Belarus Todesstrafe
10. April 2013DW: Frau Kowaljowa, wie haben Sie das vergangene Jahr erlebt?
Ljubow Kowaljowa: Wie das vorherige Jahr - in Furcht und Hoffnung. Ich kann einfach nicht glauben, dass mein Sohn Wladislaw und Dmitri Konowalow erschossen wurden. Mir kommt es vor, als würde mein Sohn leben. Vielleicht deswegen, weil ich ihn nicht tot gesehen habe. Ich hoffe immer noch auf ein Wunder. Seit seiner Verhaftung sind zwei Jahre vergangen. Damals gab es nichts, womit ich meinem Sohn hätte helfen können. Heute beschäftige ich mich vor allem damit, von den belarussischen Behörden zu erfahren, wo mein Sohn begraben ist. Wenn ich mich darum nicht kümmern würde, wäre auch mein Leben vorbei.
Sie glauben, dass Ihr Sohn mit der Explosion in der Minsker U-Bahn nichts zu tun hatte.
Mein Sohn Wladislaw und Dmitri Konowalow sind unschuldig. Eine solche Tat kann nicht von zwei Amateuren verübt werden. Da hat ein ganzes System gearbeitet. Die beiden hat man zu Prügelknaben gemacht.
Sie haben eine internationale Unterschriftensammlung unter eine Online-Petition zur Abschaffung der Todesstrafe in Belarus initiiert. Wie verläuft sie?
Die Kampagne wurde mit Hilfe der Internet-Plattform Change.org gestartet, noch vor November 2011, also bevor die Todesurteile vollstreckt wurden. Damals konnten wir mehr als 30.000 Unterschriften aus aller Welt unter einer Petition an das Gericht sammeln, in der es aufgefordert wurde, ignorierte Fakten zu berücksichtigen und den Fall neu zu prüfen. Nach dem Urteil setzten sogar mehr als 100.000 Menschen ihre Unterschrift unter meinen Brief an die europäischen Staats- und Regierungschefs. Darin bat ich sie, sich gegen das Todesurteil einzusetzen. Ich wurde vom Europäischen Parlament und vom Europarat empfangen. Ich legte eine Dokumentation über den Verlauf der Ermittlungen und des Gerichtsverfahrens vor. Aber Präsident Alexander Lukaschenko hat die Forderungen der internationalen Gemeinschaft ignoriert.
Wie reagieren die belarussischen Behörden auf Ihre Kampagne? Was wollen Sie erreichen?
Nach der Hinrichtung von Wladislaw und Dmitri wurde in Belarus kein einziges Todesurteil mehr gesprochen. Wir wollen erreichen, dass Artikel 175 des belarussischen Strafgesetzbuches geändert wird. Absatz 5 sieht vor, dass nach Vollstreckung einer Todesstrafe der Körper des Erschossenen nicht an die Angehörigen überstellt wird. Ferner wird der Ort der Bestattung nicht angegeben. Das ist ungeheuerlich, aber für die Behörden sehr bequem, weil sie alles vertuschen können. Tatsächlich wurden nach der Urteilsverkündung am 30. November 2012 hastig Beweise vernichtet. Ich habe mich an den KGB gewandt, an das Gericht, an die Staatsanwaltschaft und an die Abteilung im Innenministerium, die für die Vollstreckung von Strafen zuständig ist. Ich wollte wissen, wer das Urteil vollstreckt hat und wo das Grab meines Sohnes ist. Ich wurde von einer Instanz zur anderen geschickt. Der KGB verwies mich ans Gericht. Es erklärte, nicht zuständig zu sein. Und vom Innenministerium hieß es unter Hinweis auf Artikel 175 des Strafgesetzbuches, dass "Strafen nicht öffentlich vollstreckt werden". Offensichtlich will niemand die Verantwortung für die Erschießungen übernehmen.
Halten Sie eine Überprüfung des Falles überhaupt noch für möglich?
Derzeit wird der Staat das nicht zulassen. Obwohl sich die Argumente der Anklage noch während der Hauptverhandlung vor unseren Augen auflösten. Doch man muss wissen, noch bevor der Prozess überhaupt begann, hat Lukaschenko diejenigen befördert und ausgezeichnet, die die Ermittlungen leiteten. Ich denke, dass man den Fall unbedingt neu prüfen muss. Denn die wirklichen Täter sind auf freiem Fuß und wir wissen nicht, was uns erwartet.
Wie schaffen Sie es, in diesem Kampf durchzuhalten?
Ich werde nicht aufgeben und weiterhin Informationen darüber verlangen, wo mein Sohn begraben liegt. In diese Hölle eines Systems, durch die ich und mein Sohn gegangen sind, kann jeder geraten. Schrecklich ist allein schon, dass sich dieser Alptraum bei jedem wiederholen könnte. Ich denke viel darüber nach, wie viele Söhne zwischen diese Mühlsteine geraten könnten und wie viele Mütter wie ich dann nächtelang nicht schlafen könnten und weinen würden.
Am 15. März 2012 wurden in Belarus die 26-jährigen Männer Wladislaw Kowaljow und Dmitri Konowalow für schuldig befunden, einen Terroranschlag in der Minsker U-Bahn verübt zu haben. Bei der Explosion im April 2011 wurden 15 Menschen getötet, mehr als 300 verletzt. Wladislaws Mutter Ljubow Kowaljowa ist überzeugt, dass die wahren Täter nicht ermittelt wurden. Sie kämpft für die Abschaffung der Todesstrafe in Belarus.