Hassrhetorik im ungarischen Wahlkampf
13. Dezember 2017János Pócs, ein Parlamentsabgeordneter der Orbán-Partei Fidesz, findet es witzig - aber der Scherz ist ungeheuerlich. Er postete auf seiner Facebook-Seite ein Foto von einem traditionellen Schlachtfest. Zu sehen ist eine Gruppe Menschen, vor denen ein totes Schwein liegt. Auf dessen Haut hat jemand auf Ungarisch geschrieben: "Er war der Soros!!!" Ein Wortspiel, denn die Aufschrift bedeutet sinngemäß auch: "Die Reihe war an ihm!!!" Pócs kommentierte dazu: "Die haben schon ein Schwein weniger..." und fügte einen grinsenden Smiley hinzu.
Das Foto und der Kommentar von Pócs sorgten für große öffentliche Aufregung. Mehr als 1.000 Facebook-Nutzer schrieben verurteilende Botschaften an den Fidesz-Abgeordneten. Pócs erklärte daraufhin, er verstehe die Aufregung nicht, es gehe auf dem Foto gar nicht um George Soros, jenen US-Börsenmilliardär, gegen den Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seit langem öffentliche Kampagnen führt.
"Offiziell akzeptierter Antisemitismus"
Das gespielt unschuldige Dementi machte einen Teil der Öffentlichkeit, darunter auch viele gemäßigt Konservative, erst recht wütend. Inzwischen fordern 120 renommierte ungarische Intellektuelle, darunter der Schriftsteller György Konrád, die Philosophen Ágnes Heller und Gáspár Miklós Tamás, sowie die Filmregisseurin Ildikó Enyedi, einen Rücktritt von Pócs. Auch die Open-Society-Stiftung des US-Börsenmilliardärs protestierte scharf: "Das ist ein schockierender Angriff auf George Soros. Dieses Foto steht in einer langen und dunklen Tradition des Antisemitismus. Es ist ein neues Beispiel für offiziell akzeptierten Antisemitismus in Viktor Orbáns Ungarn."
Der Fidesz-Fraktionschef Gergely Gulyás sagte auf einer Pressekonferenz, diese Kritik sei ein "Bestandteil der antiungarischen Soros-Kampagne". Viktor Orbán kommentierte die Affäre gegenüber ungarischen Journalisten mit den Worten, "Angelegenheiten des Schweineschlachtens" zählten nicht zu den Kompetenzen der Regierung. János Pócs selbst ließ mehrfache telefonische und schriftliche Anfragen der Deutschen Welle unbeantwortet.
Die Affäre ist charakteristisch für das vergiftete öffentliche Klima unter Orbán. Die rechtsextrem anmutende Hassrhetorik der Regierungsmehrheit gehört seit langem in zunehmendem Maße zum ungarischen Alltag. Angesichts der Parlamentswahl im kommenden Frühjahr ist sogar noch Schlimmeres zu befürchten.
Zwei Kampagnen der Regierung gegen Soros
In diesem Jahr gab es im Rahmen sogenannter "Nationaler Konsultationen" bereits zwei Kampagnen der Regierung gegen George Soros, in denen dieser unter Anspielung auf alte antisemitische Motive als Strippenzieher sowie als Kopf einer antiungarischen Verschwörung dargestellt wird. "Lassen wir es nicht zu, dass Soros als Letzter lacht!", war das Motto einer der Kampagnen. In der anderen sollten die Ungarn ihre ablehnende Meinung zu einem nicht existierenden Soros-Plan sagen, laut dem der Milliardär Europa mit Millionen Flüchtlingen überschwemmen will.
Soros ist ungarisch-jüdischer Herkunft und hat in Osteuropa seit Ende der 1980er Jahre über seine Open-Society-Stiftung mehrere Milliarden Euro für soziale und rechtsstaatliche Projekte gespendet, darunter allein in Ungarn 350 Millionen Euro. Viktor Orbán, einst selbst Soros-Stipendiat, hat sich den US-Börsenmilliardär seit zwei Jahren zum Intimfeind auserkoren und lässt seitdem kaum eine Gelegenheit aus, über ihn herzuziehen.
Doch es geht nicht nur gegen Finanzspekulanten und ganz allgemein gegen das internationale Kapital, die Ungarn, so Orbán, Böses antun wollten. Auch wiederholte Forderungen nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe, homophobe Sprüche und eine kaum verhüllte Stigmatisierung der Roma als Kriminelle und Arbeitsscheue gehören zur gängigen Rhetorik von Orbán und Politikern seiner Regierungsmehrheit. So etwa sagt der ungarische Premier häufig, wenn von Roma und ihren sozialen Problemen die Rede ist, alle Menschen in Ungarn müssten arbeiten, niemand dürfe Kriminalität als Existenzmodell wählen. Gehässige homophobe Sprüche richtete Orbán mehrfach gegen den Chef der ehemals rechtsextremen Partei Jobbik, Gábor Vona, der seit 2014 versucht, Jobbik als gemäßigte nationalkonservative Volkspartei zu etablieren.
Jobbik-Politiker vermeiden inzwischen rassistische Rhetorik
Paradoxerweise haben sich die politischen Rollen damit bis zu einem gewissen Punkt umgekehrt. Orbán und seine Fidesz-Partei nehmen inzwischen zu einem großen Teil jenen Platz ein, den Jobbik vor 2014 innehatte - nämlich den rechtsaußen. Orbáns Fidesz hat Jobbik mit Erfolg praktisch alle Themen abgenommen und zum großen Teil auch erfolgreich umgesetzt - etwa in der Sozialpolitik, wo besonders drastische armenfeindliche gesetzliche Vorschriften von Lokalverwaltungen häufig gezielt gegen Roma angewendet werden, die auf staatliche Finanzhilfe angewiesen sind.
Jobbik-Politiker hingegen vermeiden inzwischen jegliche rassistische Rhetorik, Vona versucht, die Partei zur Mitte hin zu öffnen. Sein politischer Kurs ist zwar beim radikalen Flügel umstritten. Allerdings ist Jobbik stärkste Oppositionspartei und Vona hofft, durch seine Öffnung mehr neue Wähler zu gewinnen, als rechtsaußen zu verlieren. Selbstkritisch sagt Vona im Gespräch mit der Deutschen Welle, wenn er früher gewisse Zweifel an der liberalen Demokratie gehabt habe, so sei die antidemokratische Umgestaltung Ungarns unter Orbán eine wichtige Lehre für ihn und seine Partei.
Den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit erfährt Jobbik derzeit gewissermaßen am eigenen Leib: Offenbar weil Orbán ein zu gutes Abschneiden von Jobbik bei der Wahl fürchtet, brummte der Staatliche Rechnungshof der Partei eine umstrittene Zwei-Millionen-Euro-Geldstrafe auf - für eine ordnungswidrige Spendenannahme. Merkwürdig nur: Ein fast identisches Vergehen von Fidesz hatte der Rechnungshof gar nicht erst untersucht.