Mit dem Abpfiff fielen die Spieler in weiß um. Vor Enttäuschung, vor Erschöpfung. Sie hatten alles gegeben, waren gerannt, hatten mit Mann und Maus verteidigt, dennoch selbst immer wieder den Weg zum gegnerischen Tor gesucht, den Gastgeber Frankreich mit Stolz die Stirn geboten. Und dann durch zwei Tore in den letzten Minuten doch noch verloren. Nun lagen und saßen sie da, die Albaner. Ausgelaugt, traurig und geschlagen. Dabei hätten sie das Stade Vélodrome von Marseille erhobenen Hauptes verlassen können.
Kein Klassenunterschied
Der krasse Außenseiter Albanien spielte phasenweise auf Augenhöhe mit dem Turnierfavoriten Frankreich. Für einen gesetzten Euro bekam man vor dem Turnierstart bei den Wettanbietern vier zurück, wenn Frankreich die EM am Ende gewinnt. Für denselben Einsatz gibt es 501 Euro, wenn Albanien am Ende triumphiert. Nur: Ein solcher Unterschied war zwischen dem ersten und dem letzten der EM-Wettquotentabelle auf dem Platz nicht zu erkennen. Und Albanien ist kein Einzelfall.
Denn die so genannten "Kleinen" rocken bisher die EURO 2016. Eigentlich ja nur dabei, weil die UEFA das Turnier von 16 auf 24 Teams vergrößerte, zeigen die Außenseiter, dass sie sportlich hier hingehören. Ungarn überrascht die eigentlich erstarkten Österreicher mit einem klaren Sieg, Island treibt den dreifachen Weltfußballer Ronaldo beim 1:1 gegen Portugal in die Verzweiflung, die vor vier Jahren noch chancenlosen Iren zeigen gegen Schweden plötzlich echte Klasse, die Ukraine bietet Weltmeister Deutschland lange die Stirn, Wales und die Slowakei haben beide schon einen Sieg auf dem Konto. Bunte Auffüllmasse für die Vorrunde? Mais non! Vives les Outsiders…
Der Modus ist ein Witz, die Aufstockung aber ein Gewinn
Schon jetzt ist die Aufstockung der EM ein Gewinn. Die Spiele haben fast durchweg mehr Qualität als erwartet, die Gruppen sind ausnahmslos spannend und die Mehrzahl an Spielen freut ohnehin die fußballverrückten Europäer. Natürlich steckt dahinter ein knallhartes finanzielles Verwertungsinteresse der UEFA, die aus jedem Spiel mehr üppige Gelder kassiert. Natürlich verdanken wir die Ausweitung des Spielplans auch den Machtspielchen innerhalb der UEFA, in der solche Maßnahmen Stimmen der kleinen Verbände bringen. Und natürlich ist der gewählte Modus, wonach in der Vorrunde nur läppische acht von 24 Teams aussortiert werden, ein Witz.
Aber die "Kleinen" haben sich ihren Platz verdient. Durch zum Teil beeindruckende Leistungen in der Qualifikation und vor allem durch die bisherigen Auftritte im Turnier. Auf Club-Ebene erlebt der europäische Fußball eine ebenso unheilvolle wie langweilige und stetig fortschreitende Konzentration auf eine Handvoll Big Player. Die Champions League mit ihren sehr ungleichen Qualifikationsregeln ist längst ein Club fermé der reichen Top-Vereine. Dass bei der EM nun auch Außenseiter aus kleineren, finanzschwächeren Ländern brillieren, ist bisher vielleicht die erste richtig gute Nachricht in einem ansonsten von vielen Negativ-Schlagzeilen überschatteten Turnier.
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