"Die Stimmung im Kongo ist explosiv"
16. September 2016Die Amtszeit von Kongos Präsident Joseph Kabila, der sich nicht noch einmal zur Wahl stellen darf, läuft am 19. Dezember 2016 ab. Nach dem Gesetz müsste die Präsidentschaftswahl spätestens am 27. November stattfinden. Doch die Wahlkommission sieht sich außer Stande, Wahlen abzuhalten. Zu groß seien die organisatorischen Probleme. Am Donnerstag präsentierte die Regierung einen neuen Vorschlag: Eine Übergangsregierung der "nationalen Einheit" unter Beteiligung der Opposition soll gebildet werden, um die Zeit bis zu den Wahlen zu überbrücken. Kabila soll so lange weiter im Amt bleiben.
DW: Frau Ames, Sie sind erst kürzlich von einer Kongo-Reise zurückgekehrt und stehen in ständigem Kontakt zu Vertretern der kongolesischen Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Wie bewerten Sie den jüngsten Vorschlag der Regierungspartei?
Gesine Ames: Ich habe Zweifel, dass dieser Vorschlag angenommen wird und zum Erfolg führt. Es hat in der Vergangenheit immer wieder ähnliche Vorschläge gegeben, die aber nicht präzise genug waren. So wurde bisher kein konkretes Datum genannt, wie lange eine Interimsregierung unter Präsident Kabila im Amt bliebe und bis spätestens wann Wahlen stattfinden müssten. Außerdem haben sich die meisten Oppositionsgruppen inzwischen vom Dialog mit der Regierung zurückgezogen. Deshalb betrachte ich den Vorschlag der kongolesischen Regierung mit viel Skepsis.
Wenn man sich mit dem politischen Chaos in der Demokratischen Republik Kongo nicht so gut auskennt, dann klingt der Vorschlag der Regierung erst einmal vernünftig. Wenn man sich aber genauer die Details und Konfliktlinien im Kongo anschaut, dann kann man das auch als Taktik der Regierung auslegen, Wahlen möglichst lange nach hinten zu verzögern.
Könnten internationale Vermittler helfen, aus dieser Sackgasse herauszukommen?
Die Begleitung des nationalen Dialogs durch den Sondergesandten der Afrikanischen Union, Edem Kodjo, ist eindeutig zu schwach. Viele finden ihn nicht geeignet für die Mission. Man muss wissen: Es ist ein sehr eingefahrener Konflikt und es bedarf viel mehr internationaler Aufmerksamkeit. Deshalb sollte der Prozess international viel stärker unterstützt werden. Da fehlt es ohne Zweifel, auch seitens der internationalen Gemeinschaft, an einem klaren Fahrplan.
Ich habe es begrüßt, dass sich die katholische Kirche bereiterklärt hat, als Mediator in dem Prozess zu fungieren, was wirklich keine einfache Aufgabe ist. Die katholische Kirche war in der Vergangenheit immer wieder Bedrohungsszenarien seitens der Regierung ausgesetzt. Sie hat aber auch ganz klar ihre Mediationsfunktion an eine Bedingung gebunden: nämlich, dass die Verfassung nicht angetastet wird, und dass sich Präsident Kabila ganz klar dazu bekennt, kein verfassungswidriges drittes Mandat anzunehmen. Das ist aber bislang noch nicht passiert.
Warum werden die Wahlen immer wieder verschoben?
Das ist vielen Beobachtern unverständlich. Es ist ja nichts Neues, dass Wahlen stattfinden müssen. Es wurde ja alles in der Verfassung festgelegt. Aber es wird einfach nicht umgesetzt. Es werden immer fadenscheinige Probleme, die sicher auch Herausforderungen sind, vorgeschoben. Aber diese Probleme werden nicht angegangen. Wenn ein ordentlicher Fahrplan vorgelegt wird, werden sich internationale Geldgeber, auch die Vereinten Nationen, sicherlich nicht dagegen wehren, diese Wahlen logistisch zu unterstützen. Da fehlt aber der politische Wille seitens der Regierung in Kinshasa.
Wie reagiert die Zivilgesellschaft auf dieses Chaos?
Am 19. September sollen große Demonstrationen im ganzen Land stattfinden. Dazu haben die Zivilgesellschaft und oppositionelle Gruppen aufgerufen. Die Stimmung im Kongo ist sehr explosiv. Amnesty International hat einen neuen Bericht vorgelegt, in dem nochmals auf die zunehmende Repression der Zivilgesellschaft und Opposition im Kongo hingewiesen wird. Die Vorwürfe sind alarmierend. Gleichzeitig verschlechtern sich die soziale und wirtschaftliche Lage. Die Preise steigen extrem. Eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist spürbar. Und das ist ein Potential, das man nicht unterschätzen darf. Wenn die Bevölkerung merkt, das sie wirtschaftlich komplett am Ende ist, gepaart mit politischer Ungewissheit, dann hat das ein sehr großes Explosionspotential.
Gesine Ames ist Koordinatorin des Ökumenischen Netzes Zentralafrika (ÖNZ) mit Sitz in Berlin. Das ÖNZ ist ein Zusammenschluss deutscher kirchlicher Organisationen, die mit Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Region der Großen Seen (Demokratische Republik Kongo, Ruanda, Burundi) zusammenarbeiten.
Das Interview führte António Cascais.