Zurückhaltende Reaktionen auf Wahlsieg
11. August 2014
"Deutschland und die Türkei verbindet eine enge und vertrauensvolle Partnerschaft", so Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem Glückwunschtelegramm an Wahlsieger Recep Tayyip Erdogan. Der bisherige Ministerpräsident der Türkei hatte am Sonntag (10.08.2014) die erste Direktwahl eines türkischen Präsidenten mit knapp 52 Prozent der Stimmen bereits im ersten Durchgang gewonnen.
"Es ist mir ein persönliches Anliegen, die traditionell freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern gemeinsam mit Ihnen zum Wohle unserer Bürgerinnen und Bürger fortzuführen und weiter zu vertiefen", heißt es in dem Schreiben aus Berlin. Merkel betonte die Rolle der Türkei bei den aktuellen Krisen im Nahen und Mittleren Osten. Dem Land komme eine große Bedeutung zu, die schwierigen Herausforderungen in der Region zu meistern. Die Kanzlerin spielt damit auch auf den Vormarsch der Dschihadisten-Miliz "Islamischer Staat" (IS) im Norden des Iraks an.
Die Türkei hat sich bislang aus den Kämpfen im Irak und Syrien offiziell herausgehalten. Kritiker werfen Erdogan und dem türkischen Geheimdienst MIT vor, radikale Islamisten in Syrien unterstützt zu haben. Die türkische Regierung weist diese Vorwürfe zurück.
Müntefering: Mehr EU-nähe für den "regionalen Stabilitätsanker"
"Deutschland braucht die Türkei als Stabilitätsanker in der Region", sagt auch die Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe, Michelle Müntefering (SPD). Die Türkei dürfe sich daher nicht noch weiter von Europa entfernen. Sie sei besorgt, dass es in der Türkei eine zunehmende Intoleranz gegen andere Meinungen geben wird.
Um die Demokratisierung in der Türkei weiter voranzubringen - so sieht es jedenfalls die CDU-Bundestagsabgeordnete Cemile Giousouf - sei es wichtig, "dass die Türkei, den EU-Kurs, den sie zeitweise inne hatte, wieder stärker einnehmen könnte und sich nicht vom Westen abwendet". Zuletzt habe es aber "negative Entwicklungen" in der Türkei gegeben, kritisiert Giousouf, die die erste muslimische Bundestagsabgeordnete der Christdemokraten ist. Damit meint sie die starke Spaltung der Gesellschaft. Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen habe sich in der Türkei ein positiver Demokratisierungsprozess entwickelt. Daran müsse man wieder anknüpfen.
Abkehr vom Laizismus
Viele Kritiker befürchten, dass Erdogan seine Macht weiter ausbaut und eine Islamisierung der Türkei weiter vorantreibt. "Erdogan wird die Türkei als NATO-Partner noch stärker auf einen Kurs der Unterstützung von Islamisten in Syrien, im Irak oder in Nordafrika einschwören", glaubt Sevim Dagdelen von der Linkspartei. Sie ist Sprecherin für Internationale Beziehungen ihrer Fraktion. "Die Wahl von Erdogan zum Präsidenten, der bereits eine 'neue Ära' ankündigte und mit dieser eine Präsidialrepublik meint, lässt angesichts seiner bisherigen neoliberalen und repressiven Innenpolitik sowie aggressiven Außenpolitik nichts Gutes erwarten", kritisiert Dagdelen. "Der Weg in einen islamistischen Unterdrückungsstaat ist vorgezeichnet."
So drastisch sieht es die Grünen-Politikerin Claudia Roth nicht. Sie befürchtet aber, dass die Türkei unter einem Präsident Erdogan immer autoritärer wird: "Die Türkei ist auf dem Weg gewesen, eine starke Demokratie und ein Rechtsstaat zu sein mit einer klaren Teilung der Gewalten", sagt Roth. Das sei von Erdogan zuletzt massiv infrage gestellt worden." Es drohe eine weitere Spaltung in der Türkei, so Roth: "Erdogan ist nicht jemand, der das Land zusammenhält."
Grünen-Parteichef Cem Özdemir ist ebenfalls skeptisch, ob Erdogan seinen Ankündigungen Taten folgen lässt. Nach der Wahl hatte Erdogan gesagt, er werde das Staatsoberhaupt aller 77 Millionen Türken sein, das Land versöhnen und "den Streit der Vergangenheit" ablegen. In der Vergangenheit sei Erdogan immer autoritärer geworden, so Özdemir im Deutschlandfunk. Insofern gebe es keinen Anlass zu glauben, dass sich in der Türkei grundsätzlich etwas ändere.
Verbände in Deutschland skeptisch
Auch die Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) geht davon aus, dass sich an Erdogans Politik wenig ändern wird. "Erdogan wird die Aleviten und andere Minderheiten in der Türkei nach wie vor nicht akzeptieren", sagt der stellvertretende AABF-Vorsitzende Aziz Aslandemir. In der Türkei sind die Aleviten nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), Gökay Sofouglu, glaubt ebenfalls nicht an eine Abkehr von Erdogans bisheriger Politik. Dem neuen Präsidenten gehe es primär darum, eine neue Ära vorzubereiten. Erdogan werde seine Macht als Präsident der Türkei ausbauen, indem er den Ministerpräsidenten, die Minister und den Kurs der AKP bestimme. Viele Menschen machten sich Sorgen um die Zukunft der Türkei, sagt Sofouglu.
Für die türkische Bevölkerung in Deutschland habe die Wahl allerdings nur geringe Bedeutung gehabt. Dies zeige sich an der geringen Wahlbeteiligung. Obwohl erstmals auch in Deutschland türkische Wahllokale geöffnet hatten, haben bei der Präsidentenwahl nur knapp zehn Prozent der gut 1,4 Millionen Wahlberechtigten Türken in Deutschland ihre Stimme abgegeben.