Umstrittene Aktion gegen Rechtsextremismus
2. Dezember 2019Eine Stahlsäule mit Asche und Knochenfragmenten von Holocaust-Opfern erregte am Montag in der Nähe des Deutschen Bundestages Aufmerksamkeit. Der Ort der Aktion wurde sorgfältig ausgewählt: Die Stahlsäule steht auf dem Gelände der ehemaligen Kroll-Oper, in der die Reichstagsabgeordneten im März 1933 für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatten - eine wichtige Grundlage für die Diktatur der Nationalsozialisten. Über der Kunstinstallation ist der Schriftzug "Gedenken heißt Kämpfen" zu lesen. Und in Großbuchstaben: "Keinen Schritt weiter! Hier begann die letzte deutsche Diktatur." Grablichter brennen, es gibt Blumensträuße, darüber hängen Zettel mit Texten wie "Vergesst sie nicht" oder "Gegen politischen Alzheimer in Deutschland".
Das Mahnmal ist eine neue Kampagne des Künstlerkollektivs Zentrum für Politische Schönheit (ZPS). Aktionskünstler und ZPS-Gründer Philipp Ruch sagte, es gehe um die letzte deutsche Diktatur - und darum, ob sie wieder drohe.
Zwei Jahre hätte die Gruppe damit verbracht, Orte und Flüsse in der Nähe von Gebieten zu untersuchen, in denen die "Nazis den Massenmord perfektioniert und industrialisiert haben". Über 240 Bodenproben von 23 Orten in ganz Deutschland sowie in zuvor von den Nazis besetzten Gebieten in Polen und der Ukraine hätte das Kollektiv gesammelt. Laborergebnisse sollen Spuren von menschlichen Überresten in über 70 Prozent der Proben gefunden haben, schreibt die Gruppe in einer Erklärung.
Die Proben wurden aus Gebieten in der Nähe von Auschwitz, Sobibor, Treblinka und anderen NS-Vernichtungslagern entnommen, wo die Asche und Überreste der Opfer auf nahegelegene Felder und in Flüsse entsorgt wurden.
In Auschwitz-Birkenau, dem größten NS-Vernichtungslager, gab es über 1,1 Millionen Opfer - darunter rund eine Million Juden.
Jüdische Gemeinde nennt das Denkmal "problematisch"
Das Künstlerkollektiv weist die Kritik an der Entweihung menschlicher Überreste von sich: "Wir fanden Knochenkohle, sedimentierte Asche und menschliche Fragmente in den Flussläufen der Weichsel, Zähne auf Feldern, Knochenreste in allen erdenklichen Körnungsgrößen. Es gibt dort kein Grab, keine letzte Ruhestätte."
Der Zentralrat der Juden in Deutschland betonte, er begrüße zwar politische Proteste, die den Aufstieg der extremen Rechten bekämpften. Das neue Denkmal in Berlin gebe jedoch Anlass zu Bedenken.
"Aus jüdischer Sicht ist die jüngste Kampagne des Zentrums für Politische Schönheit problematisch, weil sie gegen das jüdische Religionsgesetz verstößt, gegen die Totenruhe", sagte Ratsvorsitzender Josef Schuster der DW in einer Stellungnahme.
Wenn die menschlichen Überreste in den Bodenproben tatsächlich von jüdischen Opfern des Holocaust stammten, dann müssten jüdische Religionsführer konsultiert werden, wie mit diesen Überresten am besten umzugehen ist. "Es wäre eine willkommene Geste, wenn bei der Demontage der 'Widerstandssäule' ein Rabbiner hinzugezogen würde, um zumindest einen respektvollen und korrekten Umgang mit der Asche nach Halacha zu gewährleisten", fügte Schuster hinzu.
Eine Botschaft an die deutsche Politik
Die 2,5 Meter hohe und vier Tonnen schwere "Widerstandssäule" solle daran erinnern, dass an diesem Ort "der deutsche Konservatismus die Demokratie in die Hände von Hitler und seinen Nazischergen" legte, erklärte das ZPS. Mit der Aktion unter dem Titel "Suchet nach uns!" will die Gruppe vor einer Zusammenarbeit der Union mit der AfD warnen. "Die Toten erinnern den deutschen Konservatismus an seine historische Schuld, sich mit den Faschisten eingelassen zu haben: Es nicht mit ihnen zu versuchen, nicht mit ihnen zu paktieren - das ist das Gebot der Stunde", erklärte das ZPS.
Die CDU und ihre Schwesterpartei CSU haben eine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten auf nationaler und Landesebene ausgeschlossen. In lokalen Zusammenhängen haben sich jedoch einige CDU-Politiker mit der extremen Rechten zusammengeschlossen. Eine Gruppe von CDU-Politikern in Thüringen hat kürzlich zu Gesprächen mit "allen demokratisch gewählten Parteien" aufgerufen.
Nach Angaben der Polizei ist die Gedenkstätte bis Samstag angemeldet. Das Künstlerkollektiv hat allerdings angekündigt, Spenden sammeln zu wollen, um am kommenden Samstag ein Betonfundament für die Säule gießen zu können - falls genügend Geld dafür zusammenkommt.
Das Künstlerkollektiv ist bekannt für seine umstrittenen Aktionen - insbesondere für die Errichtung einer Nachbildung des Berliner Holocaust-Mahnmals vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke im Jahr 2017. Anfang des Jahres nannte Höcke die Gedenkstätte in Berlin ein "Denkmal der Schande" und forderte eine Umkehrung der deutschen Erinnerungskultur an den Holocaust.