Das Coronavirus steht auf keiner Seite. Es macht keinen Unterschied zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Es ist kein Klassenfeind, den man bekämpfen könnte. Aber dieses böse Virus schafft es, ganze Autofabriken lahmzulegen, die Tourismus- und Gastronomiebranche komplett zu killen, Selbstständigen den Boden unter den Füßen wegzuziehen, oder zehn Millionen Deutsche (das ist fast jeder Dritte Arbeitnehmer) für Kurzarbeit anzumelden. Und jetzt verhindert es sogar die traditionellen Kundgebungen, zu denen sich alljährlich Hunderttausende auf Straßen und Plätzen des Landes versammeln und den Gewerkschaftsführern lauschen.
Das ist - wie so vieles in diesen Zeiten - historisch. Denn auch so etwas hat es im Deutschland der Nachkriegszeit noch nicht gegeben. Stattdessen werden - Premiere - die geplanten Kundgebungen virtuell stattfinden. Und damit ist der Deutsche Gewerkschaftsbund dort angekommen, wo viele Beschäftige schon seit Wochen sind: im Homeoffice. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen: Die digitale Form der Arbeit, das wird auch für die Gewerkschaften und Unternehmen ein ganz großes Thema bleiben, wenn dereinst das Coronavirus besiegt ist.
Push für das digitale Arbeiten
Denn lange haben sich beide Seiten schwer getan mit dem Thema Telearbeit, wie Homeoffice früher hieß. Aber die digitalen Arbeitsformen werden einen enormen Schub bekommen. Denn so mancher wird auf den Geschmack gekommen sein, statt der lästigen Pendelei die Arbeit (wenn möglich) von zu Hause aus erledigen zu können. Andere wiederum werden froh sein, irgendwann wieder an den Arbeitsplatz zurück zu kehren.
Wie schwierig die Zeiten für die Gewerkschaften gerade sind, war erst am Donnerstag zu besichtigen: Die Bundesregierung hatte gerade neue Regelungen für die Kurzarbeit auf den Weg gebracht - nämlich ab dem vierten Monat auf 70 Prozent (für Menschen mit Kindern 77 Prozent) des Nettolohnes aufzustocken von bislang 60 (67) Prozent. Sollte die Kurzarbeit länger andauern, würden es ab dem siebten Monat 80 (87) Prozent sein. Einzige Reaktion von DGB-Chef Reiner Hoffmann: 80 Prozent schon ab dem vierten Monat wäre besser gewesen. Nun denn. Immerhin belastet die Neuregelung die Kassen der Bundesagentur für Arbeit um weitere 2,6 Milliarden. Und nicht zu vergessen: Viele Unternehmen legen von sich aus noch eine Schippe auf das Kurzarbeitergeld drauf.
Die Zeit der kleineren Brötchen
Natürlich wird die große Corona-Krise vieles ändern, auch das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zwischen Gewerkschaftlern und Unternehmern, zwischen den Tarifparteien. Das abrupte Ende eines Booms der deutschen Wirtschaft, der ein Jahrzehnt lang angehalten hatte, wird zwangsläufig dazu führen, dass beide Seiten kleinere Brötchen werden backen müssen. Auch die Zeiten gut gefüllter öffentlicher Kassen sind jetzt für längere Zeit vorbei. Das DGB-Motto der vergangenen Jahre von der "Teilhabe am Aufschwung" dürfte ausgedient haben. Eher muss es ab sofort um Beschäftigungssicherung gehen und darum, die Menschen vor den Folgen des dramatischen Abschwungs einigermaßen zu bewahren. Und da macht der deutsche Staat gerade eine ziemlich gute Figur - siehe Kurzarbeitergeld, siehe 750-Milliarden-Hilfsprogramme, siehe mehr Geld für Pflegekräfte etc. Ein Blick nach Amerika mag genügen, wo allein im März 30 Millionen Menschen ihren Job verloren haben.
Für gewerkschaftliche Maximalforderungen ist da eher wenig Platz. Aber freilich gibt es genug zu tun. Denn wie in jeder Krise, werden vor allem Geringverdiener und schlecht ausgebildete Arbeitnehmer diejenigen sein, die es am härtesten trifft. Vor allem dort können die Gewerkschaften ansetzen, vielleicht sogar mit der Forderung nach einem höheren Mindestlohn. Insofern könnte das Motto, das der Deutsche Gewerkschaftsbund für diesen 1. Mai ausgerufen hatte - und zwar lange bevor das Coronavirus unterwegs war - gar nicht besser passen: "Solidarisch ist man nicht alleine."