"637 Tage" - vielleicht heißt so der kommende Bestseller. Geschrieben von Uli Hoeneß oder seinem Ghostwriter. "Wie ich im Knast ein anderer wurde", könnte der Untertitel lauten. Hoeneß kommt frei, am 29. Februar beginnt wieder eines seiner vielen Leben. Das des Bürgers Uli H. vielleicht. Weniger öffentlich, mehr Haus, Hund und Harmonie am Tegernsee. Die dreieinhalbjährige Haftstrafe wurde halbiert, der große Zampano des deutschen Fußballs wird ein normaler Mensch. Der geradezu galaktische Steuerbetrug ein Thema der Vergangenheit. Strafe verbüßt, erledigt. Jeder hat das Recht auf Normalität nach der Haft.
Der Metzgerssohn aus Ulm
Hoeneß' Leben war nur ganz am Anfang normal. Als er noch hinter der Metzgerstheke seines Vaters stand und Aufschnitt abwog, nach der Schule. Und danach noch schnell auf den Sportplatz. Dort hat er die Entdeckung gemacht: Ich kann mehr als die anderen, weil ich mehr will und bereit bin, mehr zu geben. Nicht seine Technik war es, die ihn zu Bayern München führte, zum Nationalspieler machte. Es war sein Einsatz, sein Kampf. Er war ein Dauerläufer. Er passte perfekt zusammen mit dem Ästheten Beckenbauer, dem Mann fürs Grobe Schwarzenbeck und den Künstlern Overath und Netzer. Alle zusammen und noch ein paar mehr waren ein Gesamtkunstwerk der 1970er-Jahre. Weltmeister eben.
Viele Jahre später, nach Deutschen Meisterschaften, Europa-Pokalsiegen, Verletzung und Auferstehung als Jung-Manager, muss der Glaube an sich so bekiffend überirdisch für ihn gewesen sein, dass er buchstäblich nur noch sich selbst als Maßstab akzeptierte. Seine Börsen-Zockerei via Pager zeigte Verhaltensparallelen zu einem Heroin-Junkie. Aber halb Deutschland huldigte ihm, dem Mann, der Respekt verdiene (Merkel), dem Mann von Format (Seehofer). Wer so über den Wolken schwebt und dann buchstäblich auf die Schnauze fällt, der steht automatisch am Pranger.
Er und sein Steuerbetrug waren allen Printmedien gleich mehrere Aufmacher wert. Den Seriösen und den Schrillen sowieso. "Hoeneß", ein Name wie eine Marke. Wo er war, lachte der Erfolg. Hatte er einfach nur Glück? Bestimmt nicht. Höchstens einmal, als er mit dem Flugzeug abstürzte und überlebte. Berühmt, reich und mächtig wurde er durch Ehrgeiz. Und der war von der Art, wie ihn häufig kleine Leute in sich entdecken, die mehr wollen als das, was ihnen ihre soziale Herkunft vorbestimmt hat.
Das Faustische in uns
Uli Hoeneß war auch eine Moral-Instanz. Gespendet hat er das Vielfache dessen, was publik wurde. Und als der FC Bayern mal knauserig war und ein paar Tausend Euro für Bäume auf der Trainingsanlage nicht zahlen wollte, griff er einfach ins eigene Portemonnaie. So war er, der Uli. Als er dann noch den Dauer-Kokser Christoph Daum als Bundestrainer verhinderte, haben wir ihn fast als Heiligen betrachtet.
Eigentlich ist die Geschichte des Uli H. aus der schwäbischen Provinz ein modernes Märchen mitten aus unserer Gesellschaft. Er hatte den Erfolg an den Füßen und auch noch den Kopf dafür, nicht nur den FC Bayern von groß auf ganz groß zu hieven, er gründete nebenbei auch noch eine profitable Wurstfabrik. Geld, Macht, Ansehen haben und dann großzügig sein - wollen wir nicht alle so sein? Und: Seine XXL-Betrügereien gegenüber dem Finanzamt - sind nicht viele von uns kleine Sünderlein? Und auch die Versuchungen durch den Erfolg sind im Beamtenbüro genauso zuhause wie im Management der Industrie. Der Verlockung des Dr. Faustus sind auch wir Normalbürger erlegen. Moralpredigten will zu Hoeneß' Entlassung niemand mehr hören.
Sein Leben nach dem Abpfiff? Schaun mer mal!
Das Strafrecht kennt weder Rache noch Vergeltung. Hoeneß' Strafe haben mehr als die Hälfte der Deutschen als gerecht empfunden. Mehr als ein Drittel fanden sie sogar noch zu milde. Auf eine Revision hat er verzichtet, was manche anständig fanden. Vielleicht war es auch bloßes Kalkül. Wer weiß - ein anderer Richter hätte eventuell noch mehr gefunden. Egal, lasst ihn (normal) leben!