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Politik

Litauen will Ausnahmezustand ausrufen

9. November 2021

An der belarussischen Grenze zu Polen wächst der Andrang von Migranten. Nun greift Vilnius zu härteren Maßnahmen. Und EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen fordert neue Sanktionen gegen Belarus.

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Belarus Polen Grenze Migration
Gruppen von Migranten versuchen bei Grodno die Grenze zu Polen zu überwindenBild: GRODNO REGION via REUTERS

Litauen will angesichts der zugespitzten Lage an der EU-Außengrenze zu Belarus für einen Monat den Ausnahmezustand in der Grenzregion verhängen. Die Regierung des baltischen EU-Landes legte dem Parlament in Vilnius einen entsprechenden Beschluss zur Billigung vor. Das Kabinett folgt damit einem Vorschlag von Innenministerin Agne Bilotaite.

Der Ausnahmezustand soll demnach ab Mitternacht entlang der Grenze zu Belarus und fünf Kilometer landeinwärts gelten sowie in den Migrantenunterkünften in Kybartai, Medininkai, Pabrade, Rukla und Vilnius. Dort kam es am Montag zu Unruhen - in einem Lager wurde Tränengas eingesetzt. "Wir beobachten, was an der polnisch-weißrussischen Grenze vor sich geht, und das bedeutet natürlich, dass wir auch mit ähnlichen Invasionen und Angriffen rechnen können", sagte Bilotaite. Darauf müsse mit der Stärkung der Sicherheit der Grenzen reagiert werden. 

"Zynische Instrumentalisierung von Migranten"

Angesichts der Zuspitzung des Flüchtlingsstreits mit Belarus macht sich die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, für zusätzliche Strafmaßnahmen gegen die Führung in Minsk stark. Diese müsse mit der "zynischen Instrumentalisierung von Migranten" für politische Zwecke aufhören, sagte von der Leyen in Brüssel. Sie forderte die Mitgliedsstaaten der EU auf, "die erweiterte Sanktionsregelung gegen die belarussischen Behörden zu billigen, die für diesen hybriden Angriff verantwortlich sind". Sie habe mit den Regierungschefs und -chefinnen von Polen, Litauen und Lettland Maßnahmen zur Unterstützung bei der Bewältigung dieser Krise erörtert.

Belgien Brüssel | Europaparlament: Ursula von der Leyen
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Bild: Olivier Hoslet/AFP/Getty Images

Die EU arbeite insbesondere daran, Fluggesellschaften von Drittstaaten zu sanktionieren, die am Transport von Migranten nach Belarus beteiligt seien, sagte von der Leyen. Nach ihren Angaben wird EU-Vizepräsident Margaritis Schinas in Kürze in die Herkunfts- und Transitländer der Migranten reisen, "um sicherzustellen, dass deren Staatsangehörige nicht in die von den belarussischen Behörden gestellte Falle laufen".

Inzwischen setzte die Europäische Union ein Abkommen über Visa-Erleichterungen mit Belarus in Teilen aus. "Dieser Beschluss ist eine Reaktion auf den laufenden hybriden Angriff seitens des belarussischen Regimes", hieß es in einer Mitteilung aus Brüssel. Er gilt den Angaben zufolge für "Amtsträger des belarussischen Regimes". Für sie wird es künftig aufwendiger und teurer, ein Visum für die Einreise in die EU zu bekommen. Gewöhnliche Staatsbürger betrifft der Beschluss nicht. 

Die EU wirft dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko vor, Flüchtlinge aus dem Nahen Osten absichtlich in die EU zu schleusen, um auf diese Weise Vergeltung für Brüsseler Sanktionsbeschlüsse zu üben. Mitte Oktober hatte die EU den Druck auf das autoritär regierte Land erhöht und die Prüfung erweiterter Sanktionen gegen die staatliche belarussische Airline Belavia angekündigt.

"Sicherheit der gesamten EU auf dem Spiel"

Polen, Lettland und Litauen meldeten in den vergangenen Monaten tausende illegale Grenzübertritte aus Belarus. Am Montag teilte ein Sprecher der polnischen Regierung mit, 3000 bis 4000 Migranten hätten sich nahe der polnischen Grenze versammelt. Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak erklärte in Warschau, es würden nunmehr 12.000 Soldaten an der Grenze eingesetzt - 2.000 Mann mehr als zuvor. Weitere Kräfte seien in Alarmbereitschaft versetzt. Sein Ministerium sei mit dem Innenministerium, das für die Polizei und den Grenzschutz zuständig ist, bereit, die polnische Grenze zu verteidigen.

Regierungschef Mateusz Morawiecki sieht die EU durch den Migranten-Andrang insgesamt in Gefahr. "Heute steht die Stabilität und Sicherheit der gesamten EU auf dem Spiel", erklärte Morawiecki auf Twitter. Der "Angriff des Regimes von Lukaschenko richtet sich gegen uns alle". Polen werde sich nicht einschüchtern lassen und "den Frieden in Europa gemeinsam mit unseren Partnern aus NATO und EU verteidigen".

"Die meisten Menschen in Polen unterstützen den harten Kurs der Regierung", erklärt DW-Korrespondentin Magdalena Gwozdz-Pallokat in Warschau. "Auf der anderen Seite gibt es auch viele humanitäre Organisationen, die versuchen, die Flüchtlinge mit Essen und Decken zu versorgen." Die Korrespondentin war erst in der vergangenen Woche in der Nähe des Grenzgebietes unterwegs. Journalisten ist der Zutritt zu der Region, die seit Anfang September als Sperrgebiet gilt, verboten.  

Wegen der prekären Lage sei der Grenzverkehr für Waren und Personen am Übergang Kuznica wie angekündigt seit 7.00 Uhr am Dienstag eingestellt, bestätigte eine Sprecherin des polnischen Grenzschutzes der Deutschen Presse-Agentur. Reisende wurden gebeten, auf die Grenzübergänge in Terespol und Bobrowniki auszuweichen. 

USA kritisieren Regime in Minsk

Die US-Regierung forderte Belarus auf, seine "Kampagne zur Orchestrierung und Erzwingung illegaler Flüchtlingsströme über seine Grenzen in die EU" sofort zu stoppen. Washington verurteile die Ausnutzung "verletzlicher Menschen" durch das "Lukaschenko-Regime", sagte Außenministeriumssprecher Ned Price.

Infografik Flüchtlingsroute Belarus EU

Angesichts des Andrangs tausender Migranten an der EU-Außengrenze bat der geschäftsführende Bundesinnenminister Horst Seehofer die Europäische Union um Unterstützung. "Das können Polen oder Deutschland nicht allein bewältigen", sagte Seehofer der "Bild"-Zeitung. "Wir müssen der polnischen Regierung bei der Sicherung der Außengrenze helfen. Das wäre eigentlich Aufgabe der EU-Kommission. An die appelliere ich jetzt, dass sie aktiv wird", sagte der CSU-Politiker.

Alle EU-Staaten müssten nun zusammenstehen, da der belarussische Machthaber Lukaschenko versuche, die Schicksale der Flüchtlinge zu benutzen, "um den Westen zu destabilisieren". Er warf Lukaschenko vor, die Bilder von Flüchtlingen und fliehenden Kindern an der Grenze "gezielt erzeugt und eingesetzt" zu haben. Lukaschenko werde dabei von Russlands Präsident Wladimir Putin unterstützt.

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Polen zieht an der Grenze zu Belarus weitere Sicherheitskräfte zusammen Bild: GRODNO REGION via REUTERS

Polen reagierte auf die steigende Zahl von Migranten mit einer massiven Aufstockung von Grenzsoldaten, der Errichtung eines Stacheldrahtzauns und der Verhängung eines Ausnahmezustands im Grenzgebiet. Auch sogenannte Pushbacks, bei denen Migranten von polnischem Staatsgebiet zurückgedrängt werden können, wurden legalisiert. Das Warschauer Parlament gab zudem grünes Licht für den Bau einer umstrittenen befestigten Grenzanlage an der Grenze zu Belarus.

Weber wirft Erdogan Erpressung vor

Auch der CSU-Europapolitiker Manfred Weber verlangte ein entschiedenes Auftreten der Europäischen Union. "Die europäische Botschaft muss sein: Es reicht!", sagte der Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament der Zeitung "Bild". Er sprach sich für "verschärfte Sanktionen" gegen Lukaschenko und dessen Umfeld aus. "Die östlichen EU-Staaten brauchen schnelle und effiziente Hilfe."

Kritisch äußerte Weber sich mit Blick auf die Türkei - eins der Länder, von denen aus Migranten mit Flügen nach Belarus gelangten. "Wenn der türkische Präsident (Recep Tayyip) Erdogan nun mittels zahlreicher Migranten-Flüge aus der Türkei nach Belarus neue Erpressungsversuche gegen die EU unternimmt, braucht es eine unmissverständliche Antwort", sagte Weber. "Damit wird er genauso scheitern wie mit seinem Versuch, Migranten über die griechisch-türkische Grenze zu schleusen. Die Kommission muss umgehend Gespräche mit der türkischen Regierung aufnehmen."

sti/kle/ust (afp, dpa, rtr, kna)