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Weiter weg von Europa denn je

Christoph Hasselbach11. August 2014

Unter dem künftigen Staatspräsidenten Erdogan ist der Graben zwischen der Türkei und der Europäischen Union immer tiefer geworden. Es wird Zeit, die Beitrittsverhandlungen zu beenden, meint Christoph Hasselbach.

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türkische und Europaflagge Foto: Reuters/Francois Lenoir
Bild: Reuters/Francois Lenoir

Der triumphale Sieg wird Recep Tayyip Erdogan in seinem Denken bestätigen: Noch mehr Islamisierung statt Laizismus, Demokratie von oben statt Bürgerbeteiligung, ein möglichst starkes Präsidialsystem mit ihm an der Spitze statt einer Austarierung der Macht. Und auch das: keine Kompromisse im Umgang mit Europa. Dieses Europa blickt entsetzt, aber auch fasziniert auf die Entwicklung der Türkei unter dem bisherigen Ministerpräsidenten Erdogan. Denn die EU hat nicht nur miterlebt, wie Erdogan die Gezi-Proteste niederknüppeln ließ, sondern Europa hat auch gebannt auf den wirtschaftlichen Aufstieg des Landes gestarrt.

Der dürfte auch der wichtigste Grund sein, warum so viele Türken Erdogan gewählt haben. Viele junge Leute in den Großstädten werden in der Hoffnung auf mehr Wohlstand bei ihrer Wahlentscheidung Erdogans autoritär-islamisches Programm eher in Kauf genommen denn von ganzem Herzen unterstützt haben.

Christoph Hasselbach (Foto: DW)
Christoph HasselbachBild: DW/M.Müller

Die Türkei lässt sich nichts mehr sagen

Für die EU sind Spekulationen über Wahlmotive natürlich zweitrangig. Für sie zählen das Ergebnis und seine Folgen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei dürften jetzt noch schwieriger werden als ohnehin schon. Ob es um eine Zusammenarbeit in der Frage des geteilten Zypern oder um Menschenrechte geht: Von einer Türkei, die nun ganz im Zeichen der islamisch-konservativen AKP steht, sind Zugeständnisse nicht mehr zu erwarten.

In der EU haben es die offenen Befürworter eines türkischen Beitritts immer schwerer, sie sind stumm geworden. Eines ihrer wichtigsten Argumente lautet: Nur eine wirkliche Beitrittsperspektive schafft den Anreiz zu demokratischen Reformen und Pluralität. Das scheint auf dem Balkan bei den Nachfolgestaaten Jugoslawiens halbwegs zu funktionieren, es hat vielleicht auch bis vor etwa zehn Jahren im Falle der Türkei funktioniert, als sich das Land gegenüber Brüssel noch beweisen wollte. Heute dagegen will sich eine starke, selbstbewusste Türkei von der EU nichts mehr vorschreiben lassen, und für diesen Wandel steht vor allem Erdogan.

Eine neue Grundlage

Die Türkei hat sich von Europa wegbewegt. Und Europa hat genug Probleme mit sich selbst. Es wird Zeit für das Eingeständnis auf beiden Seiten, dass die Beitrittsverhandlungen nur noch eine Farce sind und beendet werden müssen. Es wäre keineswegs eine Katastrophe des Scheiterns, sondern die Grundlage für eine neue Annäherung. Es war immer ein Fehler auf beiden Seiten, die Zusammenarbeit auf die Frage eines Beitritts zu verengen.

Seit die Vollmitgliedschaft offizielles Ziel ist, hat sie die Debatte fast vollständig beherrscht. Angst auf europäischer, Verbitterung auf türkischer Seite waren die Folge. In Zukunft sollte man sich solche kräftezehrenden Auseinandersetzungen sparen und eine weitgehende Partnerschaft anstreben, die ungefähr dem Verhältnis der EU zu Norwegen oder der Schweiz entspräche, aber eben unterhalb einer vollständigen Mitgliedschaft bliebe.

Die gemeinsamen Interessen bleiben

Die gemeinsamen Interessen sind allemal groß. Und die Zusammenarbeit auf vielen Gebieten klappt ja auch, siehe zum Beispiel die militärische Kooperation innerhalb der NATO. Bei den großen aktuellen Krisen im Nahen und Mittleren Osten und in der Ukraine nimmt die Türkei eine Schlüsselstellung ein. Beim Handel sind die Verflechtungen zwischen der Türkei und der EU schon jetzt eng, sie könnten zum beiderseitigen Vorteil noch enger werden.

Doch politisch sind die Gräben tiefer geworden. Die Türkei hat sich eben nicht zu dem demokratischen Musterstaat entwickelt, der als Beispiel für andere islamisch geprägte Länder dienen könnte. Und eine Brücke zwischen Orient und Okzident ist sie auch nicht geworden. Erdogan, so scheint es, will die historische Westausrichtung von Staatsgründer Kemal Atatürk rückgängig machen und strebt eine Art Neu-Osmanisches Reich an. Auch mit einer solchen Türkei kann und muss die Europäische Union eng zusammenarbeiten, sie in ihren Kreis aufnehmen kann sie aber ganz sicher nicht.