Kritik an Obdachlosen-Politik in Ungarn
3. Oktober 2013Ungarns rechtskonservative Regierungsmehrheit unter Viktor Orbán hat sich in den letzten Jahren einiges einfallen lassen, um gegen Obdachlose vorzugehen. Mehrmals wurde sie dabei vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen, das beispielsweise das Verbot, in Mülltonnen zu wühlen, und die Regelung der Aufenthaltsverbote kippte.
Nun versucht es Orbáns Regierungsmehrheit noch einmal: Anfang dieser Woche verabschiedete das Parlament in Budapest die Neuauflage eines Gesetzes, das es Obdachlosen verbietet, sich auf bestimmten öffentlichen Flächen in "lebensführender Weise" aufzuhalten. Die Kriterien für den Begriff "lebensführend" sind dabei sehr vage. Das Aufenthaltsverbot betrifft Orte, die zum Weltkulturerbe Ungarns gehören, sowie alle öffentlichen Flächen, die von den jeweils zuständigen Gemeinde- oder Stadträten zu Verbotszonen für Obdachlose erklärt werden. Obdachlose, die gegen das Aufenthaltsverbot verstoßen, können mit Bußgeldern, gemeinnütziger Arbeit und im Wiederholungsfall mit Gefängnis bestraft werden.
"Kriminalisierung von Obdachlosen inakzeptabel"
Mehrere ungarische Nichtregierungsorganisationen haben direkt nach der Abstimmung über das umstrittene Gesetz vehement dagegen protestiert. Sie fordern Staatspräsident János Áder auf, es nicht zu unterschreiben. "Die Kriminalisierung der Obdachlosen verletzt Grundrechte und ist inakzeptabel", heißt es in einer Erklärung der "Gesellschaft für Freiheitsrechte" (TASZ) des Ungarischen Helsinki-Komitees und weiterer sieben ziviler Vereinigungen.
"Mit dem neuen Gesetz wird Obdachlosigkeit an sich unter Strafe gestellt", kritisiert auch Tessza Udvarhelyi von der Obdachlosen-Initiative "Die Stadt gehört allen!" (A város mindenkié!). "Dabei wissen viele nicht, wo sie unterkommen sollen. Hunderte Menschen folgten dem Aufruf der Facebook-Gruppe der Initiative und protestierten vor dem Parlament in Budapest. "Die Regierung hat versprochen, dass alle Obdachlose Unterkünfte in Heimen erhalten, doch so viele Heimplätze gibt es nicht", sagt Tessza Udvarhelyi. Etwa 10.000 bis 15.000 Obdachlose leben nach Schätzungen von Hilfsorganisationen in der Zwei-Millionen-Metropole Budapest. Für sie stehen nur etwa 6000 Unterkünfte in Heimen zur Verfügung.
Regierung weist Vorwürfe zurück
Nach Schätzungen von Hilfsorganisationen kommen rund 80 Prozent der Obdachlosen in Budapest aus anderen Landesteilen Ungarns, vor allem aus Ostungarn. Dort hatten bis Anfang der 1990er Jahre Zehntausende Menschen in der Schwerindustrie, zumeist in Stahlkombinaten und ihren Zulieferbetrieben, gearbeitet. Der Zusammenbruch dieser Industrie führte zu einer sehr hohen Arbeitslosigkeit in der Region, die heute als Armenhaus Ungarns gilt. Viele Obdachlose kommen nach Budapest, denn dort gibt es mehr Gelegenheitsjobs - und auch mehr Einrichtungen für Obdachlose.
Ungarische Regierungsvertreter weisen die Kritik an ihrer Obdachlosenpolitik und an dem neuen Gesetz zurück. "Es ist haarsträubender Unsinn, von einer Kriminalisierung der Obdachlosigkeit zu sprechen", sagt der Staatssekretär im Außenministerium Gergely Pröhle. "Wir möchten nur nicht, dass Obdachlose an bestimmten öffentlichen Orten, die auch touristisch gut besucht sind, leben. Das ist doch völlig legitim."
Tessza Udvarhelyi sieht das anders. Sie sagt, die Obdachlosenpolitik sei Teil der allgemeinen Armutsfeindlichkeit der Orbán-Regierung. "Sie brauchen Sündenböcke, um von der schlechten sozialen Lage im Land abzulenken, und dafür benutzen sie die Ärmsten der Armen - Obdachlose, Roma und Flüchtlinge."
"Unmenschlich und unsolidarisch"
Zwar seien auch frühere Regierungen wie bespielsweise die der Sozialisten gegen Obdachlose vorgegangen, allerdings nicht so systematisch. "Bevor das Verfassungsgericht letztes Jahr das Gesetz gegen Obdachlose für verfassungswidrig erklärte, war es bereits acht Monate gültig", so Udvarhelyi. "In diesen acht Monaten wurden gegen 2000 Obdachlose in Budapest insgesamt umgerechnet 130.000 Euro an Geldstrafen verhängt."
Der prominente Budapester Pfarrer Gábor Iványi kümmert sich seit zwei Jahrzehnten um Obdachlose in Ungarn. In Budapest betreibt seine Kirche eine Essensausgabe für Arme und ein Obdachlosenheim, das nachts ständig überfüllt ist. "Die Regierung bezeichnet sich explizit als christlich, aber das neue Gesetz gegen die Obdachlosen ist unmenschlich und unsolidarisch", sagt Iványi. "So wie auch überhaupt das Vorgehen der Behörden. Zum Beispiel schicken sie andauernd Polizeistreifen zum Heim und schikanieren die Leute - selbst dann, wenn sie nur um Essen anstehen. All das ist zutiefst unchristlich."
Vor einem Jahr hatte das ungarische Verfassungsgericht bereits eine dem neuen Gesetz ähnliche Regelung für verfassungswidrig erklärt. Doch im März fügte die Orbán-Regierung im Zuge einer Grundgesetzänderung einen neuen Passus in die Verfassung ein, wonach die Regelung bestimmte Themenfelder durch Gesetze geregelt werden. In der Verfassung steht lediglich der Verweis auf die Gesetze. Zu den betroffenen Themen gehört auch die Obdachlosen-Politik. Das dürfte es dem Verfassungsgericht nun erschweren, ein Gesetz über Obdachlose für nicht verfassungskonform zu erklären.