"Legal Highs" - gefährlicher Rausch aus dem Internet
19. April 2016Schwindel, Übelkeit und Panikattacken - im Forum von www.drugscouts.de beschreibt ein 28jähriger seinen Drogen-Horrortrip: "Tauber Körper über 7 Tage!!! [...] Was ich euch sagen will, ist, dass es euren Körper und Nerven auf übelste angreift. Ich war daraufhin im Krankenhaus und habe mich durchchecken lassen! Es war ein Verdacht auf leichten Hirnschlag (Schlaganfall)."
Die Rede ist hier aber nicht von illegalen Substanzen wie Chrystal Meth oder Heroin. Das Rauschmittel, mit dem sich der junge Mann über mehrere Tage vergiftet hat, heißt "Jamaican Gold". "Legal Highs" sind neue Drogen aus dem Labor - so neu, dass sie noch nicht verboten sein können. Experten wie Rüdiger Schmolke vom Suchtpräventionszentrum "Chill Out“ in Potsdam warnen davor, "legal" mit "harmlos" gleichzusetzen: "Eigentlich müsste es heißen: Stoffe, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Der Name soll den Leuten suggerieren: Das ist legal, das kannst Du ruhig machen ohne Ärger mit der Polizei zu bekommen." Unter den neuen synthetischen Drogen findet sich alles Mögliche: mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Kräuter, "Badesalz"- Mischungen mit meist aufputschender Wirkung, aber auch Rein-Substanzen, wie etwa Kokain-Derivate. Doch ist es wirklich möglich, sich Drogen mit der Post nach Hause zu bestellen wie ein Buch oder ein paar Schuhe?
"In den Warenkorb"
Ich notiere die Namen der Legal Highs, über die auf den User-Foren am meisten diskutiert wird und ergänze meine Online-Suche mit dem Wort "kaufen". Schon bei einer Suchanfrage auf Deutsch erhalte ich tausende von Angeboten, auf Englisch sind es über eine Million. Darunter allerdings auch eine Warnung der Deutschen Drogenbeobachtungsstelle, die von zwei tödlichen Intoxikationen, "im Zusammenhang mit der Kräutermischung Jamaican Gold Extreme" berichtet. Kann es sein, dass die Substanz trotzdem weiter auf dem Markt ist?
Auf einer in psychedelischen Farben und Mustern gestalteten Seite bestelle ich zwei Räuchermischungen, darunter auch "Jamaican Gold Extreme". 3g einer nicht weiter beschriebenen Substanz für 24 Euro. Der Verkäufer verspricht einen schnellen Versand und eine "Diskrete Verpackung". Zur Anwendung und Dosierung gibt es keine Informationen. In der Beschreibung heißt es lediglich: Nur für erfahrene Anwender! Zwei Tage später erhalte ich per Einschreiben ein Couvert: mit den Drogen. Die einfache Bestellung macht Legal Highs vor allem für Menschen auf dem Land attraktiv. Für diesen Rausch muss man keinen Dealer kennen oder sich im Bahnhofsviertel der nächstgelegenen Großstadt herumtreiben. Genaue Zahlen über die Legal High-Konsumenten gibt es nicht. Laut einer Umfrage des Centre for Drug Research der Universität Frankfurt hat die Verbreitung etwas damit zu tun, wie die Drogenpolitik in einer Region gehandhabt wird: "Viele der User nutzen auch illegale Drogen", sagt der Frankfurter Drogenexperte Bernd Werse. "Viele wollen ihr Drogenspektrum erweitern. Oder es sind Kiffer, die Angst vor Verfolgung haben. Da gibt es große regionale Unterschiede. In Bayern zum Beispiel - wo der Marihuana-Konsum stärker verfolgt wird - werden deutlich mehr synthetische Cannabinoide konsumiert."
Was ist drin?
Die chemische Struktur von synthetische Cannabinoiden ähnelt der des Hauptwirkstoffs von Cannabis, dem Tetrahydrocannabinol, kurz THC. Entsprechend ähneln auch die Effekte denen von Marihuana. Entwickelt wurden erste synthetischen Cannabinoid-Ableger bereits 1965 in den USA. Aber erst jetzt sind die technischen Möglichkeiten da, diese Stoffverbindungen kostengünstig im großen Stil zu produzieren. Das sagt Luzia Schaaf, Apothekerin an der LVR-Klinik Viersen: "Die meisten Legal Highs kommen aus Labors in China. Von Hongkong oder Shanghai aus werden sie tonnenweise per Container verschifft. In Europa kaufen Händler dann die Rohware in Pulverform, kaufen Kräutermischungen oder Tees dazu und vermischen das Ganze."
Die Klinik in der Nähe von Düsseldorf ist eine der größten psychiatrischen Einrichtungen in Deutschland. Im angeschlossenen Labor kommen täglich Proben aus ganz Deutschland an. Auch die von mir im Netz gekaufte Räuchermischung. Das Labor in Viersen ist das einzige in Deutschland, in dem unbekannte Proben auf Arznei- und suchtrelevante Stoffe hin untersucht werden. Der Stoff, den Luzia Schaaf aus meinen bunten Tütchen geholt hat ist zu neu, als das er unter irgendeine staatliche Reglementierung fallen könnte: "Es ist die Substanz MMB-Chmica. Das ist etwas ganz neues, ich konnte keinerlei Informationen dazu finden. Wir kennen aber vergleichbare Substanzen, die so ähnlich aufgebaut sind und zum Teil 40mal stärker wirken als Cannabis." Damit ist es für den Konsumenten unmöglich, die richtige Dosierung einzuschätzen. In Viersen hätten sich Patienten schon bis zu einer Woche auf einem Horrortrip befunden, sagt Schaaf. Eine medikamentöse Behandlung ist kaum möglich - man weiß zu wenig über die Substanzen.
Analysieren und informieren - statt wegsehen und verbieten
In Polen trat im Juli 2015 ein Gesetz in Kraft, das 114 Substanzen für illegal erklärte, die als Drogen missbraucht werden können. Die Händler mussten schnell ihre Bestände loswerden und verkauften große Mengen der Räuschermischung "Mocarz" (Deutsch: Kraftprotz) zum Discountpreis. Mehr als 300 Menschen wurden daraufhin mit Vergiftungen ins Krankenhaus eingeliefert. Mit der derzeitigen Drogenpolitik sei dem Problem nicht beizukommen, meint Bernd Werse von der Universität Frankfurt: "Die Substanzen sind kaum erforscht - sowohl was akute, als auch was Langzeitgefahren betrifft. Für den Konsumenten haben sie ein mindestens so hohes Gefahrenpotential wie die derzeit illegalen Drogen, für die man ja zum Teil sehr hart strafrechtlich verfolgt wird. Das ist eine paradoxe Situation."
In der Schweiz wird seit 2006 in mehreren Städten "drugchecking" angeboten. Das Schweizer Drogeninformationszentrum (DIZ) besucht mit mobilen Labors sogar Partys und Festivals. Bis zu 2000 Personen lassen hier im Jahr ihre Drogen testen. Ist ein besonders gefährlicher oder hoch dosierter Stoff im Umlauf, gibt das DIZ über das Internet eine Warnung heraus. Ein solches System auch in Deutschland zu etablieren, wäre ein Schritt in die richtige Richtung, so Rüdiger Schmolke vom Suchtpräventionszentrum "Chill Out“ in Potsdam: "In Deutschland ist es selbstverständlich, seine Erfahrungen mit Alkohol oder Tabak zu machen. Aber bei anderen Substanzen gibt es nach wie vor die Wunschvorstellung: am Liebsten nimmt das einfach niemand. Das behindert die Präventionsarbeit. Es gibt inzwischen in vielen Ländern Europas drugchecking-Projekte. Das das in Deutschland nicht möglich ist, ist jammerschade. Denn so können wir einen Großteil der Konsumenten gar nicht erreichen." Wenn es nicht mehr Aufklärung gibt, können sich die User auch in Zukunft nur auf die Berichte derjenigen verlassen, die vor ihnen das Versuchskaninchen gespielt haben. Im Jahr 2014 haben das in Deutschland 25 Menschen mit dem Leben bezahlt.