Libanon: Wie die Zentralbank die Bevölkerung ausnimmt
27. August 2023Bevor 2019 im Libanon die Wirtschaftskrise einsetzte, gehörte Riad Salamah, der Präsident der Banque de Liban (BDL), zu den angesehensten Währungshütern der Welt. Als er Ende Juli 2023 nach 30 Jahren sein Amt abgab, war dies ins komplette Gegenteil umgeschlagen. Heute ermitteln sechs europäische Staaten und der Libanon selbst gegen Salamah, er wird von der internationalen Polizeibehörde Interpol gesucht, und die USA, das Vereinigte Königreich und Kanada haben Sanktionen gegen ihn verhängt.
Salamahs Währungspolitik soll in Kombination mit Korruption und Missmanagement der Regierung zu der Wirtschaftskrise geführt haben, die sich im Libanon durch eine Rezession, die Entwertung des libanesischen Pfunds, den Kollaps des Bankensektors und weitverbreitete Armut bemerkbar gemacht hat.
2016 führte Salamah Finanzmechanismen ein, die den Bankensektor nachhaltig geschwächt, die Staatsschulden in die Höhe getrieben und große Teile der Bevölkerung um ihre Ersparnisse gebracht haben. In einem ohnehin wirtschaftsschwachen Land wie dem Libanon, das von Importen abhängig ist, ist das besonders verhängnisvoll.
Salamahs Reichtümer im Fokus von Ermittlungen
Das alles könnte man mit Unfähigkeit begründen, doch Salamah hat als Zentralbankpräsident nicht nur die zügellose Haushaltspolitik der Regierung ermöglicht und mitgetragen, er hat sich auch selbst bereichert, wie Untersuchungen im In- und Ausland offengelegt haben.
Obwohl er standhaft jegliche Fehltritte bestreitet, werden ihm und weiteren Verdächtigen vorgeworfen, zwischen 2002 und 2015 rund 330 Millionen US-Dollar (rund 300 Millionen Euro) veruntreut zu haben. Die öffentlichen Gelder sollen angeblich in Luxusimmobilien und andere Vermögenswerte in Europa geflossen sein.
Auf Grundlage der Ermittlungen haben Deutschland und Frankreich im Mai 2023 Salamahs Vermögenswerte konfisziert und einen internationalen Haftbefehl erlassen. Als der Libanon unter Berufung auf libanesisches Recht die Auslieferung ablehnte, erhoben die USA, das Vereinigte Königreich und Kanada Sanktionen gegen Salamah, woraufhin auch die Regierung in Beirut Salamahs inländische Vermögen einfror.
Ein korruptes System
Salamah ist nur ein Knotenpunkt in einem eng verschachtelten politischen Netzwerk, das den Libanon seit Jahrzehnten regiert. "Ich vergleiche Salamah mit Meyer Lansky", sagt der libanesische Ökonom Roy Badaro. Lansky galt im 20. Jahrhundert als "Bankier des organisierten Verbrechens" in den USA. "Salamah war Teil des Korruptionsrings in der libanesischen Politik, der sich an öffentlichen Geldern bereicherte."
Ein Bericht der internationalen Managementberatung Alvarez & Marsal im Auftrag des libanesischen Finanzministeriums legt die Intransparenz offen, mit der die libanesische Zentralbank agierte. Auffällig seien demnach die ungewöhnliche Konzentration von Macht beim Zentralbankpräsidenten, der Mangel an Kontrolle über dessen Handeln sowie unkonventionelle Buchhaltungsmethoden, die negative Ergebnisse beschönigten, Vermögenswerte und Gewinne aufbliesen und Verluste verschleierten.
Sami Nader, Leiter des Levant Insitute for Strategic Affairs, sagt, dass es keinerlei Kontrollmechanismen oder Governance-Systeme gegeben habe: "Die Positionen innerhalb der Zentralbank wurden von der Regierung innerhalb eines sektenähnlichen Systems besetzt, dessen Führungspersönlichkeiten aus dem Bürgerkrieg hervorgegangen sind."
Zahlreiche Berichte bestätigen die Verbindungen zwischen der herrschenden Klasse und dem Bankensystem.
Die Bevölkerung zahlt einen hohen Preis
Die Verfehlungen und die Korruption in der Zentralbank hätten nur einige wenige begünstigt und weite Teile der Bevölkerung belastet, sagt Farhat Farhat, Ökonom und Präsident des Anlegerverbandes Lebanon's Depositors Union: "Tausende Berufstätige haben ihre Ersparnisse und teilweise ganze Rentenfonds lokalen Banken anvertraut. Nun ist die Mittelschicht in Armut abgestürzt, Rentner haben ihre Altersvorsorge verloren, können ihre Medikamente nicht mehr bezahlen und sind gezwungen, wieder zu arbeiten, um ihre Grundbedürfnisse zu finanzieren."
So klar die Probleme, so unklar sind die Lösungsansätze, die Wassim Mansouri, Interimspräsident der BDL, nun verfolgt: "Die Korruption kann in diesem System nicht gestoppt werden", meint Politikberater Nader. "Mansouri hat angekündigt, keine neuen Kredite aufzunehmen, bevor es ein Gesetz gibt. Er scheint also auf ein Gesetz aus dem System zu warten, das die mangelbehaftete Politik flankiert. Damit unterstreicht er, dass es keinen Wandel geben wird."
Ökonom Badaro schlägt als Lösung vor, für mehr Transparenz das Bankgeheimnis aufzuheben: "Wir brauchen das Bankgeheimnis nicht mehr. Um Korruption zu bekämpfen, müssen wir die Straflosigkeit eliminieren. Um den Libanon wiederaufzubauen, müssen wir die Verantwortlichen auch wirklich zur Verantwortung ziehen."
Die BDL spielt eine zentrale Rolle dabei, dass der Libanon die Voraussetzungen für ein Drei-Milliarden-Dollar-Hilfspaket des Internationalen Währungsfonds (IWF) erfüllen kann, das 2022 auf der Arbeitsebene ausgehandelt wurde. Doch Farhat meint, viel dringender als einen IWF-Kredit brauche das Land verlässliche Persönlichkeiten, die ökonomische und finanzielle Entscheidungen treffen.