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Wirtschaftspolitik mit eingeschränkter Sicht

24. April 2020

Läuft die Wirtschaft wieder an, wenn die Corona-Auflagen gelockert werden? Um das zu beantworten, sind herkömmliche Konjunkturindikatoren zu spät verfügbar. Aber es gibt Alternativen.

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Sonnenuntergang im Hamburger Hafen
Bild: picture-alliance/H. C. Dittrich

Wohin wir uns auch bewegen, was wir auch kaufen - das Smartphone begleitet uns und dabei generiert es Daten. Solche Daten werden vor allem genutzt, um passgenaue Werbung zu schalten. Sie könnten aber auch Anhaltspunkte dafür geben, ob die Wirtschaft nach den ersten Lockerungen des Corona-Shutdowns wieder in Gang kommt oder nicht. Und damit auch Anhaltspunkte, ob die Maßnahmen der Politik zur Stützung von Unternehmen ausreichend waren.

Daten sind in Krisenzeiten sehr kurzlebig

Vor der Corona-Krise hat sich Wirtschaftspolitik auf Statistiken gestützt, die nicht tagesaktuell waren. So gibt es erst 45 Tage nach dem Ende des jeweiligen Quartals Angaben darüber, wie sich das Bruttoinlandsprodukt entwickelt hat. Informationen über Industrieaufträge oder den Umsatz im Einzelhandel liegen erst nach Wochen vor. Zu spät für schnelle Krisenzeiten.

Schaut man auf die amtlichen Konjunkturindikatoren wie Produktionszahlen, Auftragseingänge oder Beschäftigungsentwicklung beim Statistischen Bundesamt, findet man jetzt Werte vom Februar, sagt Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) gegenüber der DW. "Das ist genau die Zeit, in der die Corona-Krise sich in Deutschland noch nicht im Konjunkturbild niedergeschlagen hat. Von daher bietet die amtliche Statistik derzeit nur einen Blick in den Rückspiegel", so Kooths.

Nicht nur, dass die Politik keine validen tagesaktuellen Daten zur Verfügung hat, es kommt noch erschwerend hinzu, dass Prognosen in der Corona-Krise sehr schnell überholt sind. Wenn Politiker beispielsweise aufgrund einer Prognose schnelle Hilfsmaßnahmen einführen, um Unternehmen zu stützen, hat das Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung und es verändert die Grundlagen, auf der die ursprüngliche Prognose gestellt wurde.

Daher rücken nun neue Konjunkturindikatoren in das Blickfeld. Solche, die schnell zu haben sind - möglichst tagesaktuell.

Wenn die Wirtschaft brummt, brummt auch der Verkehr

Ein solcher Konjunkturindikator, der keine wochenlange Verzögerung hat, ist der Lkw-Maut-Fahrleistungsindex. Er wird vom Statistischen Bundesamt in Zusammenarbeit dem Bundesamt für Güterverkehr erhoben. Hintergrund ist die Idee, dass die Anzahl der Lkw auf deutschen Straßen Rückschlüsse auf die Industrieproduktion in Deutschland zulassen und daher frühe Hinweise auf die Konjunkturentwicklung geben kann. 

LKW durchfährt Mautbrücke von Toll Collect.
Konsumgüter, Vorprodukte und Rohstoffe werden per Lkw transportiertBild: picture-alliance/dpa/U. baumgarten

Der Index wurde mehrere Jahre parallel zum Produktionsindex erhoben, um die Verlässlichkeit zu prüfen. Dabei habe man festgestellt, dass er ein wichtiger Konjunkturindikator ist, erläutert Georg Thiel, Präsident des Statistischen Bundesamtes. Seit Mitte April wird der Index daher täglich aktualisiert und erscheint mit einer Verzögerung von bis zu neun Tagen.

Vielen Unternehmen steht das Wasser bis zum Hals, so manche werden sich gar nicht über Wasser halten können. Da die Zahl der Insolvenzen ebenfalls Auskunft über den Zustand der Wirtschaft gibt, will man die beim Statistischen Bundesamt nun schneller öffentlich machen - mit nur noch fünf bis zehn Tagen Verzögerung.

Supermarkt Scannerkasse
Das Verhalten der Konsumenten zeigt sich auch in den Scannerdaten von Kassen im EinzelhandelBild: picture-alliance/dpa/K. Schindler

Eine weitere Datenquelle sind Kassen im Einzelhandel. Was wird in welcher Menge zu welchem Preis gekauft? Daten der Einzelhandelskassen zeigen, wie sich die Nachfrage nach bestimmten Gütern wie Toilettenpapier oder Nudeln in den Wochen seit dem Ausbruch der Krise in Deutschland verändert hat. Auch aus diesen Daten können in begrenztem Ausmaß Rückschlüsse auf den Zustand der Wirtschaft gezogen werden.

Handydaten als Quelle umstritten

Wie eifrig Kunden in die Geschäfte strömen, lässt sich auch aus Handydaten herauslesen. Google Trends macht es möglich. Da viele Smartphone-Besitzer ihre Standortdaten teilen, kann Google feststellen, wie viele Menschen sich in welchen Geschäften wie lange aufhalten. Außerdem zeigt Google, wie viele Menschen welchen öffentlichen Nahverkehr nutzen. Daraus lässt sich ablesen, ob Beschäftigte wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.

Das Statistische Bundesamt nutzt solche von Google Trends bereitgestellten Daten allerdings nicht. Ganz einfach, weil man nicht genau sehen kann, wie die Daten aggregiert werden, erklärt Georg Thiel vom Statistischen Bundesamt gegenüber der DW. Er hält diese Daten daher nicht für hinreichend transparent.

Stromverbrauch kann wirtschaftliche Aktivität zeigen

Ökonomen der Commerzbank beobachten für ihre Wirtschaftsbewertung auch den Stromverbrauch. Denn wo gearbeitet wird, fallen nicht nur Späne, in der Regel fließt auch Strom. Fast drei Viertel des verbrauchten Stroms in Deutschland geht auf das Konto von Industrie, Handel, Dienstleistern und Gewerbe. In normalen Zeiten. Daten zum Stromverbrauch werden von der Bundesnetzagentur nahezu in Echtzeit geliefert.

Beim Institut für Weltwirtschaft in Kiel schaue man neben Lkw-Maut-Statistik und dem Stromverbrauch auch auf Stau-Daten, Internetanfragen und ähnliches, erläutert Stefan Kooths. "Und was den Welthandel anbelangt, da gibt es mittlerweile auch Satelliten-Beobachtungen, die uns zeigen, wie stark das Aufkommen auf wichtigen Frachtrouten wie dem Suezkanal ist."

Die Zahl der Smartphone-Besitzer in Deutschland ist in den letzten zehn Jahren erheblich gestiegen
Heute hat fast jeder ein Smartphone - vor zehn Jahren war das noch andersBild: picture-alliance/NurPhoto/H. Bhatt

Ökonomen sind keine Hellseher

"Eine Schwierigkeit ist allerdings, dass uns oft die Vergangenheitsmuster fehlen", gibt Kooths zu bedenken. Beispielsweise besaßen 2009 etwas über sechs Millionen Menschen in Deutschland ein Smartphone, zehn Jahre später waren es knapp 58 Millionen.

Um jetzt Rückschlüsse aus bestimmten Indikatoren für die gegenwärtige Situation zu ziehen, müsse man ihre Entwicklung in der Rezession 2008/2009 kennen, sagt Kooths. "Wir können immer nur versuchen aus Mustern, die wir in der Vergangenheit schon beobachtet haben, abzuleiten, wie der voraussichtliche weitere Entwicklungspfad der Wirtschaft sein könnte. Und je länger die Zeiträume sind, auf die wir uns dabei beziehen können, desto zuverlässiger sind auch die daraus abgeleiteten Prognosen."

Trotz der Schwierigkeiten werden wohl auch in Zukunft alternative Konjunkturindikatoren eine immer größere Rolle spielen, glaubt Kooths. Auch in der Vergangenheit seien Ökonomen schon unzufrieden gewesen mit der Verzögerung der amtlichen Konjunktur-Statistik. "Deshalb hat die Suche nach alternativen Konjunkturindikatoren längst vor der Corona Krise eingesetzt."

 

Insa Wrede, DW-Mitarbeiterin
Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion