Konflikt in Myanmar wirkt auch in Thailand
25. März 2021Im hügeligen Grenzgebiet zwischen Thailand und Myanmar kämpfen die Dschungelsoldaten der Karen seit Jahrzehnten gegen das birmanische Militär. Nach dem Putsch vor knapp acht Wochen und der brutalen Unterdrückung der anhaltenden Straßenproteste ist das Territorium der rebellischen Volksgruppe zum Auffangbecken für flüchtige Gegner des Militärregimes geworden.
Die Anzahl der Flüchtlinge sei mittlerweile auf über 2000 angestiegen, sagt Padoh Saw Taw Nee, Sprecher für auswärtige Angelegenheiten der "Karen National Union", der DW. Die KNU ist das führende politische Organ der Karen-Ethnie und versorgt die Geflüchteten mit Obdach und Lebensmitteln. "Die meisten sind junge Leute, wenige Ärzte, ansonsten sind Journalisten, Anwälte, Abgeordnete und Überläufer aus Polizei und Militär darunter", sagt der Karen-Sprecher.
Stützpunkt für den Widerstand
Abgeschirmt von Karen-Milizionären könne sich hier der Widerstand "reorganisieren", sagt ein Flüchtling, der vor zwei Wochen aus Yangon Richtung Ostgrenze aufbrach. "Es wurde mir zu riskant. Jede Nacht muss man Angst haben von Soldaten entführt zu werden." Durch die Grenznähe sei auch die freie Kommunikation wieder möglich, durch die Nutzung des thailändischen Mobilfunknetzes. In Myanmar kappt die Armee regelmäßig Internetverbindungen, um Demonstranten daran zu hindern, sich online zu organisieren.
Auch nach dem Volksaufstand von 1988 fanden Tausende politisch Verfolgte Zuflucht in den Hügeln des Karen-Gebiets. "Das birmanische Militär startete damals eine Großoffensive, worauf wir einen Großteil unseres Territoriums verloren", sagt Taw Nee. "Jetzt wiederholt sich die Geschichte."
Wenige Tage sei es her, als sich um zehn Uhr nachts birmanische Einheiten einem Flüchtlingslager näherten, in dem sich Angehörige der "Bewegung des zivilen Ungehorsams" (CDM) befanden. Die Rebellenarmee habe den rund 200 Soldaten und acht Militärlastwagen die Zufahrt verweigert. Fünf Stunden später seien erneut 200 Mann erschienen, die Einlass forderten. "Wir haben ihnen klargemacht, dass ein Kampf ausbricht, wenn sie passieren", worauf die Soldaten abgezogen seien, berichtet Padoh Saw Taw Nee. Ob es zu einem Angriff komme, wisse niemand. "Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor", sagt der Partei-Funktionär und kündigt an, internationale Gespräche anzustoßen. "Wir werden Verhandlungen initiieren und uns bald mit den thailändischen Behörden, dem UNO-Flüchtlingswerk und dem IKRK treffen, weil die KNU diese Last nicht über längere Zeit tragen kann."
Warten auf Flüchtlinge im Tempel
Im benachbarten Thailand rüstet man sich unterdessen für eine Flüchtlingswelle aus Myanmar. In der Gebetshalle des Tempels "Tao Tahn" stapeln sich Plastikteller und Essbesteck, im Anbau nebenan hämmern zwei Helfer an einem Aufbewahrungsraum. "Wir sind darauf vorbereitet, bis zu 760 Flüchtlinge aufzunehmen", sagt der leitende Mönch Chatchai, der seinen Tempel im thailändischen Grenzbezirk Sangkhla Buri, rund 300 Kilometer nordwestlich von Bangkok, nicht zum ersten Mal zur Notunterkunft umfunktioniert. "Wir haben hier schon viele Angehörige der Karen aufgenommen, die mittlerweile wieder in ihre Dörfer in Myanmar zurückgekehrt sind", sagt der Geistliche mit Karen-Wurzeln, der durch die Beherbergung von Hunderten Flüchtlingen bestens mit der Dorfbevölkerung vernetzt ist. "Der Verteidigungsgürtel der Milizen kann schnell reißen, so dass die Menschen nach Thailand getrieben werden", befürchtet der 54-Jährige und rechnet derzeit "tagtäglich damit, dass Flüchtlinge eintreffen."
Thailand verschärft Grenzkontrollen
Bis heute wartet der Mönch aber vergeblich auf Schutzbedürftige. Denn die thailändische Regierung versucht, die wegen der Pandemie geschlossene rund 2000 Kilometer lange Westgrenze rigoros abzudichten. Seit dem Putsch im Nachbarland wird intensiver patrouilliert, etliche Übergänge in der Wildnis wurden mit Stacheldraht versperrt, die Strafen für Menschenschmuggel erhöht. "Es ist nicht normal, wie viele derzeit über die Grenze schleichen", klagt Leutnant Itthipon von der Polizeistation Sangkhla Buri in der Grenzprovinz Kanchanaburi.
Auch der Gemeindechef Phak Poom im bei Schleppern beliebten Grenzdorf Ban Kao in derselben Provinz bestätigt, dass "die politische Situation den Zustrom aus Myanmar bereits ansteigen ließ" und fügt an: "Die Grenze ist viel zu lang, um nahtlos kontrolliert zu werden. Wir können nur stichprobenartig verhaften oder wenn wir einen Tipp erhalten."
Fast täglich fangen die Grenzbeamten erschöpfte und abgemagerte illegale Einwanderer ab, die auf entlegenen Bergpfaden und hinter Dschungelgewächsen vergeblich auf die gebuchten Schleuser warten. Alleine im Bezirk Sangkhla Buri wurden bereits mehrere hundert verhaftet, darunter mehrere Dutzend Angehörige der verfolgten Rohyinga-Minderheit. "Wir haben fast alle von ihnen wieder nach Myanmar zurückgeschickt", bestätigt der örtliche Polizei-Leutnant Itthipon der DW.
Thailands Flüchtlingspolitik unter Druck
Thailand begründet das strikte Vorgehen als notwendige Maßnahme zur Eindämmung des Corona-Virus. Als Nichtunterzeichner der Flüchtlingskonvention von 1951 kennt Thailands Asylrecht ausschließlich "illegale Ausländer", die jederzeit von den Einwanderungsbehörden verhaftet und abgeschoben werden können.
"Thailand sollte allen Asylbewerbern aus Myanmar eine faire Chance bieten, ihre Flüchtlingsanträge von der Flüchtlingsorganisation der Vereinten Nationen prüfen zu lassen", fordert Bill Frelick von Human Rights Watch.
Anfang März präsentierten die thailändischen Behörden medienwirksam umgestaltete Fußballfelder, Stadien, Schulen und weitere Räumlichkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Myanmar. Ebenso sollen aus "humanitären Gründen" drei weitere Auffanglager in den Südprovinzen Chumphon und Ranong errichtet werden. Die Notunterkünfte seien temporär ausgelegt, bis sich die Situation in Myanmar "normalisiere", betont der zuständige General Santi Sakuntak und versichert, dass es keine permanenten Lager geben werde.
Die Wortwahl erinnert an die bereits bestehenden Sammellager an der Westgrenze, die nach über drei Jahrzehnten noch immer als "temporäre Unterkünfte" gelten, die jederzeit geschlossen werden könnten. 1984 traf der erste Flüchtling aus Myanmar ein. Mittlerweile sind es alleine in den neun offiziellen Lagern laut UN-Angaben rund 92.000 Menschen, zumeist Angehörige der Karen. In dicht aneinander gereihten Hütten, meist nur aus Bambusholz und Blättern bestehend, führen sie ein Leben ohne Perspektive, stets vom Militär bewacht und eingezäunt mit rostigem Stacheldraht.
Grauzone im Grenzgebiet
Wie viele illegale Einwanderer außerhalb der Camps in den unzähligen Siedlungen an Berghängen und Dschungeltälern auf der thailändischen Seite siedeln, weiß niemand so genau. Einer von ihnen ist Moe, der an einem dicht bewachsenen Hügel einen kleinen Dorfladen betreibt. "Seit 30 Jahren lebe ich bereits in Thailand und kann mich noch immer nicht frei bewegen", sagt der Angehörige der Karen, der nach dem Volksaufstand 1988 als junger Mönch vor Myanmars Militärdiktatur nach Thailand floh. Unter dem Radar der Migrationsbehörden schuftete er ein paar Jahre als billige Arbeitskraft in einer Bangkoker Stofffabrik, bevor es ihn wieder in die thailändisch-myanmarischen Grenzdörfer zog.
"In dieser Region muss ich mir keine Sorgen machen. Hier kennen mich die Leute und etwa die Hälfte aller Bewohner hat selber keine Papiere. Trotzdem wünsche ich mir, dass ich eines Tages meinen Sohn und meine Freunde in Bangkok besuchen könnte, ohne Angst haben zu müssen, verhaftet zu werden", fügt der Vater zweier Kinder an. Das sich an Thailands Flüchtlingspolitik durch den erhöhten Migrationsdruck etwas ändert, ist unwahrscheinlich. Die Militärregierung versprach bereits nach dem Putsch 2014, das Asylrecht zu reformieren, was aber bislang nicht geschah.