Kommentar: Mehr ist besser
3. Juni 2016Manchmal tut man das Richtige aus den falschen Gründen. Die Ausweitung der EM-Endrunde auf 24 Teams sollte Michel Platini die Wahl zum UEFA-Präsidenten sichern. Das war reine Machtpolitik. Entsprechend groß war von Anfang an die Kritik. Die Abneigung gegen den umstrittenen Franzosen hat dabei aber verhindert, dass die absehbaren Folgen der Entscheidung nüchtern analysiert werden.
Macht die Kleinen größer!
Es gibt nicht mehr nur 16 konkurrenzfähige Nationen in Europa. Die Beschränkung auf diese Teilnehmerzahl führte dazu, dass Spitzenteams schon in der Qualifikation aufeinander treffen und scheitern. Die größere EM fördert das Potenzial der (bisherigen) "kleineren" Fußballnationen: Sie spielen mit den Platzhirschen auf Augenhöhe und können sich endlich so entwickeln, wie sie es verdienen. Außerdem wird durch die Aufstockung zumindest ein Missstand gemildert, der immer einen Schatten auf Turniere geworfen hat: Manchmal bringen kleine Nationen große Spieler hervor, die man bei EM und WM dann vermisst. So werden Henrikh Mkhitaryan aus Armenien und Edin Dzeko aus Bosnien-Herzegowina bei der EURO 2016 fehlen. Der derzeit teuerste Fußballer der Welt, Gareth Bale aus Wales, wäre bei einer 16er-EM ebenfalls nicht dabei.
Nun sind nicht alle Argumente gegen eine 24er-EM falsch. So, wie das Projekt im Moment angelegt ist, hat es tatsächlich auch erhebliche Nachteile. Aber die ließen sich umgehen. Und zwar ausgerechnet dadurch, dass man noch eine andere Platini-Idee ins Spiel bringt, die mindestens genauso unbeliebt ist wie die 24er-EM: die Endrunde nicht in nur einem Austragungsland, sondern in ganz Europa. Packt man nämlich beide Ideen zusammen, entsteht ein erstaunliches Modell.
Zurück in die Zukunft
Um dessen Charme zu erkennen, hilft vorab ein kleiner Blick zurück. Fußball-Experten (und alle, die sich dafür halten) sind sich bekanntlich fast nie einig. Über eines dann aber doch: Deutschlands Nationalmannschaft, die 1972 Europameister wurde, gilt bis heute als das spielstärkste Team in der DFB-Geschichte. Nur - kaum jemand weiß noch, wie Beckenbauer, Netzer & Co. sich damals eigentlich zum Titel gespielt haben.
Es gab eine Qualifikation mit 32 Mannschaften in acht Gruppen, Hin- und Rückspiele (1970/71) in den jeweiligen Ländern. Im Viertelfinale spielten die acht Gruppensieger, ebenfalls mit Hin- und Rückspielen (April/Mai 1972) in den jeweiligen Ländern. Als die Halbfinalisten feststanden (und erst dann!), wurde Belgien als Gastgeberland der Endrunde bestimmt. Die bestand nur noch aus den Halbfinals, dem Spiel um den Dritten Platz und dem Endspiel im Juni 1972, das Deutschland mit 3:0 gegen die Sowjetunion gewann.
Et voilà: So könnte es wieder sein. Die Qualifikation heißt dann eben nicht mehr Qualifikation, sondern ist regulärer Teil der EM. Es sind nicht 24 Mannschaften, sondern sogar 32. Das Turnier findet in allen Teilnehmerländern statt, nur Halbfinals und Finale werden an einem einzigen Ort gespielt (wann man den festlegt, ist egal).
Mehr Spannung, mehr Zuschauer, mehr Sport
Die Vorteile? Bitte sehr: Es gibt viel mehr Spiele, in denen es tatsächlich um etwas geht. Kein Team kann sich zwischendurch hängen lassen, denn nur die Gruppensieger qualifizieren sich fürs Viertelfinale. Da ist auch ein vermeintlich "Großer" schon bei einem kleinen Ausrutscher schnell weg vom Fenster. Es kommen insgesamt viel mehr Zuschauer in die Stadien: In der Gruppenphase und den Viertelfinals mit Hin- und Rückspielen ist das evident. Die K.o.-Spiele werden sowieso ausverkauft sein.
Und schließlich kommt ein Aspekt dazu, der bisher fast gar keine Rolle spielt: die Leistungsgerechtigkeit. Die Mannschaften müssen sich nicht nur in einem Turnier über maximal vier Wochen bewähren. Am Ende siegt das Team, das über einen längeren Zeitraum das Beste ist. So etwas wie Griechenland als Europameister würde dann zwar wohl nicht mehr vorkommen. Aber wäre das für den europäischen Fußball wirklich ein Verlust?
Macht die EM größer, und tragt sie aus wie 1972. Das wäre das Richtige. Und diesmal sogar aus den richtigen Gründen.