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Portugals Weg aus dem Drogensumpf

Jochen Faget17. April 2016

Vor 15 Jahren ging Portugal einen neuen Weg: Drogenkonsum wurde komplett entkriminalisiert. Die Ergebnisse: Weniger Todesfälle, weniger Krankheiten, weniger Drogenkriminalität - und weniger Konsumenten.

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Symbolbild Drogen Spritze Junkie
Bild: picture alliance/JOKER

Vor 15 Jahren galt er vielen konservativen Politikern und Polizisten als Staatsfeind Nummer eins: João Goulão, der Leiter der portugiesischen Suchtkrankheitsbehörde SICAD. Damals hatte der Arzt Portugals Regierung überzeugt, einen radikalen Schritt zu gehen: 2001 wurde der Konsum aller Drogen – weicher wie harter - im westlichsten Land Europas per Parlamentsbeschluss entkriminalisiert. Seit dem werden Rauschgiftkonsumenten hier nicht mehr wie Verbrecher behandelt, sondern wie Kranke. Und João Goulão ist inzwischen einer der anerkanntesten Drogenfachmänner der Welt.

"Es ging damals hoch her“, erinnert sich Goulão. "Die Rechtsparteien behaupteten, Portugal würde zu einem Drogen-Reiseland für Süchtige aus aller Welt werden, unseren Babys würde Rauschgift schon mit der Flasche gefüttert, die Vereinten Nationen würden uns wegen des Bruchs internationaler Verpflichtungen Probleme verursachen.“ Natürlich sei nichts davon geschehen, schmunzelt der Drogenspezialist. Im Gegenteil, Portugal habe heute eine beeindruckende Bilanz vorzuweisen: Weniger Drogentote, weniger AIDS-Erkrankungen, weniger drogenbedingte Verbrechen. Selbst die Zahl der Konsumenten sei niedriger als in anderen Ländern Europas.

Joao Golao leitet die portugiesische Drogen- und Suchtbehörde SICAD (Foto: DW/J.Faget)
Erst angefeindet, heute gefeiert: Drogenfachmann GoulãoBild: DW/J.Faget

Erfolgsstory Entkriminalisierung

Portugals neue Drogenpolitik war eine Erfolgsstory. Wer mit Rauschgift zum Eigengebrauch erwischt wird – egal ob Haschisch, Crack oder Crystal Meth – kommt nicht vor Gericht, sondern vor eine Kommission aus Ärzten, Sozialarbeitern und Psychologen. Vasco Gomes, Leiter der Beratungsstelle im Lissabonner Stadtteil Sete Rios erklärt: “80 Prozent der Personen, die zu uns kommen, sind Gelegenheitskonsumenten, keine Drogenkranken. Die klären wir über die Gefahren auf, informieren sie. Wir helfen ihnen, der Versuchung in Zukunft zu widerstehen.“ Junge Kiffer mit Rasta-Locken, smarte Börsenbroker mit Koksproblemen – sie alle werden in Einzelgesprächen untersucht und dann entweder mit einer Verwarnung nach Hause geschickt. Wo es nötig ist, machen Vasco Gomes und seine Kollegen Therapieangebote. Die kann der Betroffene nutzen oder nicht; alles geschieht ohne Zwang. In besonders schweren Fällen können die Kommissionen, die es überall im Land gibt, auch Sanktionen aussprechen – Ortsverbote, Gemeindearbeit und sogar Geldbußen. Meist genüge aber ein klärendes, verständnisvolles Gespräch, berichtet der Teamleiter.

Vasco Gomes Drogenberatungsstelle in Lissabon Portugal (Foto: DW/J.Faget)
Helfen, nicht strafen: Drogenberater GomesBild: DW/J.Faget

Prävention und Heilung stehen beim portugiesischen Modell im Vordergrund, betont der Suchtbehördenleiter Goulão, die Straffreiheit sei nur ein logischer Nebeneffekt. "Unser oberstes Ziel ist, den Bürgern die Angebote zu machen, die sie brauchen. Suchtkranke werden beraten und behandelt. Wenn wir weitere Risikofaktoren wie Familienprobleme oder psychologische Auffälligkeiten entdecken, können wir eine mögliche Drogenkarriere verhindern. Das ist der große Vorteil unseres Systems.“

Behandlung für Abhängige, Kampf gegen Schmugglerkartelle

Zu diesem System gehören natürlich auch Drogenersatzprogramme mit Methadon, Spritzentausch und Hygieneaufklärung für Abhängige. Entweder bei staatlichen Stellen oder einer der zahlreichen Nichtregierungsorganisationen. Jedes Wochenende etwa steht ein schon in die Jahre gekommener umgebauter Kleintransporter am Rand einer vierspurigen Ausfallstraße im Stadtteil Alcântara. Freiwillige und professionelle Helfer kümmern sich um die, denen sonst niemand hilft. Im Transporter gibt es Methadon gegen Rezept, draußen Zuspruch und Rat. "Wir stehen hier gewissermaßen an erster Front. Viele Menschen, die zu uns kommen, wenden sich nicht an andere Stellen. Sie hadern mit ihrem Schicksal. Viele von ihnen haben kein Geld, keine Arbeit, keine Familie, nichts“, sagt die Sozialarbeiterin Elsa Belo.

Methadon im alten Kleintransporter (Foto: DW/J.Faget)
Ersatzdrogen für Schwerabhängige - der Gesundheitsschutz steht im Vordergrund.Bild: DW/J.Faget

Finanziell ermöglicht wird diese Arbeit durch Geld, das der Staat bei der Bekämpfung der Drogenkleinkriminalität spart. Denn auch die Polizeiarbeit hat sich aufgrund der neuen portugiesischen Drogenpolitik verändert. Die Beamten machen nicht mehr Jagd auf kleine Haschischraucher, sondern können sich auf die großen Schmugglerbanden konzentrieren. Mit beachtlichen Erfolgen: Die beschlagnahmten Rauschgiftmengen werden immer größer. Immer öfter stellt Portugals Polizei Drogen tonnenweise sicher. Die kommt vor allem aus Afrika und Südamerika. Bestimmt sind sie meist für andere Länder. Seine Behörde jage jetzt die großen Haie, nicht mehr die kleinen Fische, freut sich ein Lissabonner Kriminalbeamter.

Modell Portugal

Die inzwischen nicht mehr so neue Drogenpolitik hat einen weiteren Vorteil: Während andere Länder heftig über neue Wege aus dem Drogendilemma diskutieren, den Rauschgiftanbau legalisieren wollen und den Haschischverkauf staatlich organisieren, um den Drogenkartellen das Wasser abzugraben, gibt es in Portugal erst einmal keinen Handlungsbedarf. Wegen der Entkriminalisierung des Drogenkonsums könne Portugal andere Lösungsversuche abwartend beobachten, betont Drogen- und Suchtspezialist João Goulão. Und den Ländern, die noch immer Drogenkranke in Gefängnisse sperrten, statt sie zu behandeln, mit seinen positiven Erfahrungen helfen.