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Lukaschenko und der Gas-Transit nach Europa

15. November 2021

Der belarussische Machthaber droht mit einem Gas-Stopp in der russischen Pipeline Jamal-Europa. Aber Gazprom hat auch andere Transportwege zu seinen Kunden. Eine DW-Bestandaufnahme.

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Arbeiter an einer Station der Jamal-Europa-Pipeline in Belarus
Arbeiter an einer Station der Jamal-Europa-Pipeline in BelarusBild: Viktor Drachev/AFP/Getty Images

Diese Meldung machte Schlagzeilen: Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko drohe Europa damit, den Transit russischen Erdgases durch sein Land zu stoppen. Die Drohung kam mitten im Konflikt um Migranten und Flüchtlinge an der Grenze zwischen Belarus und der EU - und vor dem Hintergrund einer Preisexplosion auf dem europäischen Gasmarkt vor dem nahenden Winter. Kurz darauf erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, er habe nichts von diesem Vorstoß gewusst und hoffe, dass es nicht zu einer Verletzung des bestehenden bilateralen Transitvertrages kommt.

Lukaschenko droht auch dem Lkw-Transit

Aber ist damit die Gefahr von Lieferunterbrechungen tatsächlich gebannt? Und wie wichtig für die Versorgungssicherheit der EU ist überhaupt die Gaspipeline Jamal-Europa, die von Russland durch Belarus und Polen nach Deutschland führt?

Zuerst einmal eine Klarstellung: Bei seinem Wutausbruch auf der Sitzung der Regierung in Minsk meinte Lukaschenko letzte Woche nicht nur den Gastransit, sondern drohte mit einer Blockade jeglicher Güterlieferungen aus der EU auf den russischen Markt. Dabei erwähnte er explizit Lkw-Transporte aus Polen und Deutschland nach Russland. Damit erneuerte er eine Drohung von Anfang Juli (über die die DW damals schon berichtete).

Kontrollstation für Lkw an der Grenze Belrus-Russland
Kontrollstation für Lkw an der Grenze Belrus-RusslandBild: DW/A. Burakov

Dieser Aspekt bekam in den letzten Tagen in der internationalen Berichterstattung allerdings wenig Beachtung, und auch Putin ging nicht darauf ein, obwohl Russland gerade über Belarus und gerade per Lkw den überwiegenden Teil der in ganz Europa eingekauften Investitions- und Konsumgüter importiert. Eine Sperrung des Transits auf der Straße und auch auf der Schiene durch Lukaschenko würde somit den russisch-europäischen Warenverkehr enorm beeinträchtigen. 

Gazprom: drei Transportkorridore Richtung Westen

Erst danach kam Lukaschenko in seiner improvisierten Rede zu möglichen Reaktionen auf weitere EU-Sanktionen auf das Gas zu sprechen. Dabei ist wichtig festzuhalten: Er drohte eine Pipeline zu stoppen, die zwar durch Belarus verläuft, aber dem Land gar nicht gehört. Alleiniger Eigentümer dieser Transportinfrastruktur ist der russischen halbstaatliche Gazprom-Konzern. Rein technisch könnte der belarussische Machthaber den Gashahn natürlich zudrehen, dies räumte auch Putin in seinem TV-Interview vom Wochenende ein. Aber juristisch wäre das eine grobe Verletzung geltenden Rechts, die Moskau sicherlich nicht tatenlos hinnehmen würde.

Infografik Gaspipelines von Russland nach Europa

Doch angenommen, es kommt zum Ernstfall und Lukaschenko lässt kein russisches Gas mehr durch sein Land nach Deutschland und zu den anderen EU-Kunden fließen. Gazprom würde dann über genügend Ausweichmöglichkeiten verfügen, denn seine Lieferungen an die Kunden in West-, Mittel- und Osteuropa laufen über gleich drei Transportkorridore, von denen die 1999 gebaute Pipeline Jamal-Europa mit einer Jahreskapazität von 33 Milliarden Kubikmeter Erdgas der kleinste ist.

Die Pipeline Nord Stream 1 mit einer Kapazität von 55 Milliarden Kubikmetern, die gerade den zehnten Jahrestag ihrer Inbetriebnahme begangen hat, bietet durch die Ostsee eine direkte Verbindung zwischen Russland und Deutschland ohne Transitländer. Durch das Gastransportsystem der Ukraine muss Gazprom laut dem bis Ende 2024 laufenden Vertrag jährlich 40 Milliarden Kubikmeter pumpen. Er könnte aber bei Bedarf diese Mengen jederzeit erhöhen, denn die ukrainischen Pipelines sind in der Lage, insgesamt mehr als 140 Milliarden Kubikmeter Erdgas in Richtung EU zu befördern.  

Nord Stream 2 würde die Jamal-Europa-Pipeline ersetzen

Zudem beliefert Gazprom seit diesem Jahr Südosteuropa über die Balkan Stream, die bis zu 15,75 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Bulgarien, Serbien und Ungarn bringen kann. Diese Pipeline ist die Forsetzung der durch das Schwarze Meer zwischen Russland und der Türkei verlegten Turkish Stream.

Anlandestation der Nord Stream-Pipeline in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern)
Anlandestation der Nord Stream-Pipeline in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) Bild: picture alliance/dpa/S. Sauer

Und dann wäre da noch die zu Ende gebaute, aber von Deutschland und der EU noch nicht freigegebene hoch umstrittene Pipeline Nord Stream 2 mit einer Kapazität von weiteren 55 Milliarden Kubikmetern. Sollte also Lukaschenko tatsächlich am Gashahn drehen, würde das die russische Führung, von der Minsk finanziell und ökonomisch völlig abhängt, zwar einerseits brüskieren, aber andererseits ihr im gewissen Sinne sogar in die Hände spielen. Denn Moskau hätte ein weiteres handfestes Argument, warum die Europäer diesen direkten Versorgungsweg durch die Ostsee schnellstmöglich und in vollem Umfang in Betrieb nehmen sollten.

Doch selbst wenn die EU aufgrund ihrer Anti-Monopol-Bestimmungen nur einen Strang der Nord Stream 2 zulassen sollte, würde die neu dazukommende Transportkapazität von 27,5 Milliarden Kubikmetern die Jamal-Europa praktisch unnötig machen. Zumal Gazprom die Strecke über Belarus und Polen für seinen Export mittlerweile ohnehin immer weniger nutzt und auch nutzen will.   

Auffälliges Buchungsverhalten des russischen Gaskonzerns 

Davon zeugt das sehr auffällige Buchungsverhalten des Konzerns. Für das in der Gasbranche am 1. Oktober angebrochene Geschäftsjahr 2021/2022 hat Gazprom in dieser Pipeline keine langfristigen Transportkapazitäten reserviert, er will lediglich kurzfristig, monatlich entscheiden, wie viel er durch die Jamal-Europa pumpen will - wenn überhaupt. So kam in Deutschland im Oktober auf diesem Weg lediglich etwa ein Drittel jener Mengen an, die noch vor einigen Monaten üblich waren. Und Anfang November, noch vor der Drohung Lukaschenkos, stand die Leitung einige Tage gänzlich still oder pumpte Gas sogar in die entgegengesetzte Richtung - von Deutschland nach Polen.

Es hat also den Anschein, dass jene Gaspipeline, mit deren Blockade der belarussische Machthaber der EU zu drohen versucht, zusehends zu einem Auslaufmodell wird.