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NSU-Aufklärung light

Marcel Fürstenau18. Oktober 2015

Vier Jahre nach dem Auffliegen der mutmaßlichen Terrorgruppe wird der Bundestag einen zweiten Untersuchungsausschuss einsetzen. Er wird kaum Neues zu Tage fördern, nötig ist er trotzdem, befürchtet Marcel Fürstenau.

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Sebastian Edathy (r.), Vorsitzender des ersten NSU-Untersuchungsausschusses, übergibt Parlamentspräsident Norbert Lammert den Abschlussbericht
Sebastian Edathy (r.), Vorsitzender des ersten NSU-Untersuchungsausschusses, übergibt Parlamentspräsident Norbert Lammert im August 2013 den AbschlussberichtBild: picture-alliance/dpa

Es war weit mehr als beeindruckende Fleißarbeit, die der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) 2012/13 leistete. Seine in 16 Monaten gewonnenen Erkenntnisse über die Hintergründe der rassistisch motivierten Mordserie mündeten in einen rund 1400 Seiten dicken Abschlussbericht. Die Abgeordneten versprachen sich davon eine öffentliche Auseinandersetzung mit dem Ziel, "jede Form von Extremismus oder Ausländerfeindlichkeit in unserem Lande entschlossen zu bekämpfen". Hätte sich diese Hoffnung erfüllt, wäre ein zweiter NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages überflüssig.

Es muss also einiges im Argen liegen in Sachen Aufklärung. Leider ist diese Einschätzung sogar in zweifacher Hinsicht zutreffend - politisch und strafrechtlich. Auch im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht läuft seit knapp zweieinhalb (!) Jahren manches unrund. Verblüffend sind die Parallelen zwischen parlamentarischen und juristischen Aufklärungsversuchen, die an Grenzen stoßen. Diese Grenzen sind staatlicher Natur und haben einen Namen: Verfassungsschutz. Ihm vor allem galt das Verdikt des ersten Untersuchungsausschusses, als im Ergebnis von "totalem Staatsversagen" die Rede war. Deshalb gaben die Abgeordneten zahlreiche Empfehlungen, ganz oben stand die Reform des Inlandsgeheimdienstes.

Die Reform des Verfassungsschutzes ist unzureichend

Formal betrachtet folgte die Politik diesem Ratschlag. Die Innenminister von Bund und Ländern verständigten sich darauf, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eine federführende Rolle zuzugestehen. Damit sollen Kompetenzstreitigkeiten und Kommunikationspannen ausgeschlossen werden. Das waren laut NSU-Untersuchungsausschuss nämlich entscheidende Gründe dafür, dass die Terrorgruppe 13 Jahre unentdeckt raubend und mordend durchs Land ziehen konnte. Strukturell dürfte der Verfassungsschutz heute tatsächlich besser gewappnet sein. Der Informationsaustausch, den es in der Vergangenheit schlimmstenfalls überhaupt nicht gab, ist unter anderem durch eine zentrale Datei für Rechtsextremismus (hoffentlich) gewährleistet.

DW-Hauptstadt-Korrespondent Marcel Fürstenau
Marcel Fürstenau kümmert sich um den NSU-Komplex und berichtet auch vom Prozess in MünchenBild: DW/S. Eichberg

Doch die guten Ansätze leiden unter einem gravierenden Transparenz- und Glaubwürdigkeitsproblem, weil entscheidende Fragen nach wie vor unbeantwortet sind. Welche Informationen mit NSU-Bezug schlummern noch immer in den Giftschränken der Verfassungsschutzbehörden? Warum werden sie der Öffentlichkeit vorenthalten? Warum werden Akten nicht für den NSU-Prozess freigegeben? Solche Fragen treiben auch die Mitglieder des künftigen Untersuchungsausschusses um, der im November eingesetzt werden soll.

Der Staat schützt kriminelle V-Leute

Der designierte Vorsitzende des Gremiums, Christdemokrat Clemens Binninger, will beim zweiten Anlauf auch fragwürdige V-Leute aus der rechtsextremistischen Szene als Zeugen laden. Etliche dieser Spitzel mussten - mitunter mehrmals - schon im Münchener NSU-Prozess aussagen. Dabei wurde deutlich, dass sie oft die entscheidenden Figuren beim Aufbau neonazistischer Strukturen waren. In diesem aggressiv rassistischen Umfeld radikalisierte sich das mutmaßliche Mörder-Trio des NSU. Warum das unter den Augen des Verfassungsschutzes möglich war, vielleicht sogar aktiv gefördert wurde, darauf fehlt bislang jede befriedigende Antwort. Und das liegt maßgeblich am Verhalten der Politik, die ihre schützende Hand über mitunter sogar vorbestrafte V-Leute hält.

Alle womöglich erhellenden Akten bleiben mit Verweis auf den Quellenschutz unter Verschluss. Unter diesem gravierenden Manko leidet auch das Strafverfahren in München. Nebenkläger-Anwälte, die Angehörige der Opfer vertreten, scheitern regemäßig mit Beweis-Anträgen zur Offenlegung einschlägiger Akten. Anscheinend befürchtet die Bundesanwaltschaft, ihre Anklage könnte ins Wanken geraten. Die basiert im Kern auf der Überzeugung, der NSU habe aus dem Trio um die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und ihre zwei toten Gesinnungsgenossen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bestanden. An dieser These zweifelten die Nebenkläger von Anfang an und die Mitglieder des zweiten NSU-Untersuchungsausschuss tun es inzwischen mehr denn je.

Ein Zeichen gegen brennende Flüchtlingsheime und Pegida

Genährt wurden ihre Bedenken durch das plötzliche Auftauchen von NSU-Akten, die vorher niemand beim Verfassungsschutz entdeckt haben will. Auch der mysteriöse Tod des V-Mannes "Corelli" wirft Fragen auf, denen das Gremium nachgehen will. Trotz allen lobenswerten Eifers ist spürbar, dass auch Binninger und seine Mitstreiter aus den anderen Bundestagsfraktionen nicht mit bahnbrechenden Neuigkeiten rechnen. Dennoch ist ihr Entschluss richtig und wichtig. Sie bringen damit unmissverständlich zum Ausdruck, wie enttäuscht sie von der in jeder Hinsicht unbefriedigenden Aufklärung der fürchterlichen Verbrechen sind. Ein anderes Anliegen ist ihnen aber ebenso wichtig: In Zeiten brennender Flüchtlingsheime und martialischer Pegida-Aufmärsche ein Zeichen zu setzen. Allein deshalb ist der fraktionsübergreifende Beschluss zur Neuauflage des NSU-Untersuchungsausschuss im Deutschen Bundestag eine gute Sache.

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