Formal ist es nur ein Umzug. Praktisch aber ein europäisches Ereignis von großer Symbolwirkung. Ja, in gewisser Weise sogar ein tiefer Einschnitt in der postkommunistischen Geschichte Mittel- und Südosteuropas: Die Open Society Stiftung wird ihr europäisches Hauptquartier in Budapest bis Ende August schließen und nach Berlin umziehen. Der Grund: Das "repressive politische und gesetzliche Klima in Ungarn", wie die Stiftungsleitung in New York am Dienstag mitteilte.
Damit geht eine mehr als drei Jahrzehnte währende Ära dort zu Ende, wo sie einst begonnen hatte - in Budapest: Der US-Börsenmilliardär George Soros hatte 1984 angefangen, in der ungarischen Haupt- und seiner Heimatstadt antikommunistische Oppositionelle zu unterstützen. Nun sehen Soros und seine Stiftungsmitarbeiter keinen Sinn mehr darin, noch in Ungarn zu bleiben. Man kann es auch so formulieren: Die Idee der offenen Gesellschaft ist in Ungarn vorläufig gescheitert. Und nicht nur dort: Die Mehrheit der Länder in der Region befindet sich auf einem ähnlichen Weg.
Umstrittene Persönlichkeit
George Soros ist seit vielen Jahrzehnten eine hoch umstrittene Persönlichkeit. Tatsächlich kann man seine Tätigkeit als Börsenspekulant kritisieren. Doch diese Kritik beträfe das gesamte System des ungezügelten Finanzkapitalismus. Soros selbst hat wiederholt für eine strenge Reglementierung der Finanzmärkte plädiert. Allenfalls könnte man ihm deshalb Inkonsequenz vorwerfen. Denn er verdient weiterhin sein Geld in einem System, das er explizit für zerstörerisch hält. Doch wer solche Vorwürfe erhebt, muss vorher überprüfen, ob der eigene Lebensunterhalt oder die eigene Altersvorsorge nicht ebenfalls finanzmarktabhängig sind. Heutzutage praktisch ein Ding der Unmöglichkeit.
Aber letztlich ging es darum in den seit Jahren andauernden Anti-Soros-Kampagnen in Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern auch nicht. Soros war und ist das Objekt von antisemitischen Kampagnen, die in diesem Ausmaß und in dieser brutalen Offenheit in Europa seit dem Ende des Nationalsozialismus beispiellos sind. Was besonders schwer wiegt: Politiker wie Orbán oder Fico (Slowakei), Dragnea (Rumänien), Vucic (Serbien), Gruevski (Mazedonien) oder Rama (Albanien) führen mit ihren Anti- und Stop-Soros-Kampagnen nicht nur eine furchtbare deutsche, sondern auch eine Tradition der kommunistischen Diktaturen in Osteuropa fort, die jahrzehntelang immer wieder antisemitische Kampagnen schürten.
Der Grund für die aktuellen Kampagnen gegen Soros: Er hat mit seinen gespendeten Milliarden einen der größten privaten Beiträge zur Demokratisierung der ehemals kommunistischen Diktaturen in Osteuropa geleistet. Dazu zählt auch die Unterstützung ungezählter ziviler Projekte und Organisationen, die für eine Kontrolle der Macht sorgen. Und genau das stört in den autoritär-intransparenten Herrschaftsmodellen von Politikern wie Orbán.
Symbolischer Präzedenzfall
Dass sich Soros' Stiftung nun aus politischen Gründen aus einem EU-Land zurückzieht, ist ein symbolischer Präzedenzfall - bisher geschah so etwas nur in Staaten wie Russland. Dabei tut der Umzug an sich weder Soros noch der Open Society Stiftung weh. Fatale Konsequenzen hat er vor allem für Ungarn selbst. Viele Menschen im Land, darunter vor allem junge und gut gebildete, werden diesen Umzug als weiteres Alarmsignal interpretieren - und selbst gehen. Wie schon hunderttausende Andere seit 2010. Weil sie das von Hasskampagnen vergiftete öffentliche Klima unerträglich finden. So kann ein Land keine gute, nachhaltige Zukunft gestalten. Deshalb ist der Abzug der Open Society Stiftung aus Budapest nur scheinbar ein Erfolg für Orbán und seine "Stop Soros"-Kampagne. Er ist für Orbán ein Pyrrhussieg.
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