Verhandlungsteam bei den Atomgesprächen mit der EU. Die Gespräche unter dem kompromisslosen Hardliner blieben damals erfolglos. Erst 2015 kam es unter dem moderaten Präsidenten Rohani zur Beilegung des Atomstreits. Der Iran habe zu viele Zugeständnisse gemacht und zu wenig erreicht, kritisieren Hardliner wie Bagheri Kani bis heute.
In Brüssel seien bislang keine Termine mit Kani geplant, teilte eine Sprecherin des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell am Montag mit. Derzeit sei nicht klar, "ob und wann ein Treffen stattfinden wird". Erst vergangene Woche war der EU-Gesandte Enrique Mora in Teheran zur Kontaktaufnahme mit dem neuen iranischen Verhandlungsteam. Die EU-Seite machte dabei deutlich, dass nur die (unterbrochenen) Verhandlungen in Wien das weiterhin gültige Format seien. Demgegenüber meldete die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA, EU und Iran hätten sich auf eine Fortsetzung in den kommenden Tagen in Brüssel geeinigt.
Teheran habe unrealistische Erwartungen an die EU, sagt der Iran-Experte Shahir Shahid Saless im Gespräch mit der DW. Shahid Saless, der in Kanada lebt und für englischsprachige Medien über die iranische Außenpolitik schreibt, verfolgt die Entwicklungen um das iranischen Atomprogram seit langem. "Nachdem die USA unter Präsident Trump 2018 aus dem Atomabkommen ausgestiegen waren, forderte Irans religiöser und politischer Führer Ayatollah Chamenei die Europäer unter anderem auf, eine Resolution gegen die USA im UN-Sicherheitsrat einzubringen. Die USA sollten darin aufgefordert werden, auf die Thematisierung des Raketenprogramms und der regionalen Aktivitäten des Irans zu verzichten. Außerdem sollten sie Handelsgeschäfte mit dem Iran durch europäische Banken und den Kauf von iranischem Öl nicht behindern. Das ist natürlich nicht passiert. Nun hat der Iran eine neue Forderung: eine Garantie, dass kein Unterzeichner mehr aus dem Atomabkommen aussteigt."
Stillstand zwischen Washington und Teheran
Außenminister Hussein Amirabdollahian erwartet als "ein Zeichen des guten Willens" von den USA die Freigabe eingefrorener iranischer Auslandsguthaben, die hauptsächlich aus Öl- und Gasexporten stammen. Es gehe um mindestens zehn Milliarden US-Dollar, sagte Amirabdollahian Anfang des Monats im iranischen Fernsehen.
US-Präsident Biden hatte im Wahlkampf die Rückkehr zum Atomabkommen versprochen. Nach seiner Amtseinführung drang er allerdings auf ein "stärkeres" Abkommen mit längerer Laufzeit. Das scheint mittlerweile unrealistisch zu sein. Zugleich ist fraglich, wie Hardliner vom Schlage des Unterhändlers Kani Kompromisse zur Rettung eines Abkommens aushandeln können, das sie immer kritisiert haben.