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Kongo-Experte Tull: "Kabila hat wenig zu verlieren"

20. September 2016

Die Hinhaltetaktik des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila hat im Kongo heftige Proteste ausgelöst. Kongo-Experte Denis Tull im DW-Interview über die Möglichkeiten, den Konflikt einzudämmen.

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Kongo Präsident Joseph Kabila
Kongos Präsident Joseph Kabila (mitte)Bild: picture-alliance/AP Photo/J. Bompengo

DW: Das Mandat von Joseph Kabila läft am 20. Dezember aus. Bislang schweigt sich Kongos Präsident darüber aus, ob er weiter an der Macht bleiben will. Gemäß der kongolesischen Verfassung darf er nicht noch einmal kandidieren. Der Wahltermin wurde allerdings schon mehrfach aufgeschoben und das Verfassungsgericht hat Kabila zugestanden, bis zu den nächsten Wahlen im Amt bleiben zu dürfen. Herr Tull, glauben Sie, dass Kabila es drauf anlegen wird, an der Macht zu bleiben?

Denis Tull: Wir müssen davon ausgehen, dass Kabila daran interessiert ist, an der Macht zu bleiben. Denn er hat alles dafür getan, um die Durchführung der Wahlen zu verhindern. Und es wäre ja verantwortungslos und zynisch, wenn er nicht versuchen wollte, Präsident zu bleiben und die aktuellen Ereignisse mitansehen würde. All das passiert ja, weil die Opposition vermutet, dass Kabila seinen Platz nicht räumen möchte.

Am Montag wurden weit mehr Menschen bei Demonstrationen getötet, als die Regierung zunächstet behauptet hat. Die Opposition hat weitere Proteste angekündigt. Eine Entspannung der Situation scheint nicht in Sicht. Die Wahlkommission insistiert weiterhin, dass sie es logistisch nicht schaffen wird, rechtzeitig Wahlen zu organisieren.

Eine realistische Forderung kann nur sein, dass ein machbarer Zeitplan für die Wahlen vorgelegt wird. Gleichzeitig muss aber die Frage geklärt werden, welche Absichten Kabila verfolgt. Wenn Kabila heute sagen würde, "ich trete ab, sobald die Wahlen stattfinden, und ich sorge beispielsweise dafür, dass die Wahlen in zwölf Monaten stattfinden können", dann würde sich die Lage fürs Erste entspannen. Aber so reden alle im virtuellen Raum und jeder hat Vermutungen und Mutmaßungen, wie die Gegenseite handeln wird.

Portrait Denis Tull, Copyright: SWP
Beobachtet die Situation im Kongo: Denis TullBild: SWP

Die USA und Frankreich denken bereits über Sanktionen nach. Was könnten Sanktionen bewirken?

Ich glaube nicht, dass Sanktionen zwangsläufig dazu führen, dass Kabila seinen Abgang vorbereiten wird. Kabila hat ja keine Verhandlungsbasis: Er hat nur die Macht, die er gerade ausübt. Er hat wenig zu verlieren. Und insofern muss ihm irgendein Anreiz geboten werden, damit er wirklich die Verfassung respektiert und irgendwann den Präsidentenpalast verlässt. Es gibt letztendlich von außen relativ wenig Handhabe, ihn dort rauszuholen.

Wie groß ist denn der Einfluss der Internationalen Gemeinschaft?

Ich denke, der Einfluss ist relativ begrenzt. Die Vereinten Nationen, die Europäischen Union und den USA sollten mehr Druck auf die Afrikanische Union und Südafrika ausüben. Außerdem sollten sie versuchen, nicht-traditionelle Partner wie China ins Boot zu holen. Denn es sehen ja alle, dass dieses Land auf dem Weg in eine erneute, schwere Krise ist. Aber auch die kongolesische Opposition muss an den Tisch geholt werden. Doch bisher betrachtet die Opposition diesen Dialog nur als Entschuldigung und als Taktik dafür, dass Kabila länger im Amt bleibt.

Proteste der Opposition in Kinshasa, Demokratische Republik Kongo, Copyright: Reuters/K. Katombe
Tausende haben in den Städten Kinshasa, Goma und Lubumbashi demonstriert. Bei den Protesten sind laut Opposition 50 Demonstranten erschossen worden. Die Regierung hatte zuvor von 17 Toten gesprochen, darunter drei PolizistenBild: Reuters/K. Katombe

Sie sprechen vom nationalen Dialog, den viele Oppositionsparteien von vornherein boykottiert haben. Eine wichtige Oppositionspartei, die "Union für die kongolesische Nation" (UNC), hat sich erst kürzlich zurückgezogen. Wer nimmt eigentlich noch daran teil?

Die Leute, die noch teilnehmen, haben keine politische Relevanz. In dem Moment, in dem die Schwergewichte nicht mehr an diesem Dialog teilnehmen, ist das letztendlich eine Scharade. Aber im Grunde geht es auch nicht um einzelne Personen oder Parteien, sondern darum, dass eine Rückkehr zur Verfassung stattfindet. Wir sollten uns auch nicht der Illusion hingeben, dass nach Kabila alles besser wird. Was wir hier sehen ist ein Konflikt zwischen politischen Eliten. Hier geht es nicht um Ideologie. Es geht schlicht und einfach um den Zugang zu politischer Macht.

In Burundi hat es ähnlich begonnen: Dort setzte sich Präsident Pierre Nkurunziza über die Verfassung hinweg und trat zum dritten Mal an. Danach stürzte das Land ins Chaos. Glauben Sie, dass sich die Situation im Kongo so weit zuspitzen könnte, dass ein Bürgerkrieg droht?

Ich glaube, wenn sich die Eskalation weiter über Tage und Wochen zuspitzt, dann kann es sicherlich zu großen Verwerfungen kommen, die möglicherweise auch zu einem Regierungswechsel führen. Dann halte ich eigentlich alles für möglich. Ich glaube aber nicht, dass es zu einer Art Bürgerkrieg kommt. Ich denke nicht, dass die Situation im Kongo der in Burundi ähnelt. Aber wir wissen natürlich nicht, was innerhalb des Kabila-Lagers passiert: Armee, Präsidialgarde - was halten die von den Vorgängen? Das ist in solchen Situationen eigentlich immer die entscheidende Frage.

Denis Tull forscht zur Demokratischen Republik Kongo mit Schwerpunkt auf innerstaatliche Konflikte und politischen Ordnungen. Er leitet stellvertretend die Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.

Das Interview führte Hilke Fischer.