Lukaschenkos blutige Anschlagspläne in Deutschland
6. Januar 2021Es ist ein internationaler politischer Skandal, der jedoch in Deutschland bislang kaum Thema ist: Am 4. Januar veröffentlicht die europäische Onlinezeitung EUobserver den Audiomitschnitt eines Gespräches zwischen dem ehemaligen Chef des belarussischen Geheimdienstes KGB Wadim Saizew und zwei seiner nicht weiter identifizierten Kollegen. Neben vielen Füll- und Schimpfwörtern findet sich Hochbrisantes, nämlich eindeutige Hinweise darauf, dass das politische Regime in Belarus, mit Alexander Lukaschenko an der Spitze, Anschläge auf seine Gegner im Ausland plante - auch in Deutschland.
Sonderkonto für Anschläge auf Gegner
Den Audiomitschnitt aus dem April 2012 lieferte der belarussische Dissident Igor Makar. Er war früher stellvertretender Kommandeur der Kampfgruppe "Almas", einer Anti-Terror-Einheit des belarussischen Innenministeriums. Im DW-Interview sagt Makar, ihm sei dieser Mitschnitt von einer "anonymen Quelle im KGB" zugespielt worden. Makar lebt seit mehreren Jahren in Deutschland im Exil.
Im geleakten Mitschnitt besprechen Saizew und seine beiden Ansprechpartner, mutmaßlich Offiziere des belarussischen Sicherheitsapparats, Details möglicher Anschläge: Namen der Opfer, die Wahl der Mordwaffe, Finanzierungs- und Beobachtungsmöglichkeiten. So ist die Rede von Prostituierten und "knutschenden Pärchen", die "nicht weiter auffallen" dürften und einem "Sonderkonto", auf dem angeblich von Lukaschenko etwa 1,5 Millionen US-Dollar für derartige Operationen hinterlegt worden seien. Als Mordwaffe im Gespräch: Gifte und Sprengstoffe. Zitate dazu aus dem Mitschnitt: "Es gibt in Witebsk einen interessanten Professor, er lehrt Toxikologie" und "weil wir ja TNT, Plastiksprengstoffe, Sprengzünder brauchen".
Anschlag auf "Henker von Minsk" geplant
Ein solcher Anschlag sollte wohl auch Oleg Alkajew gelten, dem "Henker von Minsk", wie ihn deutsche Medien früher einmal nannten. Alkajew war bis 2001 Leiter des Untersuchungsgefängnisses Nr. 1 in der belarussischen Hauptstadt Minsk. Unter seinem Befehl wurden zwischen 1996 und 2001 bis zu 150 Exekutionen durchgeführt. In Belarus wird die Todesstrafe weiterhin praktiziert.
Im Jahr 2001 flüchtete Alkajew nach Deutschland, nachdem er schwere Vorwürfe gegen das Regime erhoben hatte: Er habe auf Befehl die ihm anvertraute Exekutionspistole aushändigen müssen. Sein Verdacht: Die Pistole wurde für außergerichtliche Exekutionen an Oppositionellen missbraucht. Alkajew bekam Asyl in Deutschland.
Makar nennt Alkajew seinen "Freund". Der Ex-Almas-Kommandeur hatte nach eigenen Angaben zeitnah US-Geheimdienste über den Mitschnitt informiert. Diese hätten dann auch deutsche Behörden eingeschaltet. Einen polizeilichen Brief an Alkajew mit dem "Gefährdungshinweis" aus dem Jahr 2012 findet sich im Internet. Alkajew sagte der DW nach der Veröffentlichung des geleakten Audiomitschnitts, Makar und er hätten gewartet, bis sich ihre "Quelle" in Sicherheit gebracht habe. "Sobald er garantiert in Sicherheit war, haben wir beschlossen, das Ding anzukurbeln", erklärte Alkajew.
KGB hatte noch mehr Zielscheiben
Die Stimme Wadim Saizews im Audiomitschnitt ähnelt durchaus jener Stimme von ihm, die man in einigen Youtube-Videos mit ihm hören kann. Definitiv verifizieren, dass es sich um Saizew im Audiomitschnitt handelt, konnte ein von EUobserver hinzugezogener unabhängigger Experte aber nicht - die Audioqualität ist schlicht nicht gut genug.
Doch Igor Makar und eine nicht weiter genannte Quelle sollen aber bereit sein, die Echtheit des Gesprächs auch vor Gericht zu bestätigen, sollte es denn zu einem Verfahren kommen. Oleg Alkajew sagt der DW, er werde mit seinem Anwalt beraten, ob er Strafanzeige erstattet. Ex-KGB-Chef Wadim Saizew, der 2012 aus dem Amt entlassen wurde, und zur Zeit einen lokalen TV-Kanal führt, kommentierte die Veröffentlichung nicht.
Im geleakten Gespräch nennt Saizew weitere Gegner des politischen Regimes Lukaschenkos, die man hätte töten wollen. Darunter sind die früheren Offiziere des belarussischen Sicherheitsapparats Wjatscheslaw Dudkin und Wladimir Borodatsch. Doch die Anschläge wurden nicht ausgeführt. Alkajew glaubt, dass Makar die Pläne verhinderte, indem er die Audio-Aufnahme zeitnah an westliche Geheimdienste weitergab. "Das Team [von mutmaßlichen Killern - Anm. der Red.] war schon hier in Berlin. Nur die aktiven Handlungen von Makar haben sie aufgehalten", ist sich Oleg Alkajew sicher.
Heiße Spur für Mord an einem Journalisten?
Viel brisanter erscheint der Mitschnitt aber im Lichte eines anderen Todes. Eine Autobombe tötete am 20. Juli 2016 den prominenten belarussischen Journalisten Pawel Scheremet mitten in Kiew, der Hauptstadt der Ukraine. Bis jetzt gilt der Anschlag als einer der größten unaufgeklärten Morde im Land.
Steckten belarussische KGB-Leute hinter dem Anschlag? Bisher wurde diese Spur öffentlich nie diskutiert. Durch die nun ans Licht gekommene Tonspur erscheint eine Verbindung zu Minsk zumindest plausibel. Denn man hört, wie Saizew sagt: "Wir müssen uns mit Scheremet auseinandersetzen, der geht echt auf die Nerven".
Im Gespräch wird ein Mordkomplott im Zusammenhang mit Sprengstoffen diskutiert. "Wir werden so eine Konstruktion [einbauen - Anm. der Red.], dass diese Scheißratte in verfickte Teile zerschmettert wird: die Arme in eine Richtung, die Beine in die andere. Wenn das irgendwie natürlich [aussieht - Anm. der Red.], wird keiner was denken", so Saizew im Wortlaut. Und er sagt auch: "Wichtig ist, dass niemand auf die Idee kommt, dahinter könnte der KGB stehen". EUobserver veröffentlichte interne KGB-Dokumente, die belegen sollen, dass die Behörde Scheremet, der damals in Russland wohnte, ständig beobachtete.
Reaktion in der EU verhalten
Eine offizielle Reaktion in Belarus auf die Veröffentlichung gibt es bislang nicht. Auch die EU-Kommission will den Mitschnitt nicht weiter kommentieren. "Unser politischer Kurs vis-à-vis Belarus ist sehr gut bekannt", sagt EU-Sprecher Eric Mamer lediglich. Die EU hat nach den Präsidentschaftswahlen in Belarus im August 2020 den belarussischen Herrscher und sein Umfeld mit Sanktionen belegt und diese mehrfach ausgeweitet.
In Deutschland fiel die Reaktion ähnlich verhalten aus. So antwortete das Bundesamt für Verfassungsschutz auf DW-Anfrage: "Die Aufklärungs- und Abwehraktivitäten der deutschen Spionageabwehr richten sich gegen sämtliche illegale nachrichtendienstliche Aktivitäten. Darüber hinaus ist der im Artikel angeführten Stellungnahme des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat nichts hinzuzufügen". Das deutsche Innnenministerium wird im EUobsever-Bericht mit den Worten zitiert, man habe keine Informationen oder Hinweise, dass die in Deutschland lebenden belarussischen Oppositionellen in Gefahr seien. Das Auswärtige Amt ließ zunächst eine DW-Anfrage unbeantwortet, ob eine diplomatische Antwort als Reaktion auf die jüngsten Enthüllungen vorbereitet werde.