Welche Chance die Erneuerbaren in Afrika haben
12. November 2022Der gesamte Energiebedarf Afrikas - ja sogar ein Vielfaches davon - könnte durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Der Kontinent ist das ganze Jahr über von Sonnenlicht bestrahlt und könnte 60 Prozent der Solarenergie weltweit erzeugen. Auch die Windbedingungen reichen aus, um das 250-fache des Stroms zu erzeugen, den der Kontinent benötigt. Möglichkeiten, dieses Potenzial zu nutzen, gibt es von Algerien bis Südafrika.
Länder wie die Demokratische Republik Kongo und Äthiopien beziehen schon heute mehr als 80 Prozent ihres Strombedarfs aus Wasserkraft und verfügen über die Kapazitäten, dies noch zu steigern. Kenia wiederum ist weltweit Spitzenreiter in der Ausbeutung geothermischer Energie.
Die Nutzung sauberer Energie ist jedoch sehr ungleich auf dem Kontinent verteilt. Bislang kommen bei der Energieerzeugung in Afrika fast ausschließlich fossile Brennstoffe zum Einsatz. Die Hälfte der Bevölkerung in den Ländern südlich der Sahara hat keinen Zugang zu Elektrizität, es warten also Hunderte Millionen potenzieller Kunden darauf, an das Versorgungsnetz angeschlossen zu werden.
Andere Kontinente bauten ihre Stromversorgung mit Kohle, Öl und Gas aus und versuchen jetzt - mit unterschiedlichem Engagement - auf erneuerbare Energien umzusteigen. Aber könnte Afrika sich den Umweg über fossile Energien nicht ganz einfach sparen und neue Konsumenten direkt mit grüner Energie versorgen?
Sauberer, billiger, flexibler
"Afrika ist genau der richtige Kontinent für die Einführung dieser [grünen] Technologie, einfach weil die Ressourcen im Überfluss vorhanden sind", meint Tony Tiyou. Er ist Geschäftsführer des Ingenieurbüros Renewables in Afrika, das in Kenia, Mosambik, Ghana, Nigeria und Benin tätig ist. "Ich nenne es das gelobte Land."
Der direkte Einstieg in saubere Energie hätte den entscheidenden Vorteil, dass die Klimakrise nicht weiter angeheizt würde. Denn die Menschen in Afrika haben die Auswirkungen des fossilen Brennstoffverbrauchs schon am eigenen Leib spüren müssen.
Die bei der Verbrennung freigesetzten Treibhausgase erwärmen die Atmosphäre und führen dazu, dass extreme Wetterereignisse wahrscheinlicher werden und heftiger ausfallen. So gefährden verheerende Dürren in Ostafrika die Ernährungssicherheit und zwingen Tausende Menschen, ihre Heimat zu verlassen. Überschwemmungen und Erdrutsche rissen im April Hunderte Südafrikaner in den Tod, während zu Beginn des Jahres tropische Stürme Madagaskar, Mosambik und Malawi verwüsteten.
Bislang haben die Afrikaner kaum zum Klimawandel beigetragen. 2021 waren sie für lediglich vier Prozent der Emissionen weltweit verantwortlich. Doch der CO2-Fußabdruck des Kontinents wird rapide größer. Umweltschützer betonen, dass eine Diversifizierung des afrikanischen Energiemixes unerlässlich sei, um zu verhindern, dass der Kontinent zum Teil des Problems wird. "Es geht nicht nur darum, wie viel Emissionen man erzeugt. Es geht auch darum, was für Konsequenzen das für dich hat", verdeutlicht Tiyou. "Willst du dieselben Fehler machen, die andere bereits gemacht haben?"
Die gute Nachricht ist, dass die Kosten der erneuerbarem Energietechnologien in den vergangenen Jahren stark gesunken und nun vergleichbar mit denen für fossile Brennstoffe sind. Zahlen der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien zufolge wurden im Jahr 2020 Solarprojekte in Sambia, Senegal und Äthiopien zu einem Preis von nur 25 Dollar pro Megawattstunde versteigert. Das macht sie sogar rentabler als fossile Brennstoffe.
In ländlichen Regionen in Afrika ist der Anschluss an das Stromnetz häufig sehr teuer oder überhaupt nicht vorhanden. Hier bieten erneuerbare Energien zusätzliche Flexibilität. Die Lösung: Solarpaneele auf dem Dach oder Mini-Netze, die unabhängig arbeiten und genug Strom für Licht und ein Handy-Ladegerät liefern.
Es fehlt am politischen Willen und an Geld
Doch dem Ausbau grüner Technologien in Afrika stehen viele Hindernisse im Weg, allen voran die Finanzierung. In den vergangenen beiden Jahrzehnten gingen lediglich zwei Prozent der weltweiten Investitionen in grüne Energie auf dem Kontinent.
"Unternehmen, die in erneuerbare Energien investieren wollen, sehen sich den Markt in Uganda an und sehen arme Menschen. Also ist das Interesse gering", erklärt Dickens Kamugisha vom Africa Institute for Energy Governance, einer gemeinnützigen Organisation in Uganda, die sich gegen umweltschädigende Projekte einsetzt. "Das Öl wird jedoch von Riesenunternehmen gefördert, die Mittel aus der ganzen Welt anziehen."
Bei der Diversifizierung des Energiemixes stellt sich auch die Frage nach den Kosten für die Einfuhr von Anlagen aus dem Ausland. Obgleich viele Länder sich innerhalb kurzer Zeit großes Wissen über Solarenergie angeeignet haben, macht diese Technologie immer noch weniger als ein Prozent der gesamten Energieerzeugung aus. Sie muss weiter ausgebaut werden, damit das Know-how weiter wächst.
Eines der größten Hindernisse ist Experten zufolge jedoch der mangelnde politische Wille. Wo ausländische Beobachter das Risiko einer immer größeren Umweltverschmutzung sehen, sehen viele afrikanische Politiker die Chance, sich so zu entwickeln wie alle anderen Kontinente auch. Sie betonen, dass die Emissionen ihrer Länder immer weit hinter denen der USA, Chinas und der europäischen Länder zurückbleiben werden. "Afrika ist aufgewacht und wir werden unsere Bodenschätze nutzen", sagte Ugandas Energieministerin im vergangenen Monat der Nachrichtenagentur Reuters.
Gefangene einer CO2-intensiven Zukunft?
In einer Studie von 2021 stellten Forscher der Universität Oxford fest, dass sich der Kontinent in diesem Jahrzehnt wahrscheinlich nicht von fossilen Brennstoffen freimachen wird. Das Forscherteam warf einen Blick auf derzeit geplante Projekte und kam zu dem Schluss, dass voraussichtlich zwei Drittel der Energie im Jahr 2030 aus schmutzigen Energiequellen stammen werden. Etwa 18 Prozent würden durch Wasserkraft erzeugt und weniger als 10 Prozent über erneuerbare Quellen.
"Die Entwicklungsgemeinschaft und afrikanische Entscheidungsträger müssen schnell handeln, um zu verhindern, dass der Kontinent in einer CO2-intensiven Zukunft gefangen bleibt", forderte Philipp Trotter, einer der Autoren der Studie, in einer Presseerklärung. Die Studie unterstreicht, dass bereits laufende Planungen für fossile Kraftwerke zurückgenommen werden müssen. Für Aktivisten wie Kamugisha ist dies die einzige Möglichkeit, ländliche Gemeinschaften zu schützen, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind und doch häufig keinen Zugang zu den unzuverlässigen, mit fossilen Brennstoffen betriebenen Netzen haben.
"Wenn wir uns Gelder leihen, um in Öl zu investieren, heißt das, dass das Land kein Geld haben wird, um in erneuerbare Energien zu investieren", sagt er. "Die größten Verlierer sind dabei die Armen, die in Dörfern leben."
Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.